Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Studium der alten Sprachen ans den Gymnasien.

soll hier bleiben, ob die moderne Technik, d. h. die Art und Weise, wie wir die
Kräfte der Natur unsern Zwecken dienstbar gemacht haben, einen durchgreifenden
Unterschied zwischen uns und dem Altertume bildet. Aber in Betreff des
Wahren und des Schönen, also der Wissenschaft und der Kunst, stehen wir ent¬
schieden auf den Schultern des Altertums, sind wir lediglich dessen Schüler und
Nachfolger. Und daraus folgt: wollen wir unsre moderne Kultur überhaupt
gelten lassen (und das werden wir bis ans weiteres wohl müssen), so ist eine
möglichst genaue Kenntnis des Altertums, seiner Geschichte, seiner Einrichtungen,
seiner Sitten, seiner Anschauungen, seiner Leistungen nud Errungenschaften für
uns, d. h. für alle Gebildeten, von größter Wichtigkeit, ja unerläßlich.

Allerdings hat Professor Preyer in jener Versammlung zu Wiesbaden
erklärt, die Behauptung, die ganze moderne Bildung gründe sich auf den
Zusammenhang mit dem klassischen Altertume, sei eine der größten Selbst¬
täuschungen. Denn in Wahrheit sei dieser Zusammenhang längst unterbrochen,
und zwar durch Kopernikus, Galilei und Luther. Es müsse aufhören, daß die
deutsche Jugend gezwungen werde zur geistigen Auswanderung nach Rom und
Athen mit ihrem Aberglauben, ihrem Sklaventum und ihrer unchristlichen Moral;
daß sie genährt werde mit den Bürgerkriegen Griechenlands und Roms, den
Liebesabenteuern Jupiters und den Unthaten römischer Cäsaren. Den Idealis¬
mus in der Jugend zu wecken sei von höchster Wichtigkeit; aber der sei un¬
abhängig vom Unterrichtsstoff; ein den Errungenschaften der Naturforschung
entsprechend ungeformter Schulunterricht werde bei der Jugend genau dasselbe
oder mehr erreichen als die Bekanntschaft mit dem Altertume.

Wir hegen die größte Hochachtung vor der Einsicht und dem männlichen
Mute des Herrn Professor Preyer. Aber hier befindet er sich entschieden im
Irrtum. Zuvörderst ist es nicht wahr, daß Kopernikus, Galilei und Luther die
Begründer unsrer modernen Bildung gewesen seien: das waren der Humanis¬
mus und die Renaissance, die Wiedererwecker der antiken Wissenschaft und Kunst.
Sodann aber lernt doch die Jugend aus den alten Klassikern noch andres als
Jupiters Liebesabenteuer und die Unthaten der römischen Cäsaren. Woran
entflammt sich denn der Idealismus der Jugend? An naturwissenschaftlichen
Lehrsätzen und Formeln? Nein, an dem, was die Menschen empfinden und thun,
an den leuchtenden Beispielen von Tugend und Hcldengröße, vor allem an
Vaterlandsliebe, an denen das Altertum so reich ist. Mag immerhin die Jugend
durch die Bekanntschaft mit dem Altertum etwas republikanisch angehaucht werden,
darüber beruhige sich Herr Professor Preyer; die Jugend bedarf der Illusionen,
und diese sind meist längst verflogen, wenn der Mann berufen wird, ins öffent¬
liche Leben einzutreten.

Als die Römer sich die alte Welt unterwarfen, trugen sie auch ihre Sprache
zu denjenigen Völkern, welche an Bildung unter ihnen standen, d. h. zu denen,
welche nicht griechische Sprache "ut Kultur angenommen hatten. In Spanien


Das Studium der alten Sprachen ans den Gymnasien.

soll hier bleiben, ob die moderne Technik, d. h. die Art und Weise, wie wir die
Kräfte der Natur unsern Zwecken dienstbar gemacht haben, einen durchgreifenden
Unterschied zwischen uns und dem Altertume bildet. Aber in Betreff des
Wahren und des Schönen, also der Wissenschaft und der Kunst, stehen wir ent¬
schieden auf den Schultern des Altertums, sind wir lediglich dessen Schüler und
Nachfolger. Und daraus folgt: wollen wir unsre moderne Kultur überhaupt
gelten lassen (und das werden wir bis ans weiteres wohl müssen), so ist eine
möglichst genaue Kenntnis des Altertums, seiner Geschichte, seiner Einrichtungen,
seiner Sitten, seiner Anschauungen, seiner Leistungen nud Errungenschaften für
uns, d. h. für alle Gebildeten, von größter Wichtigkeit, ja unerläßlich.

