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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

Weißt du noch, begann Ricks, nachdem sie eine ganze Weile schweigend
dagesessen hatten, weißt du noch, wie oft wir in der Dämmerstunde dasaßen
und auf Märchen auszogen, während der Vater in seinem Zimmer mit dem
Verwalter Jens sprach, und Mamsell Duysen in der Eckstube mit dem Thee¬
geschirr klapperte? Und wenn dann die Lampe kam, erwachten wir beide von
dem seltsamen Märchen zu der Gemütlichkeit, die uns umgab, aber ich weiß
noch ganz genau, daß ich mir immer einbildete, das Märchen sei darum nicht
abgebrochen, sondern setze sich auf eigne Hand fort und spiele sich dort oben
auf den Hügeln nach Ringkjöbing zu weiter.

Er sah nicht das wehmütige Lächeln der Mutter, er fühlte nur, wie ihre
Hand sanft über sein Haar hinstrich.

Weißt du noch, begann sie nach einer Weile, wie oft du mir versprachst,
sobald du groß geworden wärest, mit einem großen Schiffe auszusegeln und
mir alle Herrlichkeiten der Welt heimzubringen?

Wie gut ich das noch weiß! Es sollten Hyazinthen sein, denn die hattest
du so gern, und genau so eine Palme wie die, welche einging, und Säulen
von Gold und Marmor. Es waren immer so viele Säulen in deinen Erzäh¬
lungen. Weißt du das wohl noch?

Ich habe auf das Schiff gewartet -- nein, sei ruhig, mein Junge, du
verstehst mich nicht --, nicht meinetwegen, es war ja dein Glücksschiff -- ich
hatte gehofft, daß dein Leben groß und reich werden würde, daß du auf den
glänzenden Wegen fahren würdest -- Ruhm -- alles -- nein, nicht das, nur
daß du teilnehmen würdest an dem Kampfe um das Größte, ich weiß nicht
wie, aber ich war des alltäglichen Glückes, des alltäglichen Zieles so über¬
drüssig. Kannst du das begreifen?

Du wolltest, daß ich ein Sonntagskind wäre, teure Mutter, eins von
denen, die nicht an dem Joche ziehen wie die andern, die ihren eignen Himmel
haben, in dem sie selig werden, die ihren eignen Ort der Verdammnis haben.
Nicht wahr, es sollten Blumen am Bord sein, reiche Blumen, um sie über die
arme Erde auszustreuen. Aber das Schiff ließ auf sich warten, und so wurden
sie nur arme Vögel, Ricks und seine Mutter, nicht wahr?

Habe ich dich verletzt, mein Junge? Es waren ja nur Träume; du mußt
dich nicht daran kehren!

Ricks schwieg lange. Er fühlte sich so befangen bei dem Gedanken an
das, was er sagen wollte.

Mutter, sagte er endlich, wir sind nicht so arm, wie du glaubst. Eines
Tages wird das Schiff doch kommen. Wenn du es nur glauben willst oder
wenn du nur Zutrauen zu mir haben willst. Mutter, ich bin ein Dichter, ein
wahrhaftiger Dichter, mit ganzer Seele. Glaube nicht, daß es Kinderträume
sind oder Träume der Eitelkeit. Ich werde teilnehmen an dem Kampfe um
das Edelste, und ich gelobe dir, ich werde nicht fahnenflüchtig sein, ich werde


Ricks Lyhne,

Weißt du noch, begann Ricks, nachdem sie eine ganze Weile schweigend
dagesessen hatten, weißt du noch, wie oft wir in der Dämmerstunde dasaßen
und auf Märchen auszogen, während der Vater in seinem Zimmer mit dem
Verwalter Jens sprach, und Mamsell Duysen in der Eckstube mit dem Thee¬
geschirr klapperte? Und wenn dann die Lampe kam, erwachten wir beide von
dem seltsamen Märchen zu der Gemütlichkeit, die uns umgab, aber ich weiß
noch ganz genau, daß ich mir immer einbildete, das Märchen sei darum nicht
abgebrochen, sondern setze sich auf eigne Hand fort und spiele sich dort oben
auf den Hügeln nach Ringkjöbing zu weiter.

Er sah nicht das wehmütige Lächeln der Mutter, er fühlte nur, wie ihre
Hand sanft über sein Haar hinstrich.

Weißt du noch, begann sie nach einer Weile, wie oft du mir versprachst,
sobald du groß geworden wärest, mit einem großen Schiffe auszusegeln und
mir alle Herrlichkeiten der Welt heimzubringen?

Wie gut ich das noch weiß! Es sollten Hyazinthen sein, denn die hattest
du so gern, und genau so eine Palme wie die, welche einging, und Säulen
von Gold und Marmor. Es waren immer so viele Säulen in deinen Erzäh¬
lungen. Weißt du das wohl noch?

