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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Mmickers Klopstockbiographie.

neuen Gebiete mehr hervor. Was er von jetzt an noch Außerordentliches lei¬
stete, war durch seine frühern künstlerischen Schöpfungen bereits vorbereitet, in
ihnen angedeutet und vorgebildet. Sonst blieb er künftig bei bloßen Ansätzen,
und den Zeitgenossen gegenüber demzufolge bei bloßen, wenn auch bedeutsamen
Anregungen."

Frühzeitig ward Klopstock zu der in sich abgeschlossenen, für die mäch¬
tigsten Eindrücke des Lebens unzugänglichen, den gewaltigsten Erscheinungen
kühl gegenüberstehenden Persönlichkeit, als die ihn der jugendliche Goethe im
Herbst 1774 kennen lernte. Das diplomatisch Zugeknöpfte, weltmännisch Ge¬
lassene in seinem Wesen gab in dem Vierteljahrhundert, welches der Messias¬
dichter dann still und abgeschlossen in seinem Verehrerkreise zu Hamburg ver¬
übte, nach und nach Gewöhnungen Raum, welche der Erscheinung Klopstocks
einen Teil ihrer vornehmen Besonderheit nahmen. War auch offenbar jene
Schilderung, welche der jugendliche Tieck von dem Sänger der Messicide ent¬
warf, eine Karikatur, hat uach dem Urteile andrer Klopstock nie einem steifen,
stelzfüßigen, grämlich polternden Magister geglichen, so wirkten doch das Erstarren
der Würde, die dem thätigen Manne gut zu Gesicht gestanden hatte, die hart¬
näckige Abkehr von allem, was Leben hieß und war, das Loblied vergangener
Zeiten, das unablässig aus Klopstocks Munde ertönte, nicht glücklich. Ein Teil
der Mißurteile, welche späterhin über den Dichter laut wurden und bis auf
den heutigen Tag nachklingen, hatte in den angedeuteten Alterswandlungen
Klopstocks ihren Ursprung. Man braucht sich nur einmal vorzustellen, daß
Klopstock an Melas Stelle im Herbst 1758 oder höchstens nach der Vollendung
der "Messiade" gestorben wäre, so würde auch die nachlebende Welt unter dem
Zwingenden Eindruck der jugendlichen Gestalt Klopstocks, ihrer Wirkung auf
unsre Litteratur und unser Leben gestanden haben und noch stehen. Es ist
anders gekommen, und Klopstocks Individualität und Art hat das besondre Mi߬
geschick gehabt, daß das ihm folgende Geschlecht in seinem Drange nach Natür¬
lichkeit, Freiheit, sinnlicher Unmittelbarkeit gar nicht mehr zu fassen vermochte,
daß ein bedeutender Mensch so empfinden, innerlich so leben und äußerlich sich
so darstellen könne, wie der Oden- und Mcssiasdichter. Das bessere Verständnis
für Lebensbedingungen und Lebensrichtungen auch vergangener Tage, dessen sich
unsre Zeit rühmt, wird hoffentlich der geschichtlichen Würdigung Klopstocks zu
Hilfe kommen.

Von vornherein muß zugestanden werden, daß es eine harte Zumutung an
gewisse Naturalisten vulgo Realisten der Gegenwart ist, sich mit einer Persön¬
lichkeit, einer Thätigkeit wie der Klopstocks wieder zu befassen. Sie haben
"Besseres" zu thun, als den leisen Regungen nachzugehen, in denen sich der
Lenz freierer und wärmerer Empfindung, gesteigerter, selbstbewußter Individua¬
lität, froherer Lebenshoffnung nach der Erstarrung eines langen Winters ge¬
fühlloser Gewöhnung und öder Pedanterie poetisch kundgab. Muncker ist gerade


Mmickers Klopstockbiographie.

neuen Gebiete mehr hervor. Was er von jetzt an noch Außerordentliches lei¬
stete, war durch seine frühern künstlerischen Schöpfungen bereits vorbereitet, in
ihnen angedeutet und vorgebildet. Sonst blieb er künftig bei bloßen Ansätzen,
und den Zeitgenossen gegenüber demzufolge bei bloßen, wenn auch bedeutsamen
Anregungen."

Frühzeitig ward Klopstock zu der in sich abgeschlossenen, für die mäch¬
tigsten Eindrücke des Lebens unzugänglichen, den gewaltigsten Erscheinungen
kühl gegenüberstehenden Persönlichkeit, als die ihn der jugendliche Goethe im
Herbst 1774 kennen lernte. Das diplomatisch Zugeknöpfte, weltmännisch Ge¬
lassene in seinem Wesen gab in dem Vierteljahrhundert, welches der Messias¬
dichter dann still und abgeschlossen in seinem Verehrerkreise zu Hamburg ver¬
übte, nach und nach Gewöhnungen Raum, welche der Erscheinung Klopstocks
einen Teil ihrer vornehmen Besonderheit nahmen. War auch offenbar jene
Schilderung, welche der jugendliche Tieck von dem Sänger der Messicide ent¬
warf, eine Karikatur, hat uach dem Urteile andrer Klopstock nie einem steifen,
stelzfüßigen, grämlich polternden Magister geglichen, so wirkten doch das Erstarren
der Würde, die dem thätigen Manne gut zu Gesicht gestanden hatte, die hart¬
näckige Abkehr von allem, was Leben hieß und war, das Loblied vergangener
Zeiten, das unablässig aus Klopstocks Munde ertönte, nicht glücklich. Ein Teil
der Mißurteile, welche späterhin über den Dichter laut wurden und bis auf
den heutigen Tag nachklingen, hatte in den angedeuteten Alterswandlungen
Klopstocks ihren Ursprung. Man braucht sich nur einmal vorzustellen, daß
Klopstock an Melas Stelle im Herbst 1758 oder höchstens nach der Vollendung
der „Messiade" gestorben wäre, so würde auch die nachlebende Welt unter dem
Zwingenden Eindruck der jugendlichen Gestalt Klopstocks, ihrer Wirkung auf
unsre Litteratur und unser Leben gestanden haben und noch stehen. Es ist
anders gekommen, und Klopstocks Individualität und Art hat das besondre Mi߬
geschick gehabt, daß das ihm folgende Geschlecht in seinem Drange nach Natür¬
lichkeit, Freiheit, sinnlicher Unmittelbarkeit gar nicht mehr zu fassen vermochte,
daß ein bedeutender Mensch so empfinden, innerlich so leben und äußerlich sich
so darstellen könne, wie der Oden- und Mcssiasdichter. Das bessere Verständnis
für Lebensbedingungen und Lebensrichtungen auch vergangener Tage, dessen sich
unsre Zeit rühmt, wird hoffentlich der geschichtlichen Würdigung Klopstocks zu
Hilfe kommen.