Allerdings hat Professor Preyer in jener Versammlung zu Wiesbaden
erklärt, die Behauptung, die ganze moderne Bildung gründe sich auf den
Zusammenhang mit dem klassischen Altertume, sei eine der größten Selbst¬
täuschungen. Denn in Wahrheit sei dieser Zusammenhang längst unterbrochen,
und zwar durch Kopernikus, Galilei und Luther. Es müsse aufhören, daß die
deutsche Jugend gezwungen werde zur geistigen Auswanderung nach Rom und
Athen mit ihrem Aberglauben, ihrem Sklaventum und ihrer unchristlichen Moral;
daß sie genährt werde mit den Bürgerkriegen Griechenlands und Roms, den
Liebesabenteuern Jupiters und den Unthaten römischer Cäsaren. Den Idealis¬
mus in der Jugend zu wecken sei von höchster Wichtigkeit; aber der sei un¬
abhängig vom Unterrichtsstoff; ein den Errungenschaften der Naturforschung
entsprechend ungeformter Schulunterricht werde bei der Jugend genau dasselbe
oder mehr erreichen als die Bekanntschaft mit dem Altertume.

Wir hegen die größte Hochachtung vor der Einsicht und dem männlichen
Mute des Herrn Professor Preyer. Aber hier befindet er sich entschieden im
Irrtum. Zuvörderst ist es nicht wahr, daß Kopernikus, Galilei und Luther die
Begründer unsrer modernen Bildung gewesen seien: das waren der Humanis¬
mus und die Renaissance, die Wiedererwecker der antiken Wissenschaft und Kunst.
Sodann aber lernt doch die Jugend aus den alten Klassikern noch andres als
Jupiters Liebesabenteuer und die Unthaten der römischen Cäsaren. Woran
entflammt sich denn der Idealismus der Jugend? An naturwissenschaftlichen
Lehrsätzen und Formeln? Nein, an dem, was die Menschen empfinden und thun,
an den leuchtenden Beispielen von Tugend und Hcldengröße, vor allem an
Vaterlandsliebe, an denen das Altertum so reich ist. Mag immerhin die Jugend
durch die Bekanntschaft mit dem Altertum etwas republikanisch angehaucht werden,
darüber beruhige sich Herr Professor Preyer; die Jugend bedarf der Illusionen,
und diese sind meist längst verflogen, wenn der Mann berufen wird, ins öffent¬
liche Leben einzutreten.

Als die Römer sich die alte Welt unterwarfen, trugen sie auch ihre Sprache
zu denjenigen Völkern, welche an Bildung unter ihnen standen, d. h. zu denen,
welche nicht griechische Sprache »ut Kultur angenommen hatten. In Spanien


