Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ricks Lyhne,

Gegensatz bildete. Ihre Rede war breitlich abgerundet, zierlich zugespitzt, aber
ein wenig gesucht rethorisch, das ließ' sich nicht leugne"; doch paßte sie gut
zu diesen großen, breiten Gestalten mit den hohen, gewölbten Stirnen, den
freien Schläfen, dem dichten, lockigen Haar, den hellen, ruhig lächelnden Augen,
den feingeformten, ein wenig gebogenen Nasen; das Untergesicht aber war zu
schwer, der Mund zu breit, die Lippen zu voll.

Wie diese äußern Zuge bei dem jungen Lyhne schwächer hervortraten, so
war auch die Intelligenz in ihm gleichsam erschlafft, und die geistigen An¬
regungen wie die edeln Kuustgenllsse, die er auf seinem Wege getroffen, hatten
nicht die geringste Strebsamkeit in ihm hervorgerufen. Zwar hatte er sich
pflichtgetreu damit beschäftigt, aber seinem Eifer kam nicht das freudige Bewußt¬
sein zu gute, daß sein Inneres in Fluß und Schwung gerate, noch wurde er
durch die stolze Erkenntnis belohnt, daß er mit seinen Kräften dem Dargebotenen
gewachsen sei; in dem befriedigenden Gefühl, das Vorhaben ausgeführt zu haben,
bestand sein ganzer Lohn.

Er hatte sein Gut Lönborggaard von einem kürzlich verstorbenen Bruder
seines Vaters geerbt und war von der hergebrachten Auslandsreise heim¬
gekehrt, um selbst die Verwaltung des Gutes zu übernehmen. Da die Blidcrs
jetzt seine nächsten ebenbürtigen Nachbarn waren und der Onkel stets in einem
sehr freundschaftlichen Verhältnis zu der Familie gestanden hatte, machte er dort
seinen Besuch, sah Bartholine und verliebte sich in sie.

Daß sie sich in ihn verliebte, war ja selbstverständlich.

Das war doch endlich einmal einer aus der Welt da draußen, einer, der
in den großen, fernen Städten gelebt hatte, wo sich Wälder von Türmen und
Zinnen gegen den sonnenklaren Himmel abhoben, wo die Luft erzitterte von dem
Klänge der Glocken, dem Brausen der Orgeln, den süßen Tönen der Mando-
linen, während farbenstrahlende, goldstrotzende Auszüge festlich durch die breiten
Straßen wallten; wo Marmorpaläste schimmerten und die Wappenschilder der
stolzen Geschlechter paarweise über den weißen Thoren prangten, während oben
auf den geschweiften, mit steinernen Guirlanden verzierten Balkonen Fächer
blitzten und Schleier wehten. Es war einer, der jene Gegenden durchwandert
hatte, wo siegreiche Heere des Weges gezogen waren, wo glorreiche Schlachten
die Namen der Dörfer und Felder mit unsterblichem Glanz umgeben hatten,
wo der Rauch aus dem Zigeunerlager über den Wipfeln des Waldes aufstieg,
während rote Ruinen von weinbekränzten Höhen in das lächelnde Thal herab¬
schauten, wo das Mühlrad braust und klingende Herden über brcitbogige Brücken
blökend heimziehen.

Von alledem erzählte er, aber nicht wie die Dichter, sondern weit natür¬
licher und dabei so vertraulich, ganz wie man hierzulande von den um¬
liegenden Dörfern und dem benachbarten Pfarrhofe spricht. Er wußte auch von
Malern und Dichtern zu sagen, deren Namen er in die Wolken erhob, und von


Ricks Lyhne,

Gegensatz bildete. Ihre Rede war breitlich abgerundet, zierlich zugespitzt, aber
ein wenig gesucht rethorisch, das ließ' sich nicht leugne»; doch paßte sie gut
zu diesen großen, breiten Gestalten mit den hohen, gewölbten Stirnen, den
freien Schläfen, dem dichten, lockigen Haar, den hellen, ruhig lächelnden Augen,
den feingeformten, ein wenig gebogenen Nasen; das Untergesicht aber war zu
schwer, der Mund zu breit, die Lippen zu voll.

Wie diese äußern Zuge bei dem jungen Lyhne schwächer hervortraten, so
war auch die Intelligenz in ihm gleichsam erschlafft, und die geistigen An¬
regungen wie die edeln Kuustgenllsse, die er auf seinem Wege getroffen, hatten
nicht die geringste Strebsamkeit in ihm hervorgerufen. Zwar hatte er sich
pflichtgetreu damit beschäftigt, aber seinem Eifer kam nicht das freudige Bewußt¬
sein zu gute, daß sein Inneres in Fluß und Schwung gerate, noch wurde er
durch die stolze Erkenntnis belohnt, daß er mit seinen Kräften dem Dargebotenen
gewachsen sei; in dem befriedigenden Gefühl, das Vorhaben ausgeführt zu haben,
bestand sein ganzer Lohn.

