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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Mnnckers Alopstockbiograxhie.

und Über ihn" veröffentlichen konnte, die wundersame Gewöhnung Klopstocks,
jeden Gedanken und jede Stunde seines Daseins im Lichte der Öffentlichkeit zu
leben alles hat schon vor dem Todesjahre des Messiasdichters (1803) so
viel ans Licht gelockt, daß man fast erstaunen darf, Muncker auch diese Art von
Material noch verstärken und vermehren zu sehen. Daß außerdem sehr viel
andres, wovon Panegyriker wie vernichtende Kritiker kaum eine Ahnung gehabt
baben, herbeizuschaffen war, bedarf keiner Betonung, wohl aber verdienen die Un¬
ermüdlichkeit und die Umsicht, mit der Muucker diesem Teile seiner Aufgabe
gerecht geworden ist, uneingeschränktes Lob. Seine Kenntnis des Thatsäch¬
lichen, der Forscherfleiß, mit dem er nicht nur jeden wichtigen Umstand in Klop¬
stocks Leben aufzuhellen bemüht gewesen ist, sondern auch alle die längst ver¬
gessenen Persönlichkeiten, die mit und neben Klopstock gelebt haben, in ihren
Lebensgefchicken heraufbeschworen hat, die Vertrautheit mit der gesamten vor-
klopstockischen und zeitgenössischen Produktion haben im Verein mit einem klaren,
gesunden Urteil, einer lebendigen Wärme für seinen Helden, welche nirgend zum turor
ti0Arg.xlne.u8 wird, ein reifes Werk, eine geschichtliche Darstellung hervorgebracht,
die überall belehrend wirken und von keinem Empfänglichen ohne Genuß gelesen
werden wird. Umriß und feste Zeichnung des Lebensbildes entsprechen den
höchste" Anforderungen, die Farben könnten hie und da leuchtender und frischer
sein. Es ist kein Tadel und kein Vorwurf, wenn wir sagen, daß wir uns eine
Biographie Klopstocks denken können, welche uns in gewisse Situationen seines
Lebens noch unmittelbarer hineinversetzte, den Hintergrund, auf dem sich Klop¬
stocks Schicksale entwickelten, noch deutlicher, reizvoller vor Augen stellte, als es
durch Muucker geschieht. Wenn wir uns vorstellen, daß Strauß in derselben
Weise, wie er die Fahrt auf dem Züricher See geschildert hat, den Eintritt Klop¬
stocks in die Kopenhagener Gesellschaft, den Hamburger Lebenskreis des Dichters
und eine Reihe andrer Szenen lebendig vorgeführt hätte, so würden wir beinahe
mit poetischer Gewalt und Überzeugungskraft in die wunderlichen deutschen Zu¬
stände zurückversetzt worden sein, welche der Sturm- und Drangperiode voraus¬
gingen. Muncker faßt sich kürzer, knapper, überläßt es unsrer Phantasie, die
Dinge weiter auszumalen, aber er leitet uns überall auf den richtigen Weg
dazu. Mit aller Beschränkung auf das Notwendige ist die neue Klopstock-
biographie doch ein sehr stattlicher Band von 566 Seiten geworden, was sich
hinreichend aus dem ehrlichen und erfolgreichen Bemühen des Verfassers erklärt,
seine Leser in den krausen Litteraturverhältnissen und vergessenen geistigen Be¬
strebungen der beiden ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts vollkommen
heimisch zu machen. Was taucht nicht alles bei diesem Anlaß wieder empor:
Gottsched und sein Kreis; die dichtenden und strebenden Magister, welche in
Leipzig die "Bremer Beiträge" verfaßten; die ästhetisircuden Schweizer auf der
Höhe ihrer Bedeutung und ihrer Ansprüche; der "alte Gleim" in seiner Jugend;
die Lebenskreise der dänischen Königsstadt in einer Periode, wo sie von deutscher


Mnnckers Alopstockbiograxhie.

und Über ihn" veröffentlichen konnte, die wundersame Gewöhnung Klopstocks,
jeden Gedanken und jede Stunde seines Daseins im Lichte der Öffentlichkeit zu
leben alles hat schon vor dem Todesjahre des Messiasdichters (1803) so
viel ans Licht gelockt, daß man fast erstaunen darf, Muncker auch diese Art von
Material noch verstärken und vermehren zu sehen. Daß außerdem sehr viel
andres, wovon Panegyriker wie vernichtende Kritiker kaum eine Ahnung gehabt
baben, herbeizuschaffen war, bedarf keiner Betonung, wohl aber verdienen die Un¬
ermüdlichkeit und die Umsicht, mit der Muucker diesem Teile seiner Aufgabe
gerecht geworden ist, uneingeschränktes Lob. Seine Kenntnis des Thatsäch¬
lichen, der Forscherfleiß, mit dem er nicht nur jeden wichtigen Umstand in Klop¬
stocks Leben aufzuhellen bemüht gewesen ist, sondern auch alle die längst ver¬
gessenen Persönlichkeiten, die mit und neben Klopstock gelebt haben, in ihren
Lebensgefchicken heraufbeschworen hat, die Vertrautheit mit der gesamten vor-
klopstockischen und zeitgenössischen Produktion haben im Verein mit einem klaren,
gesunden Urteil, einer lebendigen Wärme für seinen Helden, welche nirgend zum turor
ti0Arg.xlne.u8 wird, ein reifes Werk, eine geschichtliche Darstellung hervorgebracht,
die überall belehrend wirken und von keinem Empfänglichen ohne Genuß gelesen
werden wird. Umriß und feste Zeichnung des Lebensbildes entsprechen den
höchste» Anforderungen, die Farben könnten hie und da leuchtender und frischer
sein. Es ist kein Tadel und kein Vorwurf, wenn wir sagen, daß wir uns eine
Biographie Klopstocks denken können, welche uns in gewisse Situationen seines
Lebens noch unmittelbarer hineinversetzte, den Hintergrund, auf dem sich Klop¬
stocks Schicksale entwickelten, noch deutlicher, reizvoller vor Augen stellte, als es
durch Muucker geschieht. Wenn wir uns vorstellen, daß Strauß in derselben
Weise, wie er die Fahrt auf dem Züricher See geschildert hat, den Eintritt Klop¬
stocks in die Kopenhagener Gesellschaft, den Hamburger Lebenskreis des Dichters
und eine Reihe andrer Szenen lebendig vorgeführt hätte, so würden wir beinahe
mit poetischer Gewalt und Überzeugungskraft in die wunderlichen deutschen Zu¬
stände zurückversetzt worden sein, welche der Sturm- und Drangperiode voraus¬
gingen. Muncker faßt sich kürzer, knapper, überläßt es unsrer Phantasie, die
Dinge weiter auszumalen, aber er leitet uns überall auf den richtigen Weg
dazu. Mit aller Beschränkung auf das Notwendige ist die neue Klopstock-
biographie doch ein sehr stattlicher Band von 566 Seiten geworden, was sich
hinreichend aus dem ehrlichen und erfolgreichen Bemühen des Verfassers erklärt,
seine Leser in den krausen Litteraturverhältnissen und vergessenen geistigen Be¬
strebungen der beiden ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts vollkommen
heimisch zu machen. Was taucht nicht alles bei diesem Anlaß wieder empor:
Gottsched und sein Kreis; die dichtenden und strebenden Magister, welche in
Leipzig die „Bremer Beiträge" verfaßten; die ästhetisircuden Schweizer auf der
Höhe ihrer Bedeutung und ihrer Ansprüche; der „alte Gleim" in seiner Jugend;
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/532>, abgerufen am 01.09.2024.