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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Studium der alten Sprachen ans den Gymnasien,

genügendem Maße hervorgerufen und genährt werde, bestreite ich aufs entschie¬
denste. Anstatt den Schüler für den poetischen Wert, oder den Wvhlklcing z. B.
der Verse zu begeistern, mit denen Ovid seine Schilderung des goldenen Zeit¬
alters schließt:


UonänM v!>.vsg, SM8, xoi-sZrinnm ut vissrst ol'dom,
Noutidus in licMÜs," xiwis äososnäsrat unä->,g,
UnUacino mort^los iirÄstor su" ultor" uai'o.ut --

löst man sie in Prosa auf und zwingt den Schüler, sie mühsam wieder zu
Hexametern zusammenzusetzen; anstatt ihm zu sagen, daß der Vers Homers:


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in sechs Worten die Quintessenz aller politischen Weisheit enthält, cxplizirt man
ihm lang und breit: eigentlich müßte es nicht "/"^vo, sondern "/"S^ heißen,
Homer habe aber ganz besondre Gründe gehabt, hier nicht das Femininum,
sondern das Neutrum zu brauchen. So müssen sogar Ovid und Homer zu
Marterinstrumenten für die Jugend werden.

Ist nun hierin den Lehrern eine Schuld beizumessen? Ich sage: Nein!
Damit der Lehrer dasjenige leiste, was ich als seine Aufgabe bezeichnet habe
(und ich wiederhole es: diese Aufgabe ist unerläßlich), ist vor allem erforderlich,
daß er selbst mit dem Altertum nach jeder Richtung vertraut sei, daß er es
in seiner ganzen Bedeutung und Herrlichkeit erkannt und erfaßt habe, zumeist
in der Poesie und der bildenden Kunst. Woher soll dem Lehrer dies kommen?
Aus gelehrten Büchern oder aus den Vorlesungen auf der Universität? Das
hieße Trauben vom Dornbusch lesen wollen!

Wie ist nun da zu helfen? Ich weiß ein Mittel und zwar ein sehr
einfaches.

Wer das Altertum wirklich kennen und erfassen, wer es lieben lernen will,
für den ist unerläßlich, daß er die Stätten desselben betrete; nur dort ver¬
wandelt das Wissen sich in Verständnis. Das wird mir jeder bestätigen, der
lange genug in Italien verweilt und dort mit offnen, Auge gesehen hat.
Wohlan: schaffe man hierzu die Möglichkeit. Man errichte in Rom ein deutsches
philologisches Institut, ähnlich dem dort seit langer Zeit schon vorhandnen
archäologischen. In diesem gewähre man hundert sorgsam ausgewählten jungen
Philologen, welche ihr akademisches Studium beendigt haben, vollständig freie
Aufnahme für einen einjährigen Kursus der Altertumskunde; man mache sie
eingehend bekannt mit den lokalen, den politischen und den sozialen Verhältnissen
des alten Roms, vor allem aber mit Roms Schätzen an antiker Kunst. Man
führe sie an die historisch oder poetisch bedeutenden Stätten, nach Albalonga,
zur Quelle der Egeria, zu den Ruinen von Veji, nach Corioli, zum Acus saosr,
auf den Monte Mario, wo Cincinnatus pflügte, an die Stelle, wo Cäsar er¬
mordet wurde (nicht auf den, Capitol, wie Polonius fälschlich in die Welt gesetzt


Gu'nzbowl II. 1888. 72
Das Studium der alten Sprachen ans den Gymnasien,

genügendem Maße hervorgerufen und genährt werde, bestreite ich aufs entschie¬
denste. Anstatt den Schüler für den poetischen Wert, oder den Wvhlklcing z. B.
der Verse zu begeistern, mit denen Ovid seine Schilderung des goldenen Zeit¬
alters schließt:


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Noutidus in licMÜs,» xiwis äososnäsrat unä->,g,
UnUacino mort^los iirÄstor su» ultor» uai'o.ut —

löst man sie in Prosa auf und zwingt den Schüler, sie mühsam wieder zu
Hexametern zusammenzusetzen; anstatt ihm zu sagen, daß der Vers Homers:


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in sechs Worten die Quintessenz aller politischen Weisheit enthält, cxplizirt man
ihm lang und breit: eigentlich müßte es nicht «/«^vo, sondern «/«S^ heißen,
Homer habe aber ganz besondre Gründe gehabt, hier nicht das Femininum,
sondern das Neutrum zu brauchen. So müssen sogar Ovid und Homer zu
Marterinstrumenten für die Jugend werden.

Ist nun hierin den Lehrern eine Schuld beizumessen? Ich sage: Nein!
Damit der Lehrer dasjenige leiste, was ich als seine Aufgabe bezeichnet habe
(und ich wiederhole es: diese Aufgabe ist unerläßlich), ist vor allem erforderlich,
daß er selbst mit dem Altertum nach jeder Richtung vertraut sei, daß er es
in seiner ganzen Bedeutung und Herrlichkeit erkannt und erfaßt habe, zumeist
in der Poesie und der bildenden Kunst. Woher soll dem Lehrer dies kommen?
Aus gelehrten Büchern oder aus den Vorlesungen auf der Universität? Das
hieße Trauben vom Dornbusch lesen wollen!