Er hatte sein Gut Lönborggaard von einem kürzlich verstorbenen Bruder
seines Vaters geerbt und war von der hergebrachten Auslandsreise heim¬
gekehrt, um selbst die Verwaltung des Gutes zu übernehmen. Da die Blidcrs
jetzt seine nächsten ebenbürtigen Nachbarn waren und der Onkel stets in einem
sehr freundschaftlichen Verhältnis zu der Familie gestanden hatte, machte er dort
seinen Besuch, sah Bartholine und verliebte sich in sie.

Daß sie sich in ihn verliebte, war ja selbstverständlich.

Das war doch endlich einmal einer aus der Welt da draußen, einer, der
in den großen, fernen Städten gelebt hatte, wo sich Wälder von Türmen und
Zinnen gegen den sonnenklaren Himmel abhoben, wo die Luft erzitterte von dem
Klänge der Glocken, dem Brausen der Orgeln, den süßen Tönen der Mando-
linen, während farbenstrahlende, goldstrotzende Auszüge festlich durch die breiten
Straßen wallten; wo Marmorpaläste schimmerten und die Wappenschilder der
stolzen Geschlechter paarweise über den weißen Thoren prangten, während oben
auf den geschweiften, mit steinernen Guirlanden verzierten Balkonen Fächer
blitzten und Schleier wehten. Es war einer, der jene Gegenden durchwandert
hatte, wo siegreiche Heere des Weges gezogen waren, wo glorreiche Schlachten
die Namen der Dörfer und Felder mit unsterblichem Glanz umgeben hatten,
wo der Rauch aus dem Zigeunerlager über den Wipfeln des Waldes aufstieg,
während rote Ruinen von weinbekränzten Höhen in das lächelnde Thal herab¬
schauten, wo das Mühlrad braust und klingende Herden über brcitbogige Brücken
blökend heimziehen.

