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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Italien im Dreibunde.

uns Von englischen, holländischen, dänischen und schwedischen Vettern und ihrer
Pflicht und Bereitwilligkeit, politisch mit uns Hand in Hand zu gehen, von
Zeit zu Zeit vorgegaukelt werden. Alfieri meint, die Italiener begriffen solche
gelehrte ethnologische Betrachtungen und Rücksichten nicht und liehen ihr
Ohr empfindsamen Berufungen auf die lateinische Bruderschaft durchaus nicht.
"Die Franzosen sollten -- sagt er -- endlich einmal aufhören, auf uns wegen
unsrer monarchischen Verfassung, unsrer Entwicklung zu nationaler Einheit,
des endgiltigen und unwiderruflichen Besitzes Roms, unsrer Hauptstadt, und der
Beseitigung der weltlichen Macht des Papstes zu sticheln und zu schelten, um
nicht ein stärkeres Wort zu gebrauchen. So lange die französische Presse und
Rednerbühne fortfährt, sich mit diesen Fragen zu thun zu machen, welche rein
und ausschließlich italienische Fragen sind, werden Italien, sein Volk und
seine Regierung den Franzosen abgewendet bleiben und nicht glauben, daß die
von drüben über den Alpen kommenden Worte der Versöhnlichkeit aufrichtig
gemeint seien. Kurz und gut, wir wünschen in unsern vier Pfählen unbehelligt
zu sein." Ferner widerlegt der italienische Senator die besonders in Paris
verbreitete irrtümliche Ansicht, daß die Regierung und das Volk Italiens in
Sachen der auswärtigen Politik verschiedner Meinung seien. "Sie sind -- sagt
er -- hier vollkommen einig. Beide wollen die bestehenden Einrichtungen erhalten
und einen Krieg in Europa vermieden sehen. Das Bündnis mit Deutschland
ist sehr beliebt im Volke, erstens, weil es immer angenehm ist, der Bundes¬
genosse des Stärksten zu sein, sodann aber, weil die öffentliche Meinung, das
natürliche Gefühl der Massen sein Urteil dahin abgiebt: Deutschland wünscht
den Frieden, um zu behalten, was es erworben hat, Frankreich dagegen will
Krieg, um womöglich wieder zu gewinnen, was es verloren hat, und diesem
Schlüsse läßt sich nicht ausweichen." Das ist es denn auch, was wegen des
zukünftigen Verhaltens der Italiener in ihrer Stellung zwischen Deutschland
und Frankreich beruhigt, was dem Friedensbundc hinsichtlich Italiens vor allem,
dann aber auch bei seinen andern Gliedern besonders festen Grund giebt. Der
Dreibund ist nicht wie die frühere heilige Allianz bloß ein Bund unbeschränkter
Selbstherrscher, einzig und allein auf deren Interesse und Willen beruhend,
sondern auch ein Bündnis der betreffenden Völker zur Verteidigung ihres Be¬
standes und Besitzes gegen die Herrschsucht und Begehrlichkeit böswilliger
Nachbarmächte. Viele Millionen -- die Statistik sagt 107 bis 108 Millionen --
Deutsche, Österreicher und Italiener stehen geeinigt und stark gewaffnet da, die
Worte: "Laßt uns zufrieden!" auf ihren Lippen und Fahnen, bereit, die
Karte von Europa, wie sie seit 1866 und 1871 gestaltet worden ist, gegen jeden
Versuch einer Änderung mit ihren echten Volkshecren zu verteidigen. 1793 war
Frankreich der Störenfried für Europa, weil es neue Ideen, die Gedanken
der Revolution, die auch Gutes enthielten und manchen Segen in die fremden
Länder trugen, vertrat. 1388 bedroht es den Frieden einzig und allein aus


Italien im Dreibunde.

uns Von englischen, holländischen, dänischen und schwedischen Vettern und ihrer
Pflicht und Bereitwilligkeit, politisch mit uns Hand in Hand zu gehen, von
Zeit zu Zeit vorgegaukelt werden. Alfieri meint, die Italiener begriffen solche
gelehrte ethnologische Betrachtungen und Rücksichten nicht und liehen ihr
Ohr empfindsamen Berufungen auf die lateinische Bruderschaft durchaus nicht.
„Die Franzosen sollten — sagt er — endlich einmal aufhören, auf uns wegen
unsrer monarchischen Verfassung, unsrer Entwicklung zu nationaler Einheit,
des endgiltigen und unwiderruflichen Besitzes Roms, unsrer Hauptstadt, und der
Beseitigung der weltlichen Macht des Papstes zu sticheln und zu schelten, um
nicht ein stärkeres Wort zu gebrauchen. So lange die französische Presse und
Rednerbühne fortfährt, sich mit diesen Fragen zu thun zu machen, welche rein
und ausschließlich italienische Fragen sind, werden Italien, sein Volk und
seine Regierung den Franzosen abgewendet bleiben und nicht glauben, daß die
von drüben über den Alpen kommenden Worte der Versöhnlichkeit aufrichtig
gemeint seien. Kurz und gut, wir wünschen in unsern vier Pfählen unbehelligt
zu sein." Ferner widerlegt der italienische Senator die besonders in Paris
verbreitete irrtümliche Ansicht, daß die Regierung und das Volk Italiens in
Sachen der auswärtigen Politik verschiedner Meinung seien. „Sie sind — sagt
er — hier vollkommen einig. Beide wollen die bestehenden Einrichtungen erhalten
und einen Krieg in Europa vermieden sehen. Das Bündnis mit Deutschland
ist sehr beliebt im Volke, erstens, weil es immer angenehm ist, der Bundes¬
genosse des Stärksten zu sein, sodann aber, weil die öffentliche Meinung, das
natürliche Gefühl der Massen sein Urteil dahin abgiebt: Deutschland wünscht
den Frieden, um zu behalten, was es erworben hat, Frankreich dagegen will
Krieg, um womöglich wieder zu gewinnen, was es verloren hat, und diesem
Schlüsse läßt sich nicht ausweichen." Das ist es denn auch, was wegen des
zukünftigen Verhaltens der Italiener in ihrer Stellung zwischen Deutschland
und Frankreich beruhigt, was dem Friedensbundc hinsichtlich Italiens vor allem,
dann aber auch bei seinen andern Gliedern besonders festen Grund giebt. Der
Dreibund ist nicht wie die frühere heilige Allianz bloß ein Bund unbeschränkter
Selbstherrscher, einzig und allein auf deren Interesse und Willen beruhend,
sondern auch ein Bündnis der betreffenden Völker zur Verteidigung ihres Be¬
standes und Besitzes gegen die Herrschsucht und Begehrlichkeit böswilliger
Nachbarmächte. Viele Millionen — die Statistik sagt 107 bis 108 Millionen —
Deutsche, Österreicher und Italiener stehen geeinigt und stark gewaffnet da, die
Worte: „Laßt uns zufrieden!" auf ihren Lippen und Fahnen, bereit, die
Karte von Europa, wie sie seit 1866 und 1871 gestaltet worden ist, gegen jeden
Versuch einer Änderung mit ihren echten Volkshecren zu verteidigen. 1793 war
Frankreich der Störenfried für Europa, weil es neue Ideen, die Gedanken
der Revolution, die auch Gutes enthielten und manchen Segen in die fremden
Länder trugen, vertrat. 1388 bedroht es den Frieden einzig und allein aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/546>, abgerufen am 28.07.2024.