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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Italien im Dreibünde.

Nachsucht und .Herrschsucht und ohne andre als eigennützige Beweggründe. Die
Folge aber war und ist in beiden Fällen dieselbe, Bündnisse der Bedrohten
gegen den Störenfried jetzt wie damals, nur daß sie jetzt, weil anch in Über¬
zeugung und Willen der Völker wurzelnd, sich stärker und fester erweisen
werden.

Stellt man sich auf den Standpunkt eines Jtalieners oder eines nicht-
deutschen, z. B. eines Mitgliedes der Familie John Bulls, die immer so ob¬
jektiv empfindet und urteilt, wenn es sich nicht um ihre eignen Angelegenheiten
handelt, so kann es hart erscheinen, wenn sich gegen den Wunsch der Franzosen,
ihre alte Ostgrenze wieder zu bekommen, drei Nationen erheben sollen, darunter
auch das Volk, welches sie vom Joche der Österreicher befreiten. Indes weiß
der Kenner der Geschichte, daß erstens Deutschland, als es jene alte Ostgrenze
Frankreichs verschob, nur seine noch ältere Westgrenze wiederherstellte und
damit Europa nicht minder als sich selbst eine Wohlthat erwies, indem dadurch
Einfälle der Franzosen in Süddeutschland und somit Störungen des Weltfrie¬
dens überhaupt erschwert wurden, und daß zweitens Frankreich die Befreiung
Italiens von der Fremdherrschaft nur begann, und auch das mit Vorbehalten
egoistischer Natur, Preußen dagegen sie vollenden half und zwar ohne.Hinter¬
gedanken. Drittens aber ist weltkundig, daß ein Krieg zur Rückeroberung
Elsaß-Lothringens, wenn er gelänge, mit diesem Ereignisse nicht endigen würde.
Es ist sogar sehr zu bezweifeln, daß die Franzosen zufrieden zu stellen wären,
wenn der freilich ganz unmögliche Fall einträte, daß die Deutschen ihnen frei¬
willig die Reichslande zurückgaben. Wie bereits angedeutet wurde, verlor
Frankreich 1870 und 1371 mehr als Gebiet, es büßte zugleich sehr erheblich
ein dem ein, was die französische Sprache allein vollständig ausdrückt, indem sie
dafür das Wort xresti^s braucht.*) Frankreich dürfte sich, so lange Deutsch¬
land durch Uneinigkeit seiner Teile schwach und Italien nur ein geographischer
Begriff war, als Gebieter Europas fühlen und empfand dies als höchstes Glück.
Diese Stellung hat mit der Zusammenfassung Deutschlands und Italiens, durch
welche die Teile dieser Länder zu Gliedern eines einzigen starken Körpers
wurden, ein Ende genommen, und der Bund beider Organismen läßt, mindestens
so lange er und das ähnliche Verhältnis derselben zu Österreich-Ungarn bestehen
bleibt, an keine Wiederherstellung der alten Bedeutung Frankreichs in Europa
denken. Das Ideal des Durchschnittsfranzosen ist jetzt ein neuer Krieg, in
welchem das Genie französischer Feldherren und die Tapferkeit französischer Sol¬
daten wieder in Hellem Glänze strahlen, der Sieg sich auf die Adler der Triko¬
lore niederlassen, und alle Welt sich bewundernd vor der "großen Nation" beugen



*) Unsre Wörter "Ansehen," "Geltung" decken den Begriff nicht, auch "Vorrang" giebt
ihn nicht ganz wieder, eher die Umschreibung "Hahn im Korbe sein" mit stillschweigender
Anwendung auf die politischen Lieblingswünsche dieser Nation, deren Charakterbild der
Hahn ist.
Italien im Dreibünde.

Nachsucht und .Herrschsucht und ohne andre als eigennützige Beweggründe. Die
Folge aber war und ist in beiden Fällen dieselbe, Bündnisse der Bedrohten
gegen den Störenfried jetzt wie damals, nur daß sie jetzt, weil anch in Über¬
zeugung und Willen der Völker wurzelnd, sich stärker und fester erweisen
werden.

Stellt man sich auf den Standpunkt eines Jtalieners oder eines nicht-
deutschen, z. B. eines Mitgliedes der Familie John Bulls, die immer so ob¬
jektiv empfindet und urteilt, wenn es sich nicht um ihre eignen Angelegenheiten
handelt, so kann es hart erscheinen, wenn sich gegen den Wunsch der Franzosen,
ihre alte Ostgrenze wieder zu bekommen, drei Nationen erheben sollen, darunter
auch das Volk, welches sie vom Joche der Österreicher befreiten. Indes weiß
der Kenner der Geschichte, daß erstens Deutschland, als es jene alte Ostgrenze
Frankreichs verschob, nur seine noch ältere Westgrenze wiederherstellte und
damit Europa nicht minder als sich selbst eine Wohlthat erwies, indem dadurch
Einfälle der Franzosen in Süddeutschland und somit Störungen des Weltfrie¬
dens überhaupt erschwert wurden, und daß zweitens Frankreich die Befreiung
Italiens von der Fremdherrschaft nur begann, und auch das mit Vorbehalten
egoistischer Natur, Preußen dagegen sie vollenden half und zwar ohne.Hinter¬
gedanken. Drittens aber ist weltkundig, daß ein Krieg zur Rückeroberung
Elsaß-Lothringens, wenn er gelänge, mit diesem Ereignisse nicht endigen würde.
Es ist sogar sehr zu bezweifeln, daß die Franzosen zufrieden zu stellen wären,
wenn der freilich ganz unmögliche Fall einträte, daß die Deutschen ihnen frei¬
willig die Reichslande zurückgaben. Wie bereits angedeutet wurde, verlor
Frankreich 1870 und 1371 mehr als Gebiet, es büßte zugleich sehr erheblich
ein dem ein, was die französische Sprache allein vollständig ausdrückt, indem sie
dafür das Wort xresti^s braucht.*) Frankreich dürfte sich, so lange Deutsch¬
land durch Uneinigkeit seiner Teile schwach und Italien nur ein geographischer
Begriff war, als Gebieter Europas fühlen und empfand dies als höchstes Glück.
Diese Stellung hat mit der Zusammenfassung Deutschlands und Italiens, durch
welche die Teile dieser Länder zu Gliedern eines einzigen starken Körpers
wurden, ein Ende genommen, und der Bund beider Organismen läßt, mindestens
so lange er und das ähnliche Verhältnis derselben zu Österreich-Ungarn bestehen
bleibt, an keine Wiederherstellung der alten Bedeutung Frankreichs in Europa
denken. Das Ideal des Durchschnittsfranzosen ist jetzt ein neuer Krieg, in
welchem das Genie französischer Feldherren und die Tapferkeit französischer Sol¬
daten wieder in Hellem Glänze strahlen, der Sieg sich auf die Adler der Triko¬
lore niederlassen, und alle Welt sich bewundernd vor der „großen Nation" beugen



*) Unsre Wörter „Ansehen," „Geltung" decken den Begriff nicht, auch „Vorrang" giebt
ihn nicht ganz wieder, eher die Umschreibung „Hahn im Korbe sein" mit stillschweigender
Anwendung auf die politischen Lieblingswünsche dieser Nation, deren Charakterbild der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/547>, abgerufen am 28.07.2024.