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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die letzte Session des preußischen Landtags.

ligionsunterricht betrauen, die dem Staate nicht geeignet erscheinen, sondern die
kirchlichen Anfsichtsorganc können auch sonst in den wichtigsten Unterrichts¬
zweigen in der Volksschule diktatorisch schalten; sie können durch die ihnen zu¬
kommende Bestimmung "des Umfanges des religiösen Unterrichtsstoffes" den
ganzen Schulplan über den Haufen werfen und nach Gefallen Konflikte schaffen.
Denn was kann nicht alles zum "religiösen Unterrichtsstoff" gerechnet werden?
Die Berufung auf Art. 24 der preußischen Verfassung war ja klug ausge¬
sonnen; in der That aber kann man sich für ein Einspruchs- und Maßrege-
lnngsrecht der Kirche so wenig auf die Verfassung berufen, daß sie gerade das
Gegenteil des Windthorstschen Antrages enthält, denn dem Staate wird ohne
irgend welche Klausel die Anstellung der Lehrer an der Volksschule zugesprochen;
und anders ist es in Preußen seit dem Bestände der Verfassung und früher nie
gehandhabt worden. Das weiß natürlich auch Herr! Windthorst, es sollte aber
mit seinem Antrage die große Aktion im preußischen Landtage aufgeführt werdeu,
die ihm im Reichstage bei der Debatte über die Legislaturperiode nicht hatte
gelingen wollen. Und wenn man auch jetzt noch nicht die Volksschule unter
dem Titel der berechtigten Leitung des religiösen Unterrichts durch die Reli-
gionsgesellschaften an die Kirche ausgeliefert erhalten konnte, für die im Herbste
vorzunehmenden Wahlen fürs Abgeordnetenhaus gab doch der Antrag vortreff¬
lichen Agitationsstoff her. Und damit war für Herrn Windthorst viel erreicht.

Auch über die Zahl der protestantischen Räte im Kultusministerium, die
dem Verhältnis der Protestanten zu den Katholiken in der Bevölkerungszahl
nicht entspreche, hatte der welfische Störenfried wieder einmal zu klagen; er
hätte es gern, wenn die katholische Abteilung im Kultusministerium wieder
hergestellt würde, damit, "was im Kultusministerium vorgeht, von katholischen
Augen überwacht" sei. Fürwahr, ein herrliches Verlangen, eine solche Staats¬
behörde! Für uns ungefähr gerade so annehmbar, wie für Italien das Ver¬
langen des Papstes, der an seinem zehnjährigen Papstjubiläumstage es wieder
einmal nicht lassen konnte, über "die unverändert unwürdige Lage" zu jammern,
in welcher sich der päpstliche Stuhl befinde, da "die Freiheit des Papstes von
dem guten Willen" derer abhänge, die am Ruder der Regierung stünden. Das
sei eine Lage, "in die er sich nicht schicken könne." Er wird sich doch wohl
hineinschicken müssen. Und wenn die Freiheit des Papstes noch etwas mehr
beschnitten wäre, als sie es thatsächlich ist, so könnte das für die Ruhe und
das Wohlbefinden der Welt gar nichts schaden. Was uns aber betrifft, so
werden wir uns wohl hüten, diese Freiheit des heiligen Vaters, der "die Welt
regiert," noch mit verstärken zu helfen dadurch, daß in das wichtigste deutsche
Kultusministerium noch eine Anzahl Trabanten des Herrn Windthorst einziehen.

Unsre protestantischen Klerikalen freilich würde" uns schwerlich vor einem
neuen Einzug der katholischen Abteilung ins Kultusministerium bewahren, wenn
sie nur ihre den katholischen sehr verwandten, dem Staate schädlichen Pläne


Die letzte Session des preußischen Landtags.

ligionsunterricht betrauen, die dem Staate nicht geeignet erscheinen, sondern die
kirchlichen Anfsichtsorganc können auch sonst in den wichtigsten Unterrichts¬
zweigen in der Volksschule diktatorisch schalten; sie können durch die ihnen zu¬
kommende Bestimmung „des Umfanges des religiösen Unterrichtsstoffes" den
ganzen Schulplan über den Haufen werfen und nach Gefallen Konflikte schaffen.
Denn was kann nicht alles zum „religiösen Unterrichtsstoff" gerechnet werden?
Die Berufung auf Art. 24 der preußischen Verfassung war ja klug ausge¬
sonnen; in der That aber kann man sich für ein Einspruchs- und Maßrege-
lnngsrecht der Kirche so wenig auf die Verfassung berufen, daß sie gerade das
Gegenteil des Windthorstschen Antrages enthält, denn dem Staate wird ohne
irgend welche Klausel die Anstellung der Lehrer an der Volksschule zugesprochen;
und anders ist es in Preußen seit dem Bestände der Verfassung und früher nie
gehandhabt worden. Das weiß natürlich auch Herr! Windthorst, es sollte aber
mit seinem Antrage die große Aktion im preußischen Landtage aufgeführt werdeu,
die ihm im Reichstage bei der Debatte über die Legislaturperiode nicht hatte
gelingen wollen. Und wenn man auch jetzt noch nicht die Volksschule unter
dem Titel der berechtigten Leitung des religiösen Unterrichts durch die Reli-
gionsgesellschaften an die Kirche ausgeliefert erhalten konnte, für die im Herbste
vorzunehmenden Wahlen fürs Abgeordnetenhaus gab doch der Antrag vortreff¬
lichen Agitationsstoff her. Und damit war für Herrn Windthorst viel erreicht.

