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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Italien im Dreibünde.

unmittelbaren oder mittelbaren Herrschaft der "Tedeschi." In den Tagen Na¬
poleons des Ersten waren Frankreich und die Franzosen in weiten Kreisen der
italienischen Bevölkerung beliebt. Bereitwillig dienten die Italiener in den
Heeren eines Helden, der aus ihrer Mitte stammte, und jahrelang konnte man
in Bezirken, wo Eugen Beauharnais als Vizekönig seinen kaiserlichen Stiefvater
vertreten hatte, im Munde des Volkes der Redensart "Napoleon glückseligen
Gedächtnisses" begegnen. In der That. Frankreich wurde in den ersten Jahr¬
zehnten nach der Restauration immer, auch in manchen der geheimen Gesell¬
schaften, welche den nationalen Gedanken pflegten, als der große Bruder be¬
trachtet, der bestimmt sei. Italien vom Drucke des gewaltigen österreichischen
Atys erlösen zu helfen, welcher es im Norden nicht zu Atem kommen ließ
und seine Schwere über die ganze Halbinsel hin fühlbar machte. Diese Hoff¬
nung schien sich 1859 und 1860 zu erfüllen. Und doch wird jetzt von der
Notwendigkeit einer Versöhnung der beiden Völker gesprochen, die in jenen
Jahren mit einander gegen einen Dritten kämpften und ihr Blut für eine und
dieselbe Sache vergossen, und von denen das eine dem andern als Wohlthäter
erscheinen müßte. Man könnte bei oberflächlicher Betrachtung auf den Gedanken
kommen, daß gerade in letzterm Umstände, in der Verpflichtung zur Dankbar¬
keit, die Ursache der Entfremdung, der Zwietracht zu suchen sei. die offenbar
besteht. Cyniker behaupten, nichts sei so gefährlich für das Verhältnis von
Freunden und Nachbarn als ein wichtiger Dienst, den einer dem andern ge¬
leistet habe, und die neueste Geschichte scheint ihnen Recht zu geben. Der Be¬
günstigte, Gerettete oder Befreite mag nicht immer so undankbar sein wie der
Riesendämon im Märchen von "Tausendundeinernacht," der den armen Fischer
umbringen will, welcher ihn aus tausendjähriger Einsparung in der Fasche
herausgeholfen hat; aber unstreitig giebt es Leute, die eine Wohlthat, die ihnen
widerfahren ist, allmählich als Last empfinden, bitter und verdrießlich gegen
den Gönner werden, der sie ihnen erwiesen hat, und sie zuletzt mit Undank
lohnen. Das scheint vornehmlich mit Nationen der Fall zu sein. Die Spanier
haben den Engländern wenig Erkenntlichkeit für den Beistand gezeigt, der sie
1811 in den Stand setzte, ihre Unabhängigkeit von Frankreich zu erkämpfen.
Griechenland hat sich niemals besondrer Dankbarkeit gegenüber den drei Gro߬
mächten befleißigt, die ihm durch die Vernichtung der türkischen Flotte bei
Navarino und später auf diplomatischem Wege zur Selbständigkeit verhalfen.
Die Pforte ließ es an dem Gehorsam fehlen, den England mit seinen Rat¬
schlägen und Anliegen erwarten konnte, nachdem es im Krimkriege große Opfer
für sie gebracht und den russischen Erbfeind für geraume Zeit weniger schädlich
gemacht hatte. Nußland eroberte 1849 dem Hause Habsburg seine Länder
jenseits - der Leitha zurück und erntete dafür 1855 schreienden Undank, indem
Österreich sür die Westmächte Partei nahm und ihnen den Sieg über den
Zaren ermöglichte. Die Preußen dankten den Österreichern ihre Mitwirkung zur


Italien im Dreibünde.

