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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Munckers Rlopstockbiographic,

des Adels, kraftlose Lebensgewöhnung über das deutsche Volk gebracht hatten,
auf allen Lebenskreisen, in denen sich der jugendliche Mcssiasdichter bewegte.
Von einem deutschen Gymnasiasten, einem Studenten der Theologie, einem
jungen Hauslehrer, einem Kandidaten des Predigtamtes wurde im dritten,
vierten und fünften Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts ein Maß von Be¬
scheidenheit, Genügsamkeit und Geduld gefordert, von dem spätere Geschlechter
nichts mehr wissen. Umso erstaunlicher erscheint der Abstand Klopstocks von
Mitschülern, Mitstudentcn und Verufsgenossen. Ans der früh gefaßten Zu¬
versicht, eine ideale Aufgabe lösen zu wollen und zu können, schöpft bereits der
Primaner der ehrwürdigen Schulpforte eine stolzere Haltung, ein männlicheres
Selbstgefühl. Zu Eingang des zehnten Buches von "Wahrheit und Dichtung"
hat Goethe das Gefühl unabhängiger Würde, welches Klopstock durchs Leben
begleitete, einer Würde, die ihm aus und mit seiner dichterischen Aufgabe er¬
wuchs, derart charakterisirt, daß noch heute nichts Besseres darüber zu sagen
ist. Wünschenswert aber wäre es, in der Biographie den einzelnen Stufen
dieser Entwicklung folgen zu können. Und hier ist es, wo offenbar die Mate¬
rialien nicht ausreichen. Im Verhältnis zu den Kommilitonen in Jena und
Leipzig, im täglichen Verkehr während des Hauslehrerlebens zu Langensalza,
in den Erlebnissen Klopstocks während seiner Schweizerreise, im Umgang des
Dichters mit den Kopenhagener Hofkreisen müssen die Ansprüche des Dichters,
die Äußerungen seines berechtigten Selbstgefühls eine völlige Umstimmung des
seither üblichen Tones, ja vielfach der Anschauungen bewirkt haben. Wir wissen
aus den Züricher Tagen, welche Erregungen und Leidenschaften durch das Auf¬
treten Klopstocks, durch seine völlig neue persönliche Haltung erweckt wurden. Es
wird anderwärts nicht anders gewesen sein, und es bleibt zu beklagen, daß die
unrealistische Sinnesweise der briefreichen Zeit, die Gewohnheit, sich in Allge¬
meinheiten zu bewegen, einer lebendigen Schilderung der Gesellschaft, in welcher
Klopstock sich entwickelte, sein großes Gedicht vollendete, sein Weib fand und
heimführte, in der ihm wechselnd Zweifel, Spott, Groll, aber unendlich viel
mehr Enthusiasmus, Bewunderung, Ehrfurcht begegneten, so wenig förderlich
waren. Vortrefflich hat Muncker den Wendepunkt in Klopstocks Leben heraus¬
gehoben. Daß der Dichter aus unbekannten Gründen von der Bewerbung um
die Stellung eines dänischen Legationssekretärs in London abstehen mußte und
sich späterhin mit dem bloßen Titel eines Legationsrates begnügte, ist ihm ver¬
hängnisvoll geworden. "Für seine Dichtung wäre Klopstocks Anstellung im
Gesandtschaftsbüreau zu London weitaus wünschenswerter gewesen, auch wenn
dadurch seine künstlerische Muße beschränkt, ja wenn ihm durch seinen Beruf
vorerst die Zeit zur poetischen Arbeit ganz entzogen worden wäre. Denn er
hätte große, neue Eindrücke empfangen. So aber beharrte seine Dichtung von
nun an in den einmal gezogenen Kreisen. Er nahm noch wiederholt und in
mannichfacher Weise Ansätze, aber er brachte nichts Hervorragendes auf einem