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203299"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Studium der alten Sprachen ans den Gymnasien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1622" prev="#ID_1621"> soll hier bleiben, ob die moderne Technik, d. h. die Art und Weise, wie wir die<lb/>
Kräfte der Natur unsern Zwecken dienstbar gemacht haben, einen durchgreifenden<lb/>
Unterschied zwischen uns und dem Altertume bildet. Aber in Betreff des<lb/>
Wahren und des Schönen, also der Wissenschaft und der Kunst, stehen wir ent¬<lb/>
schieden auf den Schultern des Altertums, sind wir lediglich dessen Schüler und<lb/>
Nachfolger. Und daraus folgt: wollen wir unsre moderne Kultur überhaupt<lb/>
gelten lassen (und das werden wir bis ans weiteres wohl müssen), so ist eine<lb/>
möglichst genaue Kenntnis des Altertums, seiner Geschichte, seiner Einrichtungen,<lb/>
seiner Sitten, seiner Anschauungen, seiner Leistungen nud Errungenschaften für<lb/>
uns, d. h. für alle Gebildeten, von größter Wichtigkeit, ja unerläßlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1623"> Allerdings hat Professor Preyer in jener Versammlung zu Wiesbaden<lb/>
erklärt, die Behauptung, die ganze moderne Bildung gründe sich auf den<lb/>
Zusammenhang mit dem klassischen Altertume, sei eine der größten Selbst¬<lb/>
täuschungen. Denn in Wahrheit sei dieser Zusammenhang längst unterbrochen,<lb/>
und zwar durch Kopernikus, Galilei und Luther. Es müsse aufhören, daß die<lb/>
deutsche Jugend gezwungen werde zur geistigen Auswanderung nach Rom und<lb/>
Athen mit ihrem Aberglauben, ihrem Sklaventum und ihrer unchristlichen Moral;<lb/>
daß sie genährt werde mit den Bürgerkriegen Griechenlands und Roms, den<lb/>
Liebesabenteuern Jupiters und den Unthaten römischer Cäsaren. Den Idealis¬<lb/>
mus in der Jugend zu wecken sei von höchster Wichtigkeit; aber der sei un¬<lb/>
abhängig vom Unterrichtsstoff; ein den Errungenschaften der Naturforschung<lb/>
entsprechend ungeformter Schulunterricht werde bei der Jugend genau dasselbe<lb/>
oder mehr erreichen als die Bekanntschaft mit dem Altertume.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1624"> Wir hegen die größte Hochachtung vor der Einsicht und dem männlichen<lb/>
Mute des Herrn Professor Preyer. Aber hier befindet er sich entschieden im<lb/>
Irrtum. Zuvörderst ist es nicht wahr, daß Kopernikus, Galilei und Luther die<lb/>
Begründer unsrer modernen Bildung gewesen seien: das waren der Humanis¬<lb/>
mus und die Renaissance, die Wiedererwecker der antiken Wissenschaft und Kunst.<lb/>
Sodann aber lernt doch die Jugend aus den alten Klassikern noch andres als<lb/>
Jupiters Liebesabenteuer und die Unthaten der römischen Cäsaren. Woran<lb/>
entflammt sich denn der Idealismus der Jugend? An naturwissenschaftlichen<lb/>
Lehrsätzen und Formeln? Nein, an dem, was die Menschen empfinden und thun,<lb/>
an den leuchtenden Beispielen von Tugend und Hcldengröße, vor allem an<lb/>
Vaterlandsliebe, an denen das Altertum so reich ist. Mag immerhin die Jugend<lb/>
durch die Bekanntschaft mit dem Altertum etwas republikanisch angehaucht werden,<lb/>
darüber beruhige sich Herr Professor Preyer; die Jugend bedarf der Illusionen,<lb/>
und diese sind meist längst verflogen, wenn der Mann berufen wird, ins öffent¬<lb/>
liche Leben einzutreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1625" next="#ID_1626"> Als die Römer sich die alte Welt unterwarfen, trugen sie auch ihre Sprache<lb/>
zu denjenigen Völkern, welche an Bildung unter ihnen standen, d. h. zu denen,<lb/>
welche nicht griechische Sprache »ut Kultur angenommen hatten. In Spanien</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] Das Studium der alten Sprachen ans den Gymnasien. soll hier bleiben, ob die moderne Technik, d. h. die Art und Weise, wie wir die Kräfte der Natur unsern Zwecken dienstbar gemacht haben, einen durchgreifenden Unterschied zwischen uns und dem Altertume bildet. Aber in Betreff des Wahren und des Schönen, also der Wissenschaft und der Kunst, stehen wir ent¬ schieden auf den Schultern des Altertums, sind wir lediglich dessen Schüler und Nachfolger. Und daraus folgt: wollen wir unsre moderne Kultur überhaupt gelten lassen (und das werden wir bis ans weiteres wohl müssen), so ist eine möglichst genaue Kenntnis des Altertums, seiner Geschichte, seiner Einrichtungen, seiner Sitten, seiner Anschauungen, seiner Leistungen nud Errungenschaften für uns, d. h. für alle Gebildeten, von größter Wichtigkeit, ja unerläßlich. Allerdings hat Professor Preyer in jener Versammlung zu Wiesbaden erklärt, die Behauptung, die ganze moderne Bildung gründe sich auf den Zusammenhang mit dem klassischen Altertume, sei eine der größten Selbst¬ täuschungen. Denn in Wahrheit sei dieser Zusammenhang längst unterbrochen, und zwar durch Kopernikus, Galilei und Luther. Es müsse aufhören, daß die deutsche Jugend gezwungen werde zur geistigen Auswanderung nach Rom und Athen mit ihrem Aberglauben, ihrem Sklaventum und ihrer unchristlichen Moral; daß sie genährt werde mit den Bürgerkriegen Griechenlands und Roms, den Liebesabenteuern Jupiters und den Unthaten römischer Cäsaren. Den Idealis¬ mus in der Jugend zu wecken sei von höchster Wichtigkeit; aber der sei un¬ abhängig vom Unterrichtsstoff; ein den Errungenschaften der Naturforschung entsprechend ungeformter Schulunterricht werde bei der Jugend genau dasselbe oder mehr erreichen als die Bekanntschaft mit dem Altertume. Wir hegen die größte Hochachtung vor der Einsicht und dem männlichen Mute des Herrn Professor Preyer. Aber hier befindet er sich entschieden im Irrtum. Zuvörderst ist es nicht wahr, daß Kopernikus, Galilei und Luther die Begründer unsrer modernen Bildung gewesen seien: das waren der Humanis¬ mus und die Renaissance, die Wiedererwecker der antiken Wissenschaft und Kunst. Sodann aber lernt doch die Jugend aus den alten Klassikern noch andres als Jupiters Liebesabenteuer und die Unthaten der römischen Cäsaren. Woran entflammt sich denn der Idealismus der Jugend? An naturwissenschaftlichen Lehrsätzen und Formeln? Nein, an dem, was die Menschen empfinden und thun, an den leuchtenden Beispielen von Tugend und Hcldengröße, vor allem an Vaterlandsliebe, an denen das Altertum so reich ist. Mag immerhin die Jugend durch die Bekanntschaft mit dem Altertum etwas republikanisch angehaucht werden, darüber beruhige sich Herr Professor Preyer; die Jugend bedarf der Illusionen, und diese sind meist längst verflogen, wenn der Mann berufen wird, ins öffent¬ liche Leben einzutreten. Als die Römer sich die alte Welt unterwarfen, trugen sie auch ihre Sprache zu denjenigen Völkern, welche an Bildung unter ihnen standen, d. h. zu denen, welche nicht griechische Sprache »ut Kultur angenommen hatten. In Spanien

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/522>, abgerufen am 01.09.2024.