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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Ministorkrisis in Preußen.

Recht und die dringende Verpflichtung, ihre Grundsätze in der ganzen Beamten¬
welt, also nicht bloß bei den politischen Beamten, rücksichtslos zur Anerkennung
zu bringen, und man sollte meinen, daß es für diese Befugnis und diese Pflicht
gleichgiltig sei, ob eine liberale oder eine konservative Negierung das Staats¬
schiff steuert. Oder machen die Herren Kameraden im freisinnigen Lager auch
hier wie in andern Fragen den Unterschied geltend, den Junker Alexander
zwischen seiner Kuh und der des Bauern fand?

Ein Rückblick auf die Debatten über den Erlaß von 1882 und ein Ver¬
gleich der damaligen Stellung der Radikalen zu der Krone mit der, welche sie
jetzt einnehmen, zeigt aber noch eine andre Seite der Sache: man erkennt jetzt
auch in diesem Lager an, oder thut wenigstens so, als ob man anerkenne, daß
Preußen eines seine Negierung persönlich leitenden Monarchen bedarf, und daß
dieses Bedürfnis in der Verfassung erfüllt und festgestellt ist, während man
dies früher und noch 1882 lebhaft bestritt, indem man dagegen die Theorie des
Parlamentarismus, nach welcher der König nur herrschen, aber nicht regieren
soll, ins Feld führte. "Es ist ganz erklärlich -- sagte Bismarck damals
(am 24. Januar 1882) zur Opposition --, wenn man sich denkt, daß in Ihrer
Verehrung der König so hoch steht ... bis in die Wolken hinein, wo ihn kein
Mensch mehr merkt und spürt. . . . Nicht aus Herrschsucht stellen Sie ihn so
hoch, nein, aus lauter Verehrung für das Königtum, sodaß er zuletzt, wie
früher der geistliche Kaiser in Japan, alle Jahre nur einmal, an einem hohen
Festtage, gezeigt wird, von unter, auf einem Gitter gehend, sodaß man nur
seine Sohlen schen kann. Auf diese Weise wird jedenfalls eine konstitutionelle
Hausmeierei ansgebildet, noch mehr, als sie bei den Karolingern mit ihren
Schattenkönigen bestand. Bei uns aber regiert der König selbst; die Minister
redigiren wohl, was der König befohlen hat, aber sie regieren nicht. "Dein
Könige allein -- sagt die Verfassung -- steht die vollziehende Gewalt zu" --
von deu Ministem ist dabei gar nicht die Rede. "Der König besetzt -- heißt es
weiter -- alle Stellen in allen Zweigen des Staatsdienstes" -- auch da wird
der Minister nicht gedacht. "Die gesetzgebende Gewalt endlich wird gemein¬
schaftlich durch deu König und zwei Kammern ausgeübt." Ja, das preußische
Volk hat die beiden Kammern acceptirt, sodaß die früher dem Könige allein
zustehende gesetzgebende Gewalt geteilt wurde. Der König hat den beiden
Kammern zwei Drittel der Legislative abgetreten, das ist bei uus geschriebenes
Recht; aber wenn das letzte Drittel noch auf ein Ministerium ^übertragen werden
soll"j, das der König ernennen kann, wie ich früher einen Gerichtshalter ernennen
konnte und uoch jetzt unter Umständen einen Pfarrer ernennen kann -- ist er
aber einmal ernannt, so steht er mir gegenüber unabsetzbar da, und unabsetzbar
ist ein Minister, wenn er eine starke Majorität in einer Kammer oder gar in
beiden Kammern oder im Reichstage hat und diese Majorität befriedigt mit
Rechten und Konzessionen, die er dem Könige abgewinnt. ... Die Verfassung


Die Ministorkrisis in Preußen.

Recht und die dringende Verpflichtung, ihre Grundsätze in der ganzen Beamten¬
welt, also nicht bloß bei den politischen Beamten, rücksichtslos zur Anerkennung
zu bringen, und man sollte meinen, daß es für diese Befugnis und diese Pflicht
gleichgiltig sei, ob eine liberale oder eine konservative Negierung das Staats¬
schiff steuert. Oder machen die Herren Kameraden im freisinnigen Lager auch
hier wie in andern Fragen den Unterschied geltend, den Junker Alexander
zwischen seiner Kuh und der des Bauern fand?

