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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Italien im Dreibünde.

welches sie selbst, so groß ihr Selbstgefühl auch ist. für einen nicht leicht zu
überwindenden Gegner halten müssen. Hier haben sie also wenig Hoffnung aus
Erfolge, wogegen sich Italien mit solcher Hoffnung recht wohl anfallen ließe.
Den,/ wenn sich auch die Alpengrenze verteidigen läßt, so kann doch Frankreich,
jetzt zur See noch stärker als Italien, an mehreren Punkten der Halbinsel und
Siziliens Armeen landen. Auch ließe sich leicht Anlaß zu einem Streite finden,
ja einer ist schon vorhanden. Die Einnahme Roms im Jahre 1870 verstieß
gegen einen Vertrag der Negierung in Florenz mit der von Paris und fiel mit
der großen Niederlage zusammen, welche Frankreich damals durch die Deutschen
erlitt, ist also eine stete Erinnerung an sie. Jene Einnahme rückgängig machen,
hieße einen Teil der Niederlage wettmachen und würde überdies Frankreich bei
dem Papste und der ultramontanen Partei empfehlen, welche weite Kreise der
katholischen Welt beherrscht. Gewiß würde es manchen guten Seelen als em
ausfälliger Widerspruch gegen die politische Moral und Folgerichtigkeit erscheinen,
wenn die Freidenker und Materialisten, die in Paris am Nuder stehen und die
Kirche daheim nach Kräften verfolgen, sich anschickten, ihr im Auslande beizustehen
und dem heiligen Vater Rom zurückzuerobern. Wir begegnen aber diesem Wider¬
spruche schon jetzt in der Bereitwilligkeit und dem eifrigen Bemühen der Re¬
publik, im Orient die Rolle der Monarchie auf kirchlichem Gebiete fortzuspielen
und die Jesuiten, Mönche und Missionare, die sie zu Hause hetzt und dudelt,
einschränkt und beraubt, zu beschützen und zu begonnem. Ein Krieg mit einem
alleinstehenden Italien verspräche also mit Wahrscheinlichkeit Frankreich Siege und
würde ihm auch für den Fall, daß sich dies nicht erfüllte, mit keiner Katastrophe
drohen wie ein Krieg mit Deutschland, wenn dieses die Oberhand behielte.

Alle diese Betrachtungen erklären hinreichend die ursprünglich geheim ge¬
haltene, jetzt vollständig bekannte und feststehende Thatsache, daß italienische
Staatsmänner von konservativer Richtung ein Bündnis mit Deutschland ab¬
geschlossen haben, nach welchem Italien bei einem Angriffe Frankreichs nicht
allein dastehen würde, und daß dieses Bündnis von den Nachfolgern jener
Staatsmänner, obwohl sie in innern Fragen andrer Meinung sind als ihre
Vorgänger, mit aller Entschiedenheit aufrecht erhalten wird. So ist die Ver¬
suchung für Frankreich zu dem Unternehme", sich in Italien auf wohlfeile und
wenig gefährliche Weise Ruhm zu holen, mit dem sich das 1870 stark beschädigte
Ansehen ausbessern ließe, beseitigt. Steigen die Franzosen über die Alpen, um
nach Turin zu marschiren. oder landen sie mit Heerkörpern irgendwo im Süden
der Halbinsel, so müssen sie sich bereit halten, im Osten einem Einfalle des
deutschen Heeres Widerstand zu leisten.

Was nun den Marchese Alfieri angeht, so wendet er sich zunächst gegen
die Redensarten von dem Verwandtschaftsbande, welches die Völker lateinischer
Abkunft politisch einigen soll, eine Lieblingsbehauptung der Pariser Presse, die
aber ebenso unverständig ist wie die Phrasen des Pcmslawismus und die, welche
Gr


enzboten II. 1883. 63
Italien im Dreibünde.

welches sie selbst, so groß ihr Selbstgefühl auch ist. für einen nicht leicht zu
überwindenden Gegner halten müssen. Hier haben sie also wenig Hoffnung aus
Erfolge, wogegen sich Italien mit solcher Hoffnung recht wohl anfallen ließe.
Den,/ wenn sich auch die Alpengrenze verteidigen läßt, so kann doch Frankreich,
jetzt zur See noch stärker als Italien, an mehreren Punkten der Halbinsel und
Siziliens Armeen landen. Auch ließe sich leicht Anlaß zu einem Streite finden,
ja einer ist schon vorhanden. Die Einnahme Roms im Jahre 1870 verstieß
gegen einen Vertrag der Negierung in Florenz mit der von Paris und fiel mit
der großen Niederlage zusammen, welche Frankreich damals durch die Deutschen
erlitt, ist also eine stete Erinnerung an sie. Jene Einnahme rückgängig machen,
hieße einen Teil der Niederlage wettmachen und würde überdies Frankreich bei
dem Papste und der ultramontanen Partei empfehlen, welche weite Kreise der
katholischen Welt beherrscht. Gewiß würde es manchen guten Seelen als em
ausfälliger Widerspruch gegen die politische Moral und Folgerichtigkeit erscheinen,
wenn die Freidenker und Materialisten, die in Paris am Nuder stehen und die
Kirche daheim nach Kräften verfolgen, sich anschickten, ihr im Auslande beizustehen
und dem heiligen Vater Rom zurückzuerobern. Wir begegnen aber diesem Wider¬
spruche schon jetzt in der Bereitwilligkeit und dem eifrigen Bemühen der Re¬
publik, im Orient die Rolle der Monarchie auf kirchlichem Gebiete fortzuspielen
und die Jesuiten, Mönche und Missionare, die sie zu Hause hetzt und dudelt,
einschränkt und beraubt, zu beschützen und zu begonnem. Ein Krieg mit einem
alleinstehenden Italien verspräche also mit Wahrscheinlichkeit Frankreich Siege und
würde ihm auch für den Fall, daß sich dies nicht erfüllte, mit keiner Katastrophe
drohen wie ein Krieg mit Deutschland, wenn dieses die Oberhand behielte.

Alle diese Betrachtungen erklären hinreichend die ursprünglich geheim ge¬
haltene, jetzt vollständig bekannte und feststehende Thatsache, daß italienische
Staatsmänner von konservativer Richtung ein Bündnis mit Deutschland ab¬
geschlossen haben, nach welchem Italien bei einem Angriffe Frankreichs nicht
allein dastehen würde, und daß dieses Bündnis von den Nachfolgern jener
Staatsmänner, obwohl sie in innern Fragen andrer Meinung sind als ihre
Vorgänger, mit aller Entschiedenheit aufrecht erhalten wird. So ist die Ver¬
suchung für Frankreich zu dem Unternehme», sich in Italien auf wohlfeile und
wenig gefährliche Weise Ruhm zu holen, mit dem sich das 1870 stark beschädigte
Ansehen ausbessern ließe, beseitigt. Steigen die Franzosen über die Alpen, um
nach Turin zu marschiren. oder landen sie mit Heerkörpern irgendwo im Süden
der Halbinsel, so müssen sie sich bereit halten, im Osten einem Einfalle des
deutschen Heeres Widerstand zu leisten.

Was nun den Marchese Alfieri angeht, so wendet er sich zunächst gegen
die Redensarten von dem Verwandtschaftsbande, welches die Völker lateinischer
Abkunft politisch einigen soll, eine Lieblingsbehauptung der Pariser Presse, die
aber ebenso unverständig ist wie die Phrasen des Pcmslawismus und die, welche
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enzboten II. 1883. 63
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/545>, abgerufen am 28.07.2024.