Von vornherein muß zugestanden werden, daß es eine harte Zumutung an
gewisse Naturalisten vulgo Realisten der Gegenwart ist, sich mit einer Persön¬
lichkeit, einer Thätigkeit wie der Klopstocks wieder zu befassen. Sie haben
„Besseres" zu thun, als den leisen Regungen nachzugehen, in denen sich der
Lenz freierer und wärmerer Empfindung, gesteigerter, selbstbewußter Individua¬
lität, froherer Lebenshoffnung nach der Erstarrung eines langen Winters ge¬
fühlloser Gewöhnung und öder Pedanterie poetisch kundgab. Muncker ist gerade


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[0535] Mmickers Klopstockbiographie. neuen Gebiete mehr hervor. Was er von jetzt an noch Außerordentliches lei¬ stete, war durch seine frühern künstlerischen Schöpfungen bereits vorbereitet, in ihnen angedeutet und vorgebildet. Sonst blieb er künftig bei bloßen Ansätzen, und den Zeitgenossen gegenüber demzufolge bei bloßen, wenn auch bedeutsamen Anregungen." Frühzeitig ward Klopstock zu der in sich abgeschlossenen, für die mäch¬ tigsten Eindrücke des Lebens unzugänglichen, den gewaltigsten Erscheinungen kühl gegenüberstehenden Persönlichkeit, als die ihn der jugendliche Goethe im Herbst 1774 kennen lernte. Das diplomatisch Zugeknöpfte, weltmännisch Ge¬ lassene in seinem Wesen gab in dem Vierteljahrhundert, welches der Messias¬ dichter dann still und abgeschlossen in seinem Verehrerkreise zu Hamburg ver¬ übte, nach und nach Gewöhnungen Raum, welche der Erscheinung Klopstocks einen Teil ihrer vornehmen Besonderheit nahmen. War auch offenbar jene Schilderung, welche der jugendliche Tieck von dem Sänger der Messicide ent¬ warf, eine Karikatur, hat uach dem Urteile andrer Klopstock nie einem steifen, stelzfüßigen, grämlich polternden Magister geglichen, so wirkten doch das Erstarren der Würde, die dem thätigen Manne gut zu Gesicht gestanden hatte, die hart¬ näckige Abkehr von allem, was Leben hieß und war, das Loblied vergangener Zeiten, das unablässig aus Klopstocks Munde ertönte, nicht glücklich. Ein Teil der Mißurteile, welche späterhin über den Dichter laut wurden und bis auf den heutigen Tag nachklingen, hatte in den angedeuteten Alterswandlungen Klopstocks ihren Ursprung. Man braucht sich nur einmal vorzustellen, daß Klopstock an Melas Stelle im Herbst 1758 oder höchstens nach der Vollendung der „Messiade" gestorben wäre, so würde auch die nachlebende Welt unter dem Zwingenden Eindruck der jugendlichen Gestalt Klopstocks, ihrer Wirkung auf unsre Litteratur und unser Leben gestanden haben und noch stehen. Es ist anders gekommen, und Klopstocks Individualität und Art hat das besondre Mi߬ geschick gehabt, daß das ihm folgende Geschlecht in seinem Drange nach Natür¬ lichkeit, Freiheit, sinnlicher Unmittelbarkeit gar nicht mehr zu fassen vermochte, daß ein bedeutender Mensch so empfinden, innerlich so leben und äußerlich sich so darstellen könne, wie der Oden- und Mcssiasdichter. Das bessere Verständnis für Lebensbedingungen und Lebensrichtungen auch vergangener Tage, dessen sich unsre Zeit rühmt, wird hoffentlich der geschichtlichen Würdigung Klopstocks zu Hilfe kommen. Von vornherein muß zugestanden werden, daß es eine harte Zumutung an gewisse Naturalisten vulgo Realisten der Gegenwart ist, sich mit einer Persön¬ lichkeit, einer Thätigkeit wie der Klopstocks wieder zu befassen. Sie haben „Besseres" zu thun, als den leisen Regungen nachzugehen, in denen sich der Lenz freierer und wärmerer Empfindung, gesteigerter, selbstbewußter Individua¬ lität, froherer Lebenshoffnung nach der Erstarrung eines langen Winters ge¬ fühlloser Gewöhnung und öder Pedanterie poetisch kundgab. Muncker ist gerade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/535>, abgerufen am 01.09.2024.