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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

fortfahren zu geben; das war aber ein Ding der Unmöglichkeit, er hatte selber
nicht mehr. Sein einziger Trost war, daß Bartholine das Glück bevorstand,
Mutter zu werden.

Schon lange hatte Bartholine mit Kummer bemerkt, daß sich ihre Ansicht
über Lyhne allmählich veränderte, daß er nicht mehr auf jener schwindelnden
Höhe stand, auf die sie ihn in ihrer Brautzeit gestellt hatte. Sie war freilich
noch fest überzeugt, daß er das war, was sie eine poetische Natur nannte, aber
sie war aufgeschreckt worden, denn die Prosa hatte angefangen, ihren Pferdefuß
hin und wieder einmal vorzustrecken. Desto eifriger jagte sie nach der Poesie,
war sie bestrebt, den alten Zustand wieder herzustellen, indem sie ihn mit noch
größerem Stimmungsreichtum, mit noch größerer Begeisterung überschüttete;
aber sie fand einen so geringen Wiederklang, daß sie sich selber fast sentimental
und geziert vorkam. Sie bemühte sich noch eine Zeit lang, den widerstrebenden
Lyhne mit sich fortzureißen, sie wollte nicht glauben, was sie nur zu gut ahnte.
Als aber endlich die Fruchtlosigkeit ihrer Anstrengungen in ihrer Seele Zweifel
zu erwecken anfing, ob denn ihr Geist und ihr Herz wirklich einen so unendlichen
Reichtum enthielten, wie sie geglaubt hatte, da ließ sie ihn plötzlich unbeachtet,
wurde kühl, schweigsam und verschlossen und suchte die Einsamkeit auf, um in
Ruhe über ihre getäuschten Illusionen zu trauern. Denn das sah sie ein
sie war bitter getäuscht worden, Lyhne unterschied sich im Innersten seines
Herzens um nichts von ihrer frühern Umgebung; das, was sie bethört hatte
war eine ganz gewöhnliche Erscheinung, seine Liebe hatte ihn für eine kurze
Weile mit einer flüchtigen Glorie von Geist und Hoheit umgeben, wie das bei
niedern Naturen so oft der Fall ist.

Lyhne war bekümmert und ängstlich über diese Veränderung, die in ihrem
Verhältnis el"getreten war, er bemühte sich, durch unglückliche Versuche den
alten schwärmerischen Flug zu fliegen, das Verhältnis wieder herzustellen; aber
das trug nur dazu bei, Bartholine noch deutlicher zu zeigen, wie groß ihr
Irrtum gewesen sei.

So stand es um das Ehepaar, als Bartholine ihr erstes Kind zur Welt
brachte. Es war ein Knabe, und sie gaben ihm den Namen Ricks.




Zweites Aapitel.

In gewisser Weise führte das Kind die Eltern wieder zusammen, denn an
seiner kleinen Wiege begegneten sie einander stets in gemeinsamer Hoffnung,
gemeinsamer Freude und gemeinsamer Furcht; an ihn dachten sie, und von
ihm sprachen sie gleich gern und gleich häufig, und dann waren sie einander
so dankbar für das Kind und für die Freude an ihm und für die Liebe zu ihm.

Lyhne ging ganz in seiner Landwirtschaft und in seinen Gemeindeangelegen¬
heiten auf, ohne doch irgendwie zu leiten oder einzugreifen; er arbeitete sich


Ricks Lyhne.

fortfahren zu geben; das war aber ein Ding der Unmöglichkeit, er hatte selber
nicht mehr. Sein einziger Trost war, daß Bartholine das Glück bevorstand,
Mutter zu werden.

Schon lange hatte Bartholine mit Kummer bemerkt, daß sich ihre Ansicht
über Lyhne allmählich veränderte, daß er nicht mehr auf jener schwindelnden
Höhe stand, auf die sie ihn in ihrer Brautzeit gestellt hatte. Sie war freilich
noch fest überzeugt, daß er das war, was sie eine poetische Natur nannte, aber
sie war aufgeschreckt worden, denn die Prosa hatte angefangen, ihren Pferdefuß
hin und wieder einmal vorzustrecken. Desto eifriger jagte sie nach der Poesie,
war sie bestrebt, den alten Zustand wieder herzustellen, indem sie ihn mit noch
größerem Stimmungsreichtum, mit noch größerer Begeisterung überschüttete;
aber sie fand einen so geringen Wiederklang, daß sie sich selber fast sentimental
und geziert vorkam. Sie bemühte sich noch eine Zeit lang, den widerstrebenden
Lyhne mit sich fortzureißen, sie wollte nicht glauben, was sie nur zu gut ahnte.
Als aber endlich die Fruchtlosigkeit ihrer Anstrengungen in ihrer Seele Zweifel
zu erwecken anfing, ob denn ihr Geist und ihr Herz wirklich einen so unendlichen
Reichtum enthielten, wie sie geglaubt hatte, da ließ sie ihn plötzlich unbeachtet,
wurde kühl, schweigsam und verschlossen und suchte die Einsamkeit auf, um in
Ruhe über ihre getäuschten Illusionen zu trauern. Denn das sah sie ein
sie war bitter getäuscht worden, Lyhne unterschied sich im Innersten seines
Herzens um nichts von ihrer frühern Umgebung; das, was sie bethört hatte
war eine ganz gewöhnliche Erscheinung, seine Liebe hatte ihn für eine kurze
Weile mit einer flüchtigen Glorie von Geist und Hoheit umgeben, wie das bei
niedern Naturen so oft der Fall ist.

Lyhne war bekümmert und ängstlich über diese Veränderung, die in ihrem
Verhältnis el»getreten war, er bemühte sich, durch unglückliche Versuche den
alten schwärmerischen Flug zu fliegen, das Verhältnis wieder herzustellen; aber
das trug nur dazu bei, Bartholine noch deutlicher zu zeigen, wie groß ihr
Irrtum gewesen sei.

So stand es um das Ehepaar, als Bartholine ihr erstes Kind zur Welt
brachte. Es war ein Knabe, und sie gaben ihm den Namen Ricks.




Zweites Aapitel.

In gewisser Weise führte das Kind die Eltern wieder zusammen, denn an
seiner kleinen Wiege begegneten sie einander stets in gemeinsamer Hoffnung,
gemeinsamer Freude und gemeinsamer Furcht; an ihn dachten sie, und von
ihm sprachen sie gleich gern und gleich häufig, und dann waren sie einander
so dankbar für das Kind und für die Freude an ihm und für die Liebe zu ihm.

Lyhne ging ganz in seiner Landwirtschaft und in seinen Gemeindeangelegen¬
heiten auf, ohne doch irgendwie zu leiten oder einzugreifen; er arbeitete sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/55>, abgerufen am 13.11.2024.