Ich habe auf das Schiff gewartet — nein, sei ruhig, mein Junge, du
verstehst mich nicht —, nicht meinetwegen, es war ja dein Glücksschiff — ich
hatte gehofft, daß dein Leben groß und reich werden würde, daß du auf den
glänzenden Wegen fahren würdest — Ruhm — alles — nein, nicht das, nur
daß du teilnehmen würdest an dem Kampfe um das Größte, ich weiß nicht
wie, aber ich war des alltäglichen Glückes, des alltäglichen Zieles so über¬
drüssig. Kannst du das begreifen?

Du wolltest, daß ich ein Sonntagskind wäre, teure Mutter, eins von
denen, die nicht an dem Joche ziehen wie die andern, die ihren eignen Himmel
haben, in dem sie selig werden, die ihren eignen Ort der Verdammnis haben.
Nicht wahr, es sollten Blumen am Bord sein, reiche Blumen, um sie über die
arme Erde auszustreuen. Aber das Schiff ließ auf sich warten, und so wurden
sie nur arme Vögel, Ricks und seine Mutter, nicht wahr?

Habe ich dich verletzt, mein Junge? Es waren ja nur Träume; du mußt
dich nicht daran kehren!

Ricks schwieg lange. Er fühlte sich so befangen bei dem Gedanken an
das, was er sagen wollte.

Mutter, sagte er endlich, wir sind nicht so arm, wie du glaubst. Eines
Tages wird das Schiff doch kommen. Wenn du es nur glauben willst oder
wenn du nur Zutrauen zu mir haben willst. Mutter, ich bin ein Dichter, ein
wahrhaftiger Dichter, mit ganzer Seele. Glaube nicht, daß es Kinderträume
sind oder Träume der Eitelkeit. Ich werde teilnehmen an dem Kampfe um
das Edelste, und ich gelobe dir, ich werde nicht fahnenflüchtig sein, ich werde


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[0552] Ricks Lyhne, Weißt du noch, begann Ricks, nachdem sie eine ganze Weile schweigend dagesessen hatten, weißt du noch, wie oft wir in der Dämmerstunde dasaßen und auf Märchen auszogen, während der Vater in seinem Zimmer mit dem Verwalter Jens sprach, und Mamsell Duysen in der Eckstube mit dem Thee¬ geschirr klapperte? Und wenn dann die Lampe kam, erwachten wir beide von dem seltsamen Märchen zu der Gemütlichkeit, die uns umgab, aber ich weiß noch ganz genau, daß ich mir immer einbildete, das Märchen sei darum nicht abgebrochen, sondern setze sich auf eigne Hand fort und spiele sich dort oben auf den Hügeln nach Ringkjöbing zu weiter. Er sah nicht das wehmütige Lächeln der Mutter, er fühlte nur, wie ihre Hand sanft über sein Haar hinstrich. Weißt du noch, begann sie nach einer Weile, wie oft du mir versprachst, sobald du groß geworden wärest, mit einem großen Schiffe auszusegeln und mir alle Herrlichkeiten der Welt heimzubringen? Wie gut ich das noch weiß! Es sollten Hyazinthen sein, denn die hattest du so gern, und genau so eine Palme wie die, welche einging, und Säulen von Gold und Marmor. Es waren immer so viele Säulen in deinen Erzäh¬ lungen. Weißt du das wohl noch? Ich habe auf das Schiff gewartet — nein, sei ruhig, mein Junge, du verstehst mich nicht —, nicht meinetwegen, es war ja dein Glücksschiff — ich hatte gehofft, daß dein Leben groß und reich werden würde, daß du auf den glänzenden Wegen fahren würdest — Ruhm — alles — nein, nicht das, nur daß du teilnehmen würdest an dem Kampfe um das Größte, ich weiß nicht wie, aber ich war des alltäglichen Glückes, des alltäglichen Zieles so über¬ drüssig. Kannst du das begreifen? Du wolltest, daß ich ein Sonntagskind wäre, teure Mutter, eins von denen, die nicht an dem Joche ziehen wie die andern, die ihren eignen Himmel haben, in dem sie selig werden, die ihren eignen Ort der Verdammnis haben. Nicht wahr, es sollten Blumen am Bord sein, reiche Blumen, um sie über die arme Erde auszustreuen. Aber das Schiff ließ auf sich warten, und so wurden sie nur arme Vögel, Ricks und seine Mutter, nicht wahr? Habe ich dich verletzt, mein Junge? Es waren ja nur Träume; du mußt dich nicht daran kehren! Ricks schwieg lange. Er fühlte sich so befangen bei dem Gedanken an das, was er sagen wollte. Mutter, sagte er endlich, wir sind nicht so arm, wie du glaubst. Eines Tages wird das Schiff doch kommen. Wenn du es nur glauben willst oder wenn du nur Zutrauen zu mir haben willst. Mutter, ich bin ein Dichter, ein wahrhaftiger Dichter, mit ganzer Seele. Glaube nicht, daß es Kinderträume sind oder Träume der Eitelkeit. Ich werde teilnehmen an dem Kampfe um das Edelste, und ich gelobe dir, ich werde nicht fahnenflüchtig sein, ich werde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/552>, abgerufen am 28.07.2024.