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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanische und deutsche Gewcrbeschiedsgerichte und Tinigungsäinter.

durch Aufstellung unwahrer Thatsachen und durch falsche Verallgemeinerung
an sich richtiger Einzelheiten die Lage der Arbeiterschaft als ganz trostlos darzu¬
stellen. Die Bestimmung über die Abgrenzung der Untersuchungsgebiete und über
die Aufstellungsform des Materials müßte zur Wahrung des einheitlichen Cha¬
rakters der Erhebungen wohl dem Neichsamte des Innern vorbehalten bleiben,
während die weiteren Ausführungsbestimmungen, insbesondre auch die Über¬
weisung etwaiger Hilfsbeamten der landesgesetzlichen Regelung unterliegen würden.

Es bleibt noch die Frage übrig, ob die Übertragung der im vorstehenden
dargelegten Aufgaben, insbesondre des Vorsitzes bei den Gewerbeschiedsgerichten
und Einigungsümtern, an die Gewerberäte und Fabrikinspektoren wesentlichen
Bedenken unterliegen würde. In dieser Beziehung darf daran erinnert werden,
daß es sich bei der Regelung von Lohnstreitigkeiten viel mehr darum handelt,
den praktischen Bedürfnissen des gewerblichen Lebens durch eine schnelle, sach¬
kundige und wohlfeile Entscheidung gerecht zu werden, als in einem schwer¬
fälligen und kostspieligen Prozeßverfahren nach dem Buchstaben des Gesetzes
zwischen den streitenden Parteien das strenge Recht auszumitteln. nötigen¬
falls könnte man dem Verlangen nach größern Nechtsbürgschaften leicht dadurch
Rechnung tragen, daß man gegen die Urteile der Gewerbeschiedsgerichte im An¬
schluß an Z 120a Absatz 2 der Gewerbeordnung oder an einzelne Ortsstatutcn
die Berufung auf den Rechtsweg binnen zehn Tagen oder die außerordentlichen
Rechtsmittel der Zivilprozeßordnung (Nichtigkeits- und Nestitutionsklage) ge¬
stattete, und gegen die Entscheidungen der Einigungsämter etwa die Berufung
an eine Spezialabteilung des Neichsamtes des Innern einführte, welche wie das
Reichsversichernngsamt als Sonderbehörde für die oben bezeichneten Aufgaben
abgezweigt werden könnte. Empfehlenswerter würde es freilich sein, solche Bürg¬
schaften durch Hebung und Verbesserung des Fabrikinspektorats überflüssig zu
machen, d. h. es käme darauf an, mit Rücksicht auf den erweiterten hochwich¬
tigen Wirkungskreis der Fabrikinspektoren diesen durchweg -- etwa nach dem
Vorgange Preußens -- eine erhöhte Stellung zu geben und die Befähigung
zum Vorsitz bei den Gewerbeschiedsgerichten und Einigungsämtern vielleicht an
gewisse juristische und nationalökonomische Vorkenntnisse zu binden.

Zum Schluß möchten wir nochmals betonen, daß die in Vorschlag ge¬
brachten Abänderungen sich durchweg auf dem Boden der Gewerbeordnung
bewegen, und daß die Lösung der behandelten Fragen im Interesse des sozialen
Friedens und der deutschen Industrie kaum länger aufschiebbar erscheint, wenn
nicht die stetig zunehmenden Streikbewegungen zu einer chronischen Krankheit
unsers Wirtschaftslebens werden sollen.




Amerikanische und deutsche Gewcrbeschiedsgerichte und Tinigungsäinter.

durch Aufstellung unwahrer Thatsachen und durch falsche Verallgemeinerung
an sich richtiger Einzelheiten die Lage der Arbeiterschaft als ganz trostlos darzu¬
stellen. Die Bestimmung über die Abgrenzung der Untersuchungsgebiete und über
die Aufstellungsform des Materials müßte zur Wahrung des einheitlichen Cha¬
rakters der Erhebungen wohl dem Neichsamte des Innern vorbehalten bleiben,
während die weiteren Ausführungsbestimmungen, insbesondre auch die Über¬
weisung etwaiger Hilfsbeamten der landesgesetzlichen Regelung unterliegen würden.

Es bleibt noch die Frage übrig, ob die Übertragung der im vorstehenden
dargelegten Aufgaben, insbesondre des Vorsitzes bei den Gewerbeschiedsgerichten
und Einigungsümtern, an die Gewerberäte und Fabrikinspektoren wesentlichen
Bedenken unterliegen würde. In dieser Beziehung darf daran erinnert werden,
daß es sich bei der Regelung von Lohnstreitigkeiten viel mehr darum handelt,
den praktischen Bedürfnissen des gewerblichen Lebens durch eine schnelle, sach¬
kundige und wohlfeile Entscheidung gerecht zu werden, als in einem schwer¬
fälligen und kostspieligen Prozeßverfahren nach dem Buchstaben des Gesetzes
zwischen den streitenden Parteien das strenge Recht auszumitteln. nötigen¬
falls könnte man dem Verlangen nach größern Nechtsbürgschaften leicht dadurch
Rechnung tragen, daß man gegen die Urteile der Gewerbeschiedsgerichte im An¬
schluß an Z 120a Absatz 2 der Gewerbeordnung oder an einzelne Ortsstatutcn
die Berufung auf den Rechtsweg binnen zehn Tagen oder die außerordentlichen
Rechtsmittel der Zivilprozeßordnung (Nichtigkeits- und Nestitutionsklage) ge¬
stattete, und gegen die Entscheidungen der Einigungsämter etwa die Berufung
an eine Spezialabteilung des Neichsamtes des Innern einführte, welche wie das
Reichsversichernngsamt als Sonderbehörde für die oben bezeichneten Aufgaben
abgezweigt werden könnte. Empfehlenswerter würde es freilich sein, solche Bürg¬
schaften durch Hebung und Verbesserung des Fabrikinspektorats überflüssig zu
machen, d. h. es käme darauf an, mit Rücksicht auf den erweiterten hochwich¬
tigen Wirkungskreis der Fabrikinspektoren diesen durchweg — etwa nach dem
Vorgange Preußens — eine erhöhte Stellung zu geben und die Befähigung
zum Vorsitz bei den Gewerbeschiedsgerichten und Einigungsämtern vielleicht an
gewisse juristische und nationalökonomische Vorkenntnisse zu binden.

Zum Schluß möchten wir nochmals betonen, daß die in Vorschlag ge¬
brachten Abänderungen sich durchweg auf dem Boden der Gewerbeordnung
bewegen, und daß die Lösung der behandelten Fragen im Interesse des sozialen
Friedens und der deutschen Industrie kaum länger aufschiebbar erscheint, wenn
nicht die stetig zunehmenden Streikbewegungen zu einer chronischen Krankheit
unsers Wirtschaftslebens werden sollen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/624>, abgerufen am 27.07.2024.