Ein Rückblick auf die Debatten über den Erlaß von 1882 und ein Ver¬
gleich der damaligen Stellung der Radikalen zu der Krone mit der, welche sie
jetzt einnehmen, zeigt aber noch eine andre Seite der Sache: man erkennt jetzt
auch in diesem Lager an, oder thut wenigstens so, als ob man anerkenne, daß
Preußen eines seine Negierung persönlich leitenden Monarchen bedarf, und daß
dieses Bedürfnis in der Verfassung erfüllt und festgestellt ist, während man
dies früher und noch 1882 lebhaft bestritt, indem man dagegen die Theorie des
Parlamentarismus, nach welcher der König nur herrschen, aber nicht regieren
soll, ins Feld führte. „Es ist ganz erklärlich — sagte Bismarck damals
(am 24. Januar 1882) zur Opposition —, wenn man sich denkt, daß in Ihrer
Verehrung der König so hoch steht ... bis in die Wolken hinein, wo ihn kein
Mensch mehr merkt und spürt. . . . Nicht aus Herrschsucht stellen Sie ihn so
hoch, nein, aus lauter Verehrung für das Königtum, sodaß er zuletzt, wie
früher der geistliche Kaiser in Japan, alle Jahre nur einmal, an einem hohen
Festtage, gezeigt wird, von unter, auf einem Gitter gehend, sodaß man nur
seine Sohlen schen kann. Auf diese Weise wird jedenfalls eine konstitutionelle
Hausmeierei ansgebildet, noch mehr, als sie bei den Karolingern mit ihren
Schattenkönigen bestand. Bei uns aber regiert der König selbst; die Minister
redigiren wohl, was der König befohlen hat, aber sie regieren nicht. »Dein
Könige allein — sagt die Verfassung — steht die vollziehende Gewalt zu« —
von deu Ministem ist dabei gar nicht die Rede. »Der König besetzt — heißt es
weiter — alle Stellen in allen Zweigen des Staatsdienstes« — auch da wird
der Minister nicht gedacht. »Die gesetzgebende Gewalt endlich wird gemein¬
schaftlich durch deu König und zwei Kammern ausgeübt.« Ja, das preußische
Volk hat die beiden Kammern acceptirt, sodaß die früher dem Könige allein
zustehende gesetzgebende Gewalt geteilt wurde. Der König hat den beiden
Kammern zwei Drittel der Legislative abgetreten, das ist bei uus geschriebenes
Recht; aber wenn das letzte Drittel noch auf ein Ministerium ^übertragen werden
soll"j, das der König ernennen kann, wie ich früher einen Gerichtshalter ernennen
konnte und uoch jetzt unter Umständen einen Pfarrer ernennen kann — ist er
aber einmal ernannt, so steht er mir gegenüber unabsetzbar da, und unabsetzbar
ist ein Minister, wenn er eine starke Majorität in einer Kammer oder gar in
beiden Kammern oder im Reichstage hat und diese Majorität befriedigt mit
Rechten und Konzessionen, die er dem Könige abgewinnt. ... Die Verfassung


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[0596] Die Ministorkrisis in Preußen. Recht und die dringende Verpflichtung, ihre Grundsätze in der ganzen Beamten¬ welt, also nicht bloß bei den politischen Beamten, rücksichtslos zur Anerkennung zu bringen, und man sollte meinen, daß es für diese Befugnis und diese Pflicht gleichgiltig sei, ob eine liberale oder eine konservative Negierung das Staats¬ schiff steuert. Oder machen die Herren Kameraden im freisinnigen Lager auch hier wie in andern Fragen den Unterschied geltend, den Junker Alexander zwischen seiner Kuh und der des Bauern fand? Ein Rückblick auf die Debatten über den Erlaß von 1882 und ein Ver¬ gleich der damaligen Stellung der Radikalen zu der Krone mit der, welche sie jetzt einnehmen, zeigt aber noch eine andre Seite der Sache: man erkennt jetzt auch in diesem Lager an, oder thut wenigstens so, als ob man anerkenne, daß Preußen eines seine Negierung persönlich leitenden Monarchen bedarf, und daß dieses Bedürfnis in der Verfassung erfüllt und festgestellt ist, während man dies früher und noch 1882 lebhaft bestritt, indem man dagegen die Theorie des Parlamentarismus, nach welcher der König nur herrschen, aber nicht regieren soll, ins Feld führte. „Es ist ganz erklärlich — sagte Bismarck damals (am 24. Januar 1882) zur Opposition —, wenn man sich denkt, daß in Ihrer Verehrung der König so hoch steht ... bis in die Wolken hinein, wo ihn kein Mensch mehr merkt und spürt. . . . Nicht aus Herrschsucht stellen Sie ihn so hoch, nein, aus lauter Verehrung für das Königtum, sodaß er zuletzt, wie früher der geistliche Kaiser in Japan, alle Jahre nur einmal, an einem hohen Festtage, gezeigt wird, von unter, auf einem Gitter gehend, sodaß man nur seine Sohlen schen kann. Auf diese Weise wird jedenfalls eine konstitutionelle Hausmeierei ansgebildet, noch mehr, als sie bei den Karolingern mit ihren Schattenkönigen bestand. Bei uns aber regiert der König selbst; die Minister redigiren wohl, was der König befohlen hat, aber sie regieren nicht. »Dein Könige allein — sagt die Verfassung — steht die vollziehende Gewalt zu« — von deu Ministem ist dabei gar nicht die Rede. »Der König besetzt — heißt es weiter — alle Stellen in allen Zweigen des Staatsdienstes« — auch da wird der Minister nicht gedacht. »Die gesetzgebende Gewalt endlich wird gemein¬ schaftlich durch deu König und zwei Kammern ausgeübt.« Ja, das preußische Volk hat die beiden Kammern acceptirt, sodaß die früher dem Könige allein zustehende gesetzgebende Gewalt geteilt wurde. Der König hat den beiden Kammern zwei Drittel der Legislative abgetreten, das ist bei uus geschriebenes Recht; aber wenn das letzte Drittel noch auf ein Ministerium ^übertragen werden soll"j, das der König ernennen kann, wie ich früher einen Gerichtshalter ernennen konnte und uoch jetzt unter Umständen einen Pfarrer ernennen kann — ist er aber einmal ernannt, so steht er mir gegenüber unabsetzbar da, und unabsetzbar ist ein Minister, wenn er eine starke Majorität in einer Kammer oder gar in beiden Kammern oder im Reichstage hat und diese Majorität befriedigt mit Rechten und Konzessionen, die er dem Könige abgewinnt. ... Die Verfassung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/596>, abgerufen am 28.07.2024.