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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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ganz still, selbst als ein Redner der polnischen Fraktion die Regierung anklagte,
daß sie nur Protestanten bei der Ansiedlung berücksichtige. Es war die Ge¬
walt der Thatsachen, der Herr Hänel gerade so gut wie Herr Windthorst hier
unterlag, wie bei der Wehrvorlage im Reichstage.

Am 27. Februar rückte Herr Windthorst mit seinem Versuche heraus,
den er bereits in der Sozialistendebatte im Reichstage angekündigt hatte, den
etwas ins Stocken geratenen Kulturkampf im preußischen Abgeordnetenhaus":
wieder einigermaßen in Bewegung zu bringen. Er, "der. volkstümlichste und
gefeiertste Mann Deutschlands in diesem Jahrhundert," wie ihn die katholischen
Blätter nennen, hatte sich auch außerhalb der politischen Vertretuugstorper für
diesen Versuch verpflichtet. So hatte er auf der Trierer Katholikenversammlung
gesagt: "Das Schulaufsichtsgesetz muß vor allem fallen! Die Schule gehört
der Kirche, sie muß wