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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Äiels Lyhiil".

stets treu sei" gegen mich selber wie gegen das, was ich besitze, nur das Beste
soll mir gut genug sein und nicht mehr, ich will nicht ruhen noch rasten,
Mutter; merke ich, daß das, was ich gebildet habe, nicht rein ist, oder kann ich
hören, daß es Risse oder Schrammen hat, zurück damit in den Tiegel -- stets
das Höchste, was ich zu thun vermag! Verstehst du wohl, daß es für mich
ein Bedürfnis ist, zu versprechen? Es ist Dankbarkeit für all meinen Reich¬
tum, was mich zu diesen Gelübden treibt, nud du sollst sie annehmen, und es
soll eine Sünde sein, die ich dir gegenüber und dem Höchsten gegenüber begehe,
wenn ich abtrünnig werde. Habe ich es denn nicht dir zu verdanken, daß meine
Seele so ausgeweidet ist, haben nicht deine Träume und deine Sehnsucht meine
Fähigkeiten zur Blüte gebracht, und bin ich nicht durch deine Liebe und deinen
nie gestillten Durst nach Schönheit zu dein geweiht, was die Aufgabe meines
Lebens sein soll?

Frau Lyhne weinte leise vor sich hin. Sie fühlte, wie sie vor Glück erbleichte.

Sanft legte sie ihre beiden Hände auf das Haupt des Sohnes, und er
zog sie leise an seine Lippen und küßte sie.

Dn hast mich so glücklich gemacht, Ricks -- nnn ist mein Leben doch kein
langer, nutzloser Seufzer gewesen, hat es dich doch gefördert, so wie ich es
von Herzen gehofft und geträumt habe. Mein Gott, wie unendlich oft habe
ich das nicht gekrümmt! Und doch mischt sich so viel Wehmut in diese Freude,
Ricks! Warum muß auch gerade jetzt mein liebster Wunsch erfüllt werden,
mein Wunsch, den ich so lange, lange Jahre gehegt! Jetzt, wo ich nicht mehr
lange zu leben habe, naht sich die Erfüllung.

So mußt du nicht reden, das darfst du nicht, deine Genesung schreitet ja
weiter, von Tag zu Tag wirst du kräftiger, liebe Mutter, nicht wahr?

Ich möchte so ungern sterben, seufzte sie leise. Weißt dn, woran ich in
den langen, schlaflosen Nächten denken mußte, als mir der Tod so schrecklich
nahe schien? Das, was nur da am schwersten wurde, war der Gedanke, daß es da
draußen in der Welt so viel Großes und Schönes giebt, und daß ich nun sterben
sollte, ohne es gesehen zu haben. Ich dachte an die tausend und abertausend
Seelen, die es mit Wonne erfüllt, zu deren Entfaltung es beigetragen, für mich
aber war es gar nicht dagewesen, und wenn nun meine Seele arm und auf
matten Schwingen davonflog, dann nahm sie nicht in reichen Erinnerungen
einen goldnen Abglanz von den Herrlichkeiten ihres Heimatslandes mit sich, sie
hatte ja uur im Ofenwinkel gesessen und dein Märchen von der wunderbaren
Erde gelauscht. O Ricks, kein Mensch kann verstehen, welch unsagbares Elend
es war, so gefesselt in der Dämmerung des dumpfen Krankenzimmers zu liegen
und in der fieberumfangcucn Phantasie sich die Schönheit nie gesehener Ge¬
genden vor die Seele zu rufen, schneebedeckte Alpengipfel über blauschwarzen
Seen, blanke Flüsse inmitten langgestreckter Berge, auf denen Ruinen zwischen
den Wäldern hervorblicken, oder anch hohe Säle und Marmvrgöttcr. Ach


Grcuzbvwu II. ?MZ. t!9
Äiels Lyhiil».

stets treu sei» gegen mich selber wie gegen das, was ich besitze, nur das Beste
soll mir gut genug sein und nicht mehr, ich will nicht ruhen noch rasten,
Mutter; merke ich, daß das, was ich gebildet habe, nicht rein ist, oder kann ich
hören, daß es Risse oder Schrammen hat, zurück damit in den Tiegel — stets
das Höchste, was ich zu thun vermag! Verstehst du wohl, daß es für mich
ein Bedürfnis ist, zu versprechen? Es ist Dankbarkeit für all meinen Reich¬
tum, was mich zu diesen Gelübden treibt, nud du sollst sie annehmen, und es
soll eine Sünde sein, die ich dir gegenüber und dem Höchsten gegenüber begehe,
wenn ich abtrünnig werde. Habe ich es denn nicht dir zu verdanken, daß meine
Seele so ausgeweidet ist, haben nicht deine Träume und deine Sehnsucht meine
Fähigkeiten zur Blüte gebracht, und bin ich nicht durch deine Liebe und deinen
nie gestillten Durst nach Schönheit zu dein geweiht, was die Aufgabe meines
Lebens sein soll?

Frau Lyhne weinte leise vor sich hin. Sie fühlte, wie sie vor Glück erbleichte.

Sanft legte sie ihre beiden Hände auf das Haupt des Sohnes, und er
zog sie leise an seine Lippen und küßte sie.

Dn hast mich so glücklich gemacht, Ricks — nnn ist mein Leben doch kein
langer, nutzloser Seufzer gewesen, hat es dich doch gefördert, so wie ich es
von Herzen gehofft und geträumt habe. Mein Gott, wie unendlich oft habe
ich das nicht gekrümmt! Und doch mischt sich so viel Wehmut in diese Freude,
Ricks! Warum muß auch gerade jetzt mein liebster Wunsch erfüllt werden,
mein Wunsch, den ich so lange, lange Jahre gehegt! Jetzt, wo ich nicht mehr
lange zu leben habe, naht sich die Erfüllung.