Wie ist nun da zu helfen? Ich weiß ein Mittel und zwar ein sehr
einfaches.

Wer das Altertum wirklich kennen und erfassen, wer es lieben lernen will,
für den ist unerläßlich, daß er die Stätten desselben betrete; nur dort ver¬
wandelt das Wissen sich in Verständnis. Das wird mir jeder bestätigen, der
lange genug in Italien verweilt und dort mit offnen, Auge gesehen hat.
Wohlan: schaffe man hierzu die Möglichkeit. Man errichte in Rom ein deutsches
philologisches Institut, ähnlich dem dort seit langer Zeit schon vorhandnen
archäologischen. In diesem gewähre man hundert sorgsam ausgewählten jungen
Philologen, welche ihr akademisches Studium beendigt haben, vollständig freie
Aufnahme für einen einjährigen Kursus der Altertumskunde; man mache sie
eingehend bekannt mit den lokalen, den politischen und den sozialen Verhältnissen
des alten Roms, vor allem aber mit Roms Schätzen an antiker Kunst. Man
führe sie an die historisch oder poetisch bedeutenden Stätten, nach Albalonga,
zur Quelle der Egeria, zu den Ruinen von Veji, nach Corioli, zum Acus saosr,
auf den Monte Mario, wo Cincinnatus pflügte, an die Stelle, wo Cäsar er¬
mordet wurde (nicht auf den, Capitol, wie Polonius fälschlich in die Welt gesetzt


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[0577] Das Studium der alten Sprachen ans den Gymnasien, genügendem Maße hervorgerufen und genährt werde, bestreite ich aufs entschie¬ denste. Anstatt den Schüler für den poetischen Wert, oder den Wvhlklcing z. B. der Verse zu begeistern, mit denen Ovid seine Schilderung des goldenen Zeit¬ alters schließt: UonänM v!>.vsg, SM8, xoi-sZrinnm ut vissrst ol'dom, Noutidus in licMÜs,» xiwis äososnäsrat unä->,g, UnUacino mort^los iirÄstor su» ultor» uai'o.ut — löst man sie in Prosa auf und zwingt den Schüler, sie mühsam wieder zu Hexametern zusammenzusetzen; anstatt ihm zu sagen, daß der Vers Homers: O^x «/«Fo^ ?ro/!,'vxo/-^«v»?, eis X0l^«^os x-77V,> in sechs Worten die Quintessenz aller politischen Weisheit enthält, cxplizirt man ihm lang und breit: eigentlich müßte es nicht «/«^vo, sondern «/«S^ heißen, Homer habe aber ganz besondre Gründe gehabt, hier nicht das Femininum, sondern das Neutrum zu brauchen. So müssen sogar Ovid und Homer zu Marterinstrumenten für die Jugend werden. Ist nun hierin den Lehrern eine Schuld beizumessen? Ich sage: Nein! Damit der Lehrer dasjenige leiste, was ich als seine Aufgabe bezeichnet habe (und ich wiederhole es: diese Aufgabe ist unerläßlich), ist vor allem erforderlich, daß er selbst mit dem Altertum nach jeder Richtung vertraut sei, daß er es in seiner ganzen Bedeutung und Herrlichkeit erkannt und erfaßt habe, zumeist in der Poesie und der bildenden Kunst. Woher soll dem Lehrer dies kommen? Aus gelehrten Büchern oder aus den Vorlesungen auf der Universität? Das hieße Trauben vom Dornbusch lesen wollen! Wie ist nun da zu helfen? Ich weiß ein Mittel und zwar ein sehr einfaches. Wer das Altertum wirklich kennen und erfassen, wer es lieben lernen will, für den ist unerläßlich, daß er die Stätten desselben betrete; nur dort ver¬ wandelt das Wissen sich in Verständnis. Das wird mir jeder bestätigen, der lange genug in Italien verweilt und dort mit offnen, Auge gesehen hat. Wohlan: schaffe man hierzu die Möglichkeit. Man errichte in Rom ein deutsches philologisches Institut, ähnlich dem dort seit langer Zeit schon vorhandnen archäologischen. In diesem gewähre man hundert sorgsam ausgewählten jungen Philologen, welche ihr akademisches Studium beendigt haben, vollständig freie Aufnahme für einen einjährigen Kursus der Altertumskunde; man mache sie eingehend bekannt mit den lokalen, den politischen und den sozialen Verhältnissen des alten Roms, vor allem aber mit Roms Schätzen an antiker Kunst. Man führe sie an die historisch oder poetisch bedeutenden Stätten, nach Albalonga, zur Quelle der Egeria, zu den Ruinen von Veji, nach Corioli, zum Acus saosr, auf den Monte Mario, wo Cincinnatus pflügte, an die Stelle, wo Cäsar er¬ mordet wurde (nicht auf den, Capitol, wie Polonius fälschlich in die Welt gesetzt Gu'nzbowl II. 1888. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/577>, abgerufen am 01.09.2024.