Munckers Rlopstockbiographic,

des Adels, kraftlose Lebensgewöhnung über das deutsche Volk gebracht hatten,
auf allen Lebenskreisen, in denen sich der jugendliche Mcssiasdichter bewegte.
Von einem deutschen Gymnasiasten, einem Studenten der Theologie, einem
jungen Hauslehrer, einem Kandidaten des Predigtamtes wurde im dritten,
vierten und fünften Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts ein Maß von Be¬
scheidenheit, Genügsamkeit und Geduld gefordert, von dem spätere Geschlechter
nichts mehr wissen. Umso erstaunlicher erscheint der Abstand Klopstocks von
Mitschülern, Mitstudentcn und Verufsgenossen. Ans der früh gefaßten Zu¬
versicht, eine ideale Aufgabe lösen zu wollen und zu können, schöpft bereits der
Primaner der ehrwürdigen Schulpforte eine stolzere Haltung, ein männlicheres
Selbstgefühl. Zu Eingang des zehnten Buches von „Wahrheit und Dichtung"
hat Goethe das Gefühl unabhängiger Würde, welches Klopstock durchs Leben
begleitete, einer Würde, die ihm aus und mit seiner dichterischen Aufgabe er¬
wuchs, derart charakterisirt, daß noch heute nichts Besseres darüber zu sagen
ist. Wünschenswert aber wäre es, in der Biographie den einzelnen Stufen
dieser Entwicklung folgen zu können. Und hier ist es, wo offenbar die Mate¬
rialien nicht ausreichen. Im Verhältnis zu den Kommilitonen in Jena und
Leipzig, im täglichen Verkehr während des Hauslehrerlebens zu Langensalza,
in den Erlebnissen Klopstocks während seiner Schweizerreise, im Umgang des
Dichters mit den Kopenhagener Hofkreisen müssen die Ansprüche des Dichters,
die Äußerungen seines berechtigten Selbstgefühls eine völlige Umstimmung des
seither üblichen Tones, ja vielfach der Anschauungen bewirkt haben. Wir wissen
aus den Züricher Tagen, welche Erregungen und Leidenschaften durch das Auf¬
treten Klopstocks, durch seine völlig neue persönliche Haltung erweckt wurden. Es
wird anderwärts nicht anders gewesen sein, und es bleibt zu beklagen, daß die
unrealistische Sinnesweise der briefreichen Zeit, die Gewohnheit, sich in Allge¬
meinheiten zu bewegen, einer lebendigen Schilderung der Gesellschaft, in welcher
Klopstock sich entwickelte, sein großes Gedicht vollendete, sein Weib fand und
heimführte, in der ihm wechselnd Zweifel, Spott, Groll, aber unendlich viel
mehr Enthusiasmus, Bewunderung, Ehrfurcht begegneten, so wenig förderlich
waren. Vortrefflich hat Muncker den Wendepunkt in Klopstocks Leben heraus¬
gehoben. Daß der Dichter aus unbekannten Gründen von der Bewerbung um
die Stellung eines dänischen Legationssekretärs in London abstehen mußte und
sich späterhin mit dem bloßen Titel eines Legationsrates begnügte, ist ihm ver¬
hängnisvoll geworden. „Für seine Dichtung wäre Klopstocks Anstellung im
Gesandtschaftsbüreau zu London weitaus wünschenswerter gewesen, auch wenn
dadurch seine künstlerische Muße beschränkt, ja wenn ihm durch seinen Beruf
vorerst die Zeit zur poetischen Arbeit ganz entzogen worden wäre. Denn er
hätte große, neue Eindrücke empfangen. So aber beharrte seine Dichtung von
nun an in den einmal gezogenen Kreisen. Er nahm noch wiederholt und in
mannichfacher Weise Ansätze, aber er brachte nichts Hervorragendes auf einem


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[0534] Munckers Rlopstockbiographic, des Adels, kraftlose Lebensgewöhnung über das deutsche Volk gebracht hatten, auf allen Lebenskreisen, in denen sich der jugendliche Mcssiasdichter bewegte. Von einem deutschen Gymnasiasten, einem Studenten der Theologie, einem jungen Hauslehrer, einem Kandidaten des Predigtamtes wurde im dritten, vierten und fünften Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts ein Maß von Be¬ scheidenheit, Genügsamkeit und Geduld gefordert, von dem spätere Geschlechter nichts mehr wissen. Umso erstaunlicher erscheint der Abstand Klopstocks von Mitschülern, Mitstudentcn und Verufsgenossen. Ans der früh gefaßten Zu¬ versicht, eine ideale Aufgabe lösen zu wollen und zu können, schöpft bereits der Primaner der ehrwürdigen Schulpforte eine stolzere Haltung, ein männlicheres Selbstgefühl. Zu Eingang des zehnten Buches von „Wahrheit und Dichtung" hat Goethe das Gefühl unabhängiger Würde, welches Klopstock durchs Leben begleitete, einer Würde, die ihm aus und mit seiner dichterischen Aufgabe er¬ wuchs, derart charakterisirt, daß noch heute nichts Besseres darüber zu sagen ist. Wünschenswert aber wäre es, in der Biographie den einzelnen Stufen dieser Entwicklung folgen zu können. Und hier ist es, wo offenbar die Mate¬ rialien nicht ausreichen. Im Verhältnis zu den Kommilitonen in Jena und Leipzig, im täglichen Verkehr während des Hauslehrerlebens zu Langensalza, in den Erlebnissen Klopstocks während seiner Schweizerreise, im Umgang des Dichters mit den Kopenhagener Hofkreisen müssen die Ansprüche des Dichters, die Äußerungen seines berechtigten Selbstgefühls eine völlige Umstimmung des seither üblichen Tones, ja vielfach der Anschauungen bewirkt haben. Wir wissen aus den Züricher Tagen, welche Erregungen und Leidenschaften durch das Auf¬ treten Klopstocks, durch seine völlig neue persönliche Haltung erweckt wurden. Es wird anderwärts nicht anders gewesen sein, und es bleibt zu beklagen, daß die unrealistische Sinnesweise der briefreichen Zeit, die Gewohnheit, sich in Allge¬ meinheiten zu bewegen, einer lebendigen Schilderung der Gesellschaft, in welcher Klopstock sich entwickelte, sein großes Gedicht vollendete, sein Weib fand und heimführte, in der ihm wechselnd Zweifel, Spott, Groll, aber unendlich viel mehr Enthusiasmus, Bewunderung, Ehrfurcht begegneten, so wenig förderlich waren. Vortrefflich hat Muncker den Wendepunkt in Klopstocks Leben heraus¬ gehoben. Daß der Dichter aus unbekannten Gründen von der Bewerbung um die Stellung eines dänischen Legationssekretärs in London abstehen mußte und sich späterhin mit dem bloßen Titel eines Legationsrates begnügte, ist ihm ver¬ hängnisvoll geworden. „Für seine Dichtung wäre Klopstocks Anstellung im Gesandtschaftsbüreau zu London weitaus wünschenswerter gewesen, auch wenn dadurch seine künstlerische Muße beschränkt, ja wenn ihm durch seinen Beruf vorerst die Zeit zur poetischen Arbeit ganz entzogen worden wäre. Denn er hätte große, neue Eindrücke empfangen. So aber beharrte seine Dichtung von nun an in den einmal gezogenen Kreisen. Er nahm noch wiederholt und in mannichfacher Weise Ansätze, aber er brachte nichts Hervorragendes auf einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/534>, abgerufen am 01.09.2024.