So mußt du nicht reden, das darfst du nicht, deine Genesung schreitet ja
weiter, von Tag zu Tag wirst du kräftiger, liebe Mutter, nicht wahr?

Ich möchte so ungern sterben, seufzte sie leise. Weißt dn, woran ich in
den langen, schlaflosen Nächten denken mußte, als mir der Tod so schrecklich
nahe schien? Das, was nur da am schwersten wurde, war der Gedanke, daß es da
draußen in der Welt so viel Großes und Schönes giebt, und daß ich nun sterben
sollte, ohne es gesehen zu haben. Ich dachte an die tausend und abertausend
Seelen, die es mit Wonne erfüllt, zu deren Entfaltung es beigetragen, für mich
aber war es gar nicht dagewesen, und wenn nun meine Seele arm und auf
matten Schwingen davonflog, dann nahm sie nicht in reichen Erinnerungen
einen goldnen Abglanz von den Herrlichkeiten ihres Heimatslandes mit sich, sie
hatte ja uur im Ofenwinkel gesessen und dein Märchen von der wunderbaren
Erde gelauscht. O Ricks, kein Mensch kann verstehen, welch unsagbares Elend
es war, so gefesselt in der Dämmerung des dumpfen Krankenzimmers zu liegen
und in der fieberumfangcucn Phantasie sich die Schönheit nie gesehener Ge¬
genden vor die Seele zu rufen, schneebedeckte Alpengipfel über blauschwarzen
Seen, blanke Flüsse inmitten langgestreckter Berge, auf denen Ruinen zwischen
den Wäldern hervorblicken, oder anch hohe Säle und Marmvrgöttcr. Ach


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[0553] Äiels Lyhiil». stets treu sei» gegen mich selber wie gegen das, was ich besitze, nur das Beste soll mir gut genug sein und nicht mehr, ich will nicht ruhen noch rasten, Mutter; merke ich, daß das, was ich gebildet habe, nicht rein ist, oder kann ich hören, daß es Risse oder Schrammen hat, zurück damit in den Tiegel — stets das Höchste, was ich zu thun vermag! Verstehst du wohl, daß es für mich ein Bedürfnis ist, zu versprechen? Es ist Dankbarkeit für all meinen Reich¬ tum, was mich zu diesen Gelübden treibt, nud du sollst sie annehmen, und es soll eine Sünde sein, die ich dir gegenüber und dem Höchsten gegenüber begehe, wenn ich abtrünnig werde. Habe ich es denn nicht dir zu verdanken, daß meine Seele so ausgeweidet ist, haben nicht deine Träume und deine Sehnsucht meine Fähigkeiten zur Blüte gebracht, und bin ich nicht durch deine Liebe und deinen nie gestillten Durst nach Schönheit zu dein geweiht, was die Aufgabe meines Lebens sein soll? Frau Lyhne weinte leise vor sich hin. Sie fühlte, wie sie vor Glück erbleichte. Sanft legte sie ihre beiden Hände auf das Haupt des Sohnes, und er zog sie leise an seine Lippen und küßte sie. Dn hast mich so glücklich gemacht, Ricks — nnn ist mein Leben doch kein langer, nutzloser Seufzer gewesen, hat es dich doch gefördert, so wie ich es von Herzen gehofft und geträumt habe. Mein Gott, wie unendlich oft habe ich das nicht gekrümmt! Und doch mischt sich so viel Wehmut in diese Freude, Ricks! Warum muß auch gerade jetzt mein liebster Wunsch erfüllt werden, mein Wunsch, den ich so lange, lange Jahre gehegt! Jetzt, wo ich nicht mehr lange zu leben habe, naht sich die Erfüllung. So mußt du nicht reden, das darfst du nicht, deine Genesung schreitet ja weiter, von Tag zu Tag wirst du kräftiger, liebe Mutter, nicht wahr? Ich möchte so ungern sterben, seufzte sie leise. Weißt dn, woran ich in den langen, schlaflosen Nächten denken mußte, als mir der Tod so schrecklich nahe schien? Das, was nur da am schwersten wurde, war der Gedanke, daß es da draußen in der Welt so viel Großes und Schönes giebt, und daß ich nun sterben sollte, ohne es gesehen zu haben. Ich dachte an die tausend und abertausend Seelen, die es mit Wonne erfüllt, zu deren Entfaltung es beigetragen, für mich aber war es gar nicht dagewesen, und wenn nun meine Seele arm und auf matten Schwingen davonflog, dann nahm sie nicht in reichen Erinnerungen einen goldnen Abglanz von den Herrlichkeiten ihres Heimatslandes mit sich, sie hatte ja uur im Ofenwinkel gesessen und dein Märchen von der wunderbaren Erde gelauscht. O Ricks, kein Mensch kann verstehen, welch unsagbares Elend es war, so gefesselt in der Dämmerung des dumpfen Krankenzimmers zu liegen und in der fieberumfangcucn Phantasie sich die Schönheit nie gesehener Ge¬ genden vor die Seele zu rufen, schneebedeckte Alpengipfel über blauschwarzen Seen, blanke Flüsse inmitten langgestreckter Berge, auf denen Ruinen zwischen den Wäldern hervorblicken, oder anch hohe Säle und Marmvrgöttcr. Ach Grcuzbvwu II. ?MZ. t!9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/553>, abgerufen am 01.09.2024.