Auch über die Zahl der protestantischen Räte im Kultusministerium, die
dem Verhältnis der Protestanten zu den Katholiken in der Bevölkerungszahl
nicht entspreche, hatte der welfische Störenfried wieder einmal zu klagen; er
hätte es gern, wenn die katholische Abteilung im Kultusministerium wieder
hergestellt würde, damit, „was im Kultusministerium vorgeht, von katholischen
Augen überwacht" sei. Fürwahr, ein herrliches Verlangen, eine solche Staats¬
behörde! Für uns ungefähr gerade so annehmbar, wie für Italien das Ver¬
langen des Papstes, der an seinem zehnjährigen Papstjubiläumstage es wieder
einmal nicht lassen konnte, über „die unverändert unwürdige Lage" zu jammern,
in welcher sich der päpstliche Stuhl befinde, da „die Freiheit des Papstes von
dem guten Willen" derer abhänge, die am Ruder der Regierung stünden. Das
sei eine Lage, „in die er sich nicht schicken könne." Er wird sich doch wohl
hineinschicken müssen. Und wenn die Freiheit des Papstes noch etwas mehr
beschnitten wäre, als sie es thatsächlich ist, so könnte das für die Ruhe und
das Wohlbefinden der Welt gar nichts schaden. Was uns aber betrifft, so
werden wir uns wohl hüten, diese Freiheit des heiligen Vaters, der „die Welt
regiert," noch mit verstärken zu helfen dadurch, daß in das wichtigste deutsche
Kultusministerium noch eine Anzahl Trabanten des Herrn Windthorst einziehen.

Unsre protestantischen Klerikalen freilich würde» uns schwerlich vor einem
neuen Einzug der katholischen Abteilung ins Kultusministerium bewahren, wenn
sie nur ihre den katholischen sehr verwandten, dem Staate schädlichen Pläne


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[0509] Die letzte Session des preußischen Landtags. ligionsunterricht betrauen, die dem Staate nicht geeignet erscheinen, sondern die kirchlichen Anfsichtsorganc können auch sonst in den wichtigsten Unterrichts¬ zweigen in der Volksschule diktatorisch schalten; sie können durch die ihnen zu¬ kommende Bestimmung „des Umfanges des religiösen Unterrichtsstoffes" den ganzen Schulplan über den Haufen werfen und nach Gefallen Konflikte schaffen. Denn was kann nicht alles zum „religiösen Unterrichtsstoff" gerechnet werden? Die Berufung auf Art. 24 der preußischen Verfassung war ja klug ausge¬ sonnen; in der That aber kann man sich für ein Einspruchs- und Maßrege- lnngsrecht der Kirche so wenig auf die Verfassung berufen, daß sie gerade das Gegenteil des Windthorstschen Antrages enthält, denn dem Staate wird ohne irgend welche Klausel die Anstellung der Lehrer an der Volksschule zugesprochen; und anders ist es in Preußen seit dem Bestände der Verfassung und früher nie gehandhabt worden. Das weiß natürlich auch Herr! Windthorst, es sollte aber mit seinem Antrage die große Aktion im preußischen Landtage aufgeführt werdeu, die ihm im Reichstage bei der Debatte über die Legislaturperiode nicht hatte gelingen wollen. Und wenn man auch jetzt noch nicht die Volksschule unter dem Titel der berechtigten Leitung des religiösen Unterrichts durch die Reli- gionsgesellschaften an die Kirche ausgeliefert erhalten konnte, für die im Herbste vorzunehmenden Wahlen fürs Abgeordnetenhaus gab doch der Antrag vortreff¬ lichen Agitationsstoff her. Und damit war für Herrn Windthorst viel erreicht. Auch über die Zahl der protestantischen Räte im Kultusministerium, die dem Verhältnis der Protestanten zu den Katholiken in der Bevölkerungszahl nicht entspreche, hatte der welfische Störenfried wieder einmal zu klagen; er hätte es gern, wenn die katholische Abteilung im Kultusministerium wieder hergestellt würde, damit, „was im Kultusministerium vorgeht, von katholischen Augen überwacht" sei. Fürwahr, ein herrliches Verlangen, eine solche Staats¬ behörde! Für uns ungefähr gerade so annehmbar, wie für Italien das Ver¬ langen des Papstes, der an seinem zehnjährigen Papstjubiläumstage es wieder einmal nicht lassen konnte, über „die unverändert unwürdige Lage" zu jammern, in welcher sich der päpstliche Stuhl befinde, da „die Freiheit des Papstes von dem guten Willen" derer abhänge, die am Ruder der Regierung stünden. Das sei eine Lage, „in die er sich nicht schicken könne." Er wird sich doch wohl hineinschicken müssen. Und wenn die Freiheit des Papstes noch etwas mehr beschnitten wäre, als sie es thatsächlich ist, so könnte das für die Ruhe und das Wohlbefinden der Welt gar nichts schaden. Was uns aber betrifft, so werden wir uns wohl hüten, diese Freiheit des heiligen Vaters, der „die Welt regiert," noch mit verstärken zu helfen dadurch, daß in das wichtigste deutsche Kultusministerium noch eine Anzahl Trabanten des Herrn Windthorst einziehen. Unsre protestantischen Klerikalen freilich würde» uns schwerlich vor einem neuen Einzug der katholischen Abteilung ins Kultusministerium bewahren, wenn sie nur ihre den katholischen sehr verwandten, dem Staate schädlichen Pläne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/509>, abgerufen am 01.09.2024.