unmittelbaren oder mittelbaren Herrschaft der „Tedeschi." In den Tagen Na¬
poleons des Ersten waren Frankreich und die Franzosen in weiten Kreisen der
italienischen Bevölkerung beliebt. Bereitwillig dienten die Italiener in den
Heeren eines Helden, der aus ihrer Mitte stammte, und jahrelang konnte man
in Bezirken, wo Eugen Beauharnais als Vizekönig seinen kaiserlichen Stiefvater
vertreten hatte, im Munde des Volkes der Redensart „Napoleon glückseligen
Gedächtnisses" begegnen. In der That. Frankreich wurde in den ersten Jahr¬
zehnten nach der Restauration immer, auch in manchen der geheimen Gesell¬
schaften, welche den nationalen Gedanken pflegten, als der große Bruder be¬
trachtet, der bestimmt sei. Italien vom Drucke des gewaltigen österreichischen
Atys erlösen zu helfen, welcher es im Norden nicht zu Atem kommen ließ
und seine Schwere über die ganze Halbinsel hin fühlbar machte. Diese Hoff¬
nung schien sich 1859 und 1860 zu erfüllen. Und doch wird jetzt von der
Notwendigkeit einer Versöhnung der beiden Völker gesprochen, die in jenen
Jahren mit einander gegen einen Dritten kämpften und ihr Blut für eine und
dieselbe Sache vergossen, und von denen das eine dem andern als Wohlthäter
erscheinen müßte. Man könnte bei oberflächlicher Betrachtung auf den Gedanken
kommen, daß gerade in letzterm Umstände, in der Verpflichtung zur Dankbar¬
keit, die Ursache der Entfremdung, der Zwietracht zu suchen sei. die offenbar
besteht. Cyniker behaupten, nichts sei so gefährlich für das Verhältnis von
Freunden und Nachbarn als ein wichtiger Dienst, den einer dem andern ge¬
leistet habe, und die neueste Geschichte scheint ihnen Recht zu geben. Der Be¬
günstigte, Gerettete oder Befreite mag nicht immer so undankbar sein wie der
Riesendämon im Märchen von „Tausendundeinernacht," der den armen Fischer
umbringen will, welcher ihn aus tausendjähriger Einsparung in der Fasche
herausgeholfen hat; aber unstreitig giebt es Leute, die eine Wohlthat, die ihnen
widerfahren ist, allmählich als Last empfinden, bitter und verdrießlich gegen
den Gönner werden, der sie ihnen erwiesen hat, und sie zuletzt mit Undank
lohnen. Das scheint vornehmlich mit Nationen der Fall zu sein. Die Spanier
haben den Engländern wenig Erkenntlichkeit für den Beistand gezeigt, der sie
1811 in den Stand setzte, ihre Unabhängigkeit von Frankreich zu erkämpfen.
Griechenland hat sich niemals besondrer Dankbarkeit gegenüber den drei Gro߬
mächten befleißigt, die ihm durch die Vernichtung der türkischen Flotte bei
Navarino und später auf diplomatischem Wege zur Selbständigkeit verhalfen.
Die Pforte ließ es an dem Gehorsam fehlen, den England mit seinen Rat¬
schlägen und Anliegen erwarten konnte, nachdem es im Krimkriege große Opfer
für sie gebracht und den russischen Erbfeind für geraume Zeit weniger schädlich
gemacht hatte. Nußland eroberte 1849 dem Hause Habsburg seine Länder
jenseits - der Leitha zurück und erntete dafür 1855 schreienden Undank, indem
Österreich sür die Westmächte Partei nahm und ihnen den Sieg über den
Zaren ermöglichte. Die Preußen dankten den Österreichern ihre Mitwirkung zur


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[0543] Italien im Dreibünde. unmittelbaren oder mittelbaren Herrschaft der „Tedeschi." In den Tagen Na¬ poleons des Ersten waren Frankreich und die Franzosen in weiten Kreisen der italienischen Bevölkerung beliebt. Bereitwillig dienten die Italiener in den Heeren eines Helden, der aus ihrer Mitte stammte, und jahrelang konnte man in Bezirken, wo Eugen Beauharnais als Vizekönig seinen kaiserlichen Stiefvater vertreten hatte, im Munde des Volkes der Redensart „Napoleon glückseligen Gedächtnisses" begegnen. In der That. Frankreich wurde in den ersten Jahr¬ zehnten nach der Restauration immer, auch in manchen der geheimen Gesell¬ schaften, welche den nationalen Gedanken pflegten, als der große Bruder be¬ trachtet, der bestimmt sei. Italien vom Drucke des gewaltigen österreichischen Atys erlösen zu helfen, welcher es im Norden nicht zu Atem kommen ließ und seine Schwere über die ganze Halbinsel hin fühlbar machte. Diese Hoff¬ nung schien sich 1859 und 1860 zu erfüllen. Und doch wird jetzt von der Notwendigkeit einer Versöhnung der beiden Völker gesprochen, die in jenen Jahren mit einander gegen einen Dritten kämpften und ihr Blut für eine und dieselbe Sache vergossen, und von denen das eine dem andern als Wohlthäter erscheinen müßte. Man könnte bei oberflächlicher Betrachtung auf den Gedanken kommen, daß gerade in letzterm Umstände, in der Verpflichtung zur Dankbar¬ keit, die Ursache der Entfremdung, der Zwietracht zu suchen sei. die offenbar besteht. Cyniker behaupten, nichts sei so gefährlich für das Verhältnis von Freunden und Nachbarn als ein wichtiger Dienst, den einer dem andern ge¬ leistet habe, und die neueste Geschichte scheint ihnen Recht zu geben. Der Be¬ günstigte, Gerettete oder Befreite mag nicht immer so undankbar sein wie der Riesendämon im Märchen von „Tausendundeinernacht," der den armen Fischer umbringen will, welcher ihn aus tausendjähriger Einsparung in der Fasche herausgeholfen hat; aber unstreitig giebt es Leute, die eine Wohlthat, die ihnen widerfahren ist, allmählich als Last empfinden, bitter und verdrießlich gegen den Gönner werden, der sie ihnen erwiesen hat, und sie zuletzt mit Undank lohnen. Das scheint vornehmlich mit Nationen der Fall zu sein. Die Spanier haben den Engländern wenig Erkenntlichkeit für den Beistand gezeigt, der sie 1811 in den Stand setzte, ihre Unabhängigkeit von Frankreich zu erkämpfen. Griechenland hat sich niemals besondrer Dankbarkeit gegenüber den drei Gro߬ mächten befleißigt, die ihm durch die Vernichtung der türkischen Flotte bei Navarino und später auf diplomatischem Wege zur Selbständigkeit verhalfen. Die Pforte ließ es an dem Gehorsam fehlen, den England mit seinen Rat¬ schlägen und Anliegen erwarten konnte, nachdem es im Krimkriege große Opfer für sie gebracht und den russischen Erbfeind für geraume Zeit weniger schädlich gemacht hatte. Nußland eroberte 1849 dem Hause Habsburg seine Länder jenseits - der Leitha zurück und erntete dafür 1855 schreienden Undank, indem Österreich sür die Westmächte Partei nahm und ihnen den Sieg über den Zaren ermöglichte. Die Preußen dankten den Österreichern ihre Mitwirkung zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/543>, abgerufen am 27.07.2024.