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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Mmistorkrisis in Preußen.

auf jede Weise die Vorstellung zu verbreiten, er gehöre im Grunde des Herzens
unter ihre Fahne. Man durfte hiernach vermuten, daß die oben angeführten
Mitteilungen in dieses System gehörten und unter den Erfahrungssatz
fielen, nach welchem oft gehofft oder als bereits geschehen dargestellt wird,
was man wünscht, und diese Vermutung schien sich dann insofern zu be¬
stätigen, als von gewöhnlich gut unterrichteter Seite berichtet wurde, daß
"man in maßgebenden Kreisen von einer Ministerkrisis nichts wisse," daß "die
Stellung des Herrn von Puttkamer nicht erschüttert sei, und er selbst keine
Rücktrittsgedanken hege," und daß endlich von einer Erklärung des Gesamt¬
ministeriums, sich mit ihm solidarisch zu wissen, "gar nicht die Rede gewesen
sei." Gleichwohl wurde man durch die Lage der Dinge an das Sprichwort
erinnert, daß wo ein Rauch ist, auch ein Feuer sein muß, und das traf denn
auch zu. Die Freisinnigen hatten, soweit es sich um die in Schloß Friedrichs-
kron herrschenden An- und Absichten handelte, im ganzen aus guter Quelle
geschöpft. Zunächst war sicher, daß wegen der Veröffentlichung des vom Könige
unterschriebenen Gesetzes über die Verlängerung der Legislaturperioden des Land¬
tages noch Verhandlungen schwebten, die mit der Absicht des Monarchen, eine
stärkere Sicherung der Wahlfreiheit herbeizuführen, zusammenhingen. Dann
erfolgte die Veröffentlichung, aber fast gleichzeitig mit ihr das durch ein kaiser¬
liches Schreiben mittelbar veranlaßte Entlasfungsgesuch des Ministers des
Innern und dessen Genehmigung. Über die Stellung des Fürsten Bismarck
zu jenem Wunsche bestehen nur Vermutungen, die dahin gehen, daß er noch
an den Grundsätzen festhält, zu denen sich der Erlaß des Königs Wilhelm vom
4. Januar 1882 bekannte, und die der Ministerpräsident damals mit Eifer ver¬
teidigte. Es ist kaum zu bezweifeln, daß die Angelegenheit schließlich in Über¬
einstimmung mit seiner Ansicht erledigt werden wird, obwohl am Hofe Einflüsse
von entgegengesetzter Natur zur Geltung zu gelangen streben und nicht ohne
Aussicht sein sollen.

Der Erlaß vom 4. Januar 1882 hatte erklärt, es sei für die Beamten,
welche mit der Ausführung der Negierungsakte des Königs betraut seien, dienst¬
eidlich beschworne Pflicht, jeder Wahlagitation gegen die Negierung fern zu
bleiben und die verfassungsmäßigen Rechte der Krone durch Verwahrung gegen
Zweifel und Verdunkelung zu vertreten. Der Reichskanzler erläuterte dies in
der Kürze folgendermaßen: "Daß ein Beamter bei seiner eignen Wahl sich
seines Eides erinnern sollte, wird gar nicht verlangt. . . Die Ausübung seines
eignen Wahlrechtes ist vollständig frei. . . Der Erlaß wendet sich ausdrücklich
gegen die Art der Beamten, außerhalb der eignen Wahl thätig zu sein, und
unterscheidet da zwischen zwei Kategorien der Beamten, den politischen und
den unpolitischen." Nur von den ersteren behauptet, wie der Kanzler weiter
erklärte, der Erlaß, daß ihr Eid sie verpflichte, die Politik der Regierung zu
vertreten, und das legte der Redner mit den Worten aus: "Ich verstehe darunter,


Die Mmistorkrisis in Preußen.

auf jede Weise die Vorstellung zu verbreiten, er gehöre im Grunde des Herzens
unter ihre Fahne. Man durfte hiernach vermuten, daß die oben angeführten
Mitteilungen in dieses System gehörten und unter den Erfahrungssatz
fielen, nach welchem oft gehofft oder als bereits geschehen dargestellt wird,
was man wünscht, und diese Vermutung schien sich dann insofern zu be¬
stätigen, als von gewöhnlich gut unterrichteter Seite berichtet wurde, daß
„man in maßgebenden Kreisen von einer Ministerkrisis nichts wisse," daß „die
Stellung des Herrn von Puttkamer nicht erschüttert sei, und er selbst keine
Rücktrittsgedanken hege," und daß endlich von einer Erklärung des Gesamt¬
ministeriums, sich mit ihm solidarisch zu wissen, „gar nicht die Rede gewesen
sei." Gleichwohl wurde man durch die Lage der Dinge an das Sprichwort
erinnert, daß wo ein Rauch ist, auch ein Feuer sein muß, und das traf denn
auch zu. Die Freisinnigen hatten, soweit es sich um die in Schloß Friedrichs-
kron herrschenden An- und Absichten handelte, im ganzen aus guter Quelle
geschöpft. Zunächst war sicher, daß wegen der Veröffentlichung des vom Könige
unterschriebenen Gesetzes über die Verlängerung der Legislaturperioden des Land¬
tages noch Verhandlungen schwebten, die mit der Absicht des Monarchen, eine
stärkere Sicherung der Wahlfreiheit herbeizuführen, zusammenhingen. Dann
erfolgte die Veröffentlichung, aber fast gleichzeitig mit ihr das durch ein kaiser¬
liches Schreiben mittelbar veranlaßte Entlasfungsgesuch des Ministers des
Innern und dessen Genehmigung. Über die Stellung des Fürsten Bismarck
zu jenem Wunsche bestehen nur Vermutungen, die dahin gehen, daß er noch
an den Grundsätzen festhält, zu denen sich der Erlaß des Königs Wilhelm vom
4. Januar 1882 bekannte, und die der Ministerpräsident damals mit Eifer ver¬
teidigte. Es ist kaum zu bezweifeln, daß die Angelegenheit schließlich in Über¬
einstimmung mit seiner Ansicht erledigt werden wird, obwohl am Hofe Einflüsse
von entgegengesetzter Natur zur Geltung zu gelangen streben und nicht ohne
Aussicht sein sollen.

Der Erlaß vom 4. Januar 1882 hatte erklärt, es sei für die Beamten,
welche mit der Ausführung der Negierungsakte des Königs betraut seien, dienst¬
eidlich beschworne Pflicht, jeder Wahlagitation gegen die Negierung fern zu
bleiben und die verfassungsmäßigen Rechte der Krone durch Verwahrung gegen
Zweifel und Verdunkelung zu vertreten. Der Reichskanzler erläuterte dies in
der Kürze folgendermaßen: „Daß ein Beamter bei seiner eignen Wahl sich
seines Eides erinnern sollte, wird gar nicht verlangt. . . Die Ausübung seines
eignen Wahlrechtes ist vollständig frei. . . Der Erlaß wendet sich ausdrücklich
gegen die Art der Beamten, außerhalb der eignen Wahl thätig zu sein, und
unterscheidet da zwischen zwei Kategorien der Beamten, den politischen und
den unpolitischen." Nur von den ersteren behauptet, wie der Kanzler weiter
erklärte, der Erlaß, daß ihr Eid sie verpflichte, die Politik der Regierung zu
vertreten, und das legte der Redner mit den Worten aus: „Ich verstehe darunter,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/594>, abgerufen am 28.07.2024.