Von alledem erzählte er, aber nicht wie die Dichter, sondern weit natür¬
licher und dabei so vertraulich, ganz wie man hierzulande von den um¬
liegenden Dörfern und dem benachbarten Pfarrhofe spricht. Er wußte auch von
Malern und Dichtern zu sagen, deren Namen er in die Wolken erhob, und von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202830"/>
            <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne,</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136"> Gegensatz bildete. Ihre Rede war breitlich abgerundet, zierlich zugespitzt, aber<lb/>
ein wenig gesucht rethorisch, das ließ' sich nicht leugne»; doch paßte sie gut<lb/>
zu diesen großen, breiten Gestalten mit den hohen, gewölbten Stirnen, den<lb/>
freien Schläfen, dem dichten, lockigen Haar, den hellen, ruhig lächelnden Augen,<lb/>
den feingeformten, ein wenig gebogenen Nasen; das Untergesicht aber war zu<lb/>
schwer, der Mund zu breit, die Lippen zu voll.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_138"> Wie diese äußern Zuge bei dem jungen Lyhne schwächer hervortraten, so<lb/>
war auch die Intelligenz in ihm gleichsam erschlafft, und die geistigen An¬<lb/>
regungen wie die edeln Kuustgenllsse, die er auf seinem Wege getroffen, hatten<lb/>
nicht die geringste Strebsamkeit in ihm hervorgerufen. Zwar hatte er sich<lb/>
pflichtgetreu damit beschäftigt, aber seinem Eifer kam nicht das freudige Bewußt¬<lb/>
sein zu gute, daß sein Inneres in Fluß und Schwung gerate, noch wurde er<lb/>
durch die stolze Erkenntnis belohnt, daß er mit seinen Kräften dem Dargebotenen<lb/>
gewachsen sei; in dem befriedigenden Gefühl, das Vorhaben ausgeführt zu haben,<lb/>
bestand sein ganzer Lohn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_139"> Er hatte sein Gut Lönborggaard von einem kürzlich verstorbenen Bruder<lb/>
seines Vaters geerbt und war von der hergebrachten Auslandsreise heim¬<lb/>
gekehrt, um selbst die Verwaltung des Gutes zu übernehmen. Da die Blidcrs<lb/>
jetzt seine nächsten ebenbürtigen Nachbarn waren und der Onkel stets in einem<lb/>
sehr freundschaftlichen Verhältnis zu der Familie gestanden hatte, machte er dort<lb/>
seinen Besuch, sah Bartholine und verliebte sich in sie.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_140"> Daß sie sich in ihn verliebte, war ja selbstverständlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_141"> Das war doch endlich einmal einer aus der Welt da draußen, einer, der<lb/>
in den großen, fernen Städten gelebt hatte, wo sich Wälder von Türmen und<lb/>
Zinnen gegen den sonnenklaren Himmel abhoben, wo die Luft erzitterte von dem<lb/>
Klänge der Glocken, dem Brausen der Orgeln, den süßen Tönen der Mando-<lb/>
linen, während farbenstrahlende, goldstrotzende Auszüge festlich durch die breiten<lb/>
Straßen wallten; wo Marmorpaläste schimmerten und die Wappenschilder der<lb/>
stolzen Geschlechter paarweise über den weißen Thoren prangten, während oben<lb/>
auf den geschweiften, mit steinernen Guirlanden verzierten Balkonen Fächer<lb/>
blitzten und Schleier wehten. Es war einer, der jene Gegenden durchwandert<lb/>
hatte, wo siegreiche Heere des Weges gezogen waren, wo glorreiche Schlachten<lb/>
die Namen der Dörfer und Felder mit unsterblichem Glanz umgeben hatten,<lb/>
wo der Rauch aus dem Zigeunerlager über den Wipfeln des Waldes aufstieg,<lb/>
während rote Ruinen von weinbekränzten Höhen in das lächelnde Thal herab¬<lb/>
schauten, wo das Mühlrad braust und klingende Herden über brcitbogige Brücken<lb/>
blökend heimziehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_142" next="#ID_143"> Von alledem erzählte er, aber nicht wie die Dichter, sondern weit natür¬<lb/>
licher und dabei so vertraulich, ganz wie man hierzulande von den um¬<lb/>
liegenden Dörfern und dem benachbarten Pfarrhofe spricht. Er wußte auch von<lb/>
Malern und Dichtern zu sagen, deren Namen er in die Wolken erhob, und von</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0053] Ricks Lyhne, Gegensatz bildete. Ihre Rede war breitlich abgerundet, zierlich zugespitzt, aber ein wenig gesucht rethorisch, das ließ' sich nicht leugne»; doch paßte sie gut zu diesen großen, breiten Gestalten mit den hohen, gewölbten Stirnen, den freien Schläfen, dem dichten, lockigen Haar, den hellen, ruhig lächelnden Augen, den feingeformten, ein wenig gebogenen Nasen; das Untergesicht aber war zu schwer, der Mund zu breit, die Lippen zu voll. Wie diese äußern Zuge bei dem jungen Lyhne schwächer hervortraten, so war auch die Intelligenz in ihm gleichsam erschlafft, und die geistigen An¬ regungen wie die edeln Kuustgenllsse, die er auf seinem Wege getroffen, hatten nicht die geringste Strebsamkeit in ihm hervorgerufen. Zwar hatte er sich pflichtgetreu damit beschäftigt, aber seinem Eifer kam nicht das freudige Bewußt¬ sein zu gute, daß sein Inneres in Fluß und Schwung gerate, noch wurde er durch die stolze Erkenntnis belohnt, daß er mit seinen Kräften dem Dargebotenen gewachsen sei; in dem befriedigenden Gefühl, das Vorhaben ausgeführt zu haben, bestand sein ganzer Lohn. Er hatte sein Gut Lönborggaard von einem kürzlich verstorbenen Bruder seines Vaters geerbt und war von der hergebrachten Auslandsreise heim¬ gekehrt, um selbst die Verwaltung des Gutes zu übernehmen. Da die Blidcrs jetzt seine nächsten ebenbürtigen Nachbarn waren und der Onkel stets in einem sehr freundschaftlichen Verhältnis zu der Familie gestanden hatte, machte er dort seinen Besuch, sah Bartholine und verliebte sich in sie. Daß sie sich in ihn verliebte, war ja selbstverständlich. Das war doch endlich einmal einer aus der Welt da draußen, einer, der in den großen, fernen Städten gelebt hatte, wo sich Wälder von Türmen und Zinnen gegen den sonnenklaren Himmel abhoben, wo die Luft erzitterte von dem Klänge der Glocken, dem Brausen der Orgeln, den süßen Tönen der Mando- linen, während farbenstrahlende, goldstrotzende Auszüge festlich durch die breiten Straßen wallten; wo Marmorpaläste schimmerten und die Wappenschilder der stolzen Geschlechter paarweise über den weißen Thoren prangten, während oben auf den geschweiften, mit steinernen Guirlanden verzierten Balkonen Fächer blitzten und Schleier wehten. Es war einer, der jene Gegenden durchwandert hatte, wo siegreiche Heere des Weges gezogen waren, wo glorreiche Schlachten die Namen der Dörfer und Felder mit unsterblichem Glanz umgeben hatten, wo der Rauch aus dem Zigeunerlager über den Wipfeln des Waldes aufstieg, während rote Ruinen von weinbekränzten Höhen in das lächelnde Thal herab¬ schauten, wo das Mühlrad braust und klingende Herden über brcitbogige Brücken blökend heimziehen. Von alledem erzählte er, aber nicht wie die Dichter, sondern weit natür¬ licher und dabei so vertraulich, ganz wie man hierzulande von den um¬ liegenden Dörfern und dem benachbarten Pfarrhofe spricht. Er wußte auch von Malern und Dichtern zu sagen, deren Namen er in die Wolken erhob, und von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/53
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/53>, abgerufen am 28.07.2024.