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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen Landtags,

Prüfung, es hat das Recht, eine ungesetzlich getroffene Wahl zu kassiren und
etwaige Ungesetzlichkeiten der Beamten der Regierung zu überweisen. Weiter
geht das Recht des Parlaments nicht. Aber ein Teil der Nationalliberalen vergaß
das und ging auf die "Nickertschc Leimrute." Das "Deutsche Tageblatt" bemerkte
ganz richtig zur Kennzeichnung des Nickertschen Unternehmens: "Zu dem Ver¬
bleiben des Fürsten Bismarck im Amte macht man gute Miene wie zu einem
bösen Spiele. Aber gleichzeitig möchte man durch einen neuen Minister des
Innern einen Keil in die Negierung treiben. ... Daher der deutschfreisinnige
Antrag im Abgeordnetenhaus?, der nichts weiter sollte, als durch ein neues
Stigma den Minister von Puttkamer an hoher Stelle wieder in Erinnerung zu
bringen." Der Antrag wurde mit 133 gegen 120 angenommen. War durch
ihn einige Erregung ins Haus gekommen, so legten sich die Wogen wieder nach
seiner Annahme; ein Teil derer, die dafür gestimmt hatten, hatte selbst das
Gefühl gänzlicher Unfruchtbarkeit solcher gesetzgeberischen Arbeit.

Es kam in dritter Lesung das Gesetz betreffend die Verleihung von Kor-
pvrativnsrechten an Niederlassungen geistlicher Orden und Kongregationen der
katholischen Kirche, das ohne Debatte angenommen wurde, ebenso eine Vorlage
wegen der Oder-Spreeregulirung.

Nun hätte der beim Beginn der Session bereits eingebrachte Schulantrag
des Herrn Windthorst zur Verhandlung kommen sollen. Aber dazu fehlte alle
Lust. Herr Windthorst selbst, der früher so laut seinen Vorstoß gegen die
preußische Volksschule aligekündigt hatte, willigte sehr gern ein, daß sein Antrag
nicht mehr zur Verhandlung gestellt wurde. Und leider geschah es so. Wäre
eine Besprechung erfolgt, so würden die ultramontanen Bohrer diesmal sehr
unangenehm zurückgestoßen worden sein, denn in der Verteidigung der preußi¬
schen Volksschule als Staatsanstalt halten die nationalen Parteien alle zu¬
sammen. Es wäre darum gut gewesen, wenn der Widerwille gegen die ultra¬
montane Wühlerei die Konservativen und Nationalliberalen, die, wie gesagt,
zur großen Freude Herrn Windthorsts durch das Schullastengesetz in Zwiespalt
geraten waren, wieder vereint hätte. Um dem zuvorzukommen, warf Herr Windt¬
horst flugs seinen Antrag lieber selbst für jetzt wenigstens in den Papierkorb.
Seine Schlauheit half ihm aber doch nichts, die Dinge liefen ganz anders, als
er dachte und wollte. Die Hoffnung, die Konservativen, und zwar mittels des
§ 7 des Schullastengesetzes, einzufangen, versagte.

Die Herrenhauskommission hatte nämlich das Schullastengesetz nach den
Beschlüssen des Abgeordnetenhauses angenommen, aber zugleich eine Resolution,
worin ausgesprochen wurde, daß die Verfassung bei derartigen Staatszuwendungen
nicht den Nachweis der Bedürftigkeit fordere, d. h. also, daß keine Verfassungs¬
änderung vorliege. Die Kommission hatte so beschlossen, um nicht etwa durch
Verwerfung des H 7, der die Verfassungsänderung annimmt, das ganze Gesetz
zu Falle zu bringen. Dieser Antrag, wodurch einerseits die Verfassungsänderung


Die letzte Session des preußischen Landtags,

Prüfung, es hat das Recht, eine ungesetzlich getroffene Wahl zu kassiren und
etwaige Ungesetzlichkeiten der Beamten der Regierung zu überweisen. Weiter
geht das Recht des Parlaments nicht. Aber ein Teil der Nationalliberalen vergaß
das und ging auf die „Nickertschc Leimrute." Das „Deutsche Tageblatt" bemerkte
ganz richtig zur Kennzeichnung des Nickertschen Unternehmens: „Zu dem Ver¬
bleiben des Fürsten Bismarck im Amte macht man gute Miene wie zu einem
bösen Spiele. Aber gleichzeitig möchte man durch einen neuen Minister des
Innern einen Keil in die Negierung treiben. ... Daher der deutschfreisinnige
Antrag im Abgeordnetenhaus?, der nichts weiter sollte, als durch ein neues
Stigma den Minister von Puttkamer an hoher Stelle wieder in Erinnerung zu
bringen." Der Antrag wurde mit 133 gegen 120 angenommen. War durch
ihn einige Erregung ins Haus gekommen, so legten sich die Wogen wieder nach
seiner Annahme; ein Teil derer, die dafür gestimmt hatten, hatte selbst das
Gefühl gänzlicher Unfruchtbarkeit solcher gesetzgeberischen Arbeit.

Es kam in dritter Lesung das Gesetz betreffend die Verleihung von Kor-
pvrativnsrechten an Niederlassungen geistlicher Orden und Kongregationen der
katholischen Kirche, das ohne Debatte angenommen wurde, ebenso eine Vorlage
wegen der Oder-Spreeregulirung.

Nun hätte der beim Beginn der Session bereits eingebrachte Schulantrag
des Herrn Windthorst zur Verhandlung kommen sollen. Aber dazu fehlte alle
Lust. Herr Windthorst selbst, der früher so laut seinen Vorstoß gegen die
preußische Volksschule aligekündigt hatte, willigte sehr gern ein, daß sein Antrag
nicht mehr zur Verhandlung gestellt wurde. Und leider geschah es so. Wäre
eine Besprechung erfolgt, so würden die ultramontanen Bohrer diesmal sehr
unangenehm zurückgestoßen worden sein, denn in der Verteidigung der preußi¬
schen Volksschule als Staatsanstalt halten die nationalen Parteien alle zu¬
sammen. Es wäre darum gut gewesen, wenn der Widerwille gegen die ultra¬
montane Wühlerei die Konservativen und Nationalliberalen, die, wie gesagt,
zur großen Freude Herrn Windthorsts durch das Schullastengesetz in Zwiespalt
geraten waren, wieder vereint hätte. Um dem zuvorzukommen, warf Herr Windt¬
horst flugs seinen Antrag lieber selbst für jetzt wenigstens in den Papierkorb.
Seine Schlauheit half ihm aber doch nichts, die Dinge liefen ganz anders, als
er dachte und wollte. Die Hoffnung, die Konservativen, und zwar mittels des
§ 7 des Schullastengesetzes, einzufangen, versagte.

Die Herrenhauskommission hatte nämlich das Schullastengesetz nach den
Beschlüssen des Abgeordnetenhauses angenommen, aber zugleich eine Resolution,
worin ausgesprochen wurde, daß die Verfassung bei derartigen Staatszuwendungen
nicht den Nachweis der Bedürftigkeit fordere, d. h. also, daß keine Verfassungs¬
änderung vorliege. Die Kommission hatte so beschlossen, um nicht etwa durch
Verwerfung des H 7, der die Verfassungsänderung annimmt, das ganze Gesetz
zu Falle zu bringen. Dieser Antrag, wodurch einerseits die Verfassungsänderung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/516>, abgerufen am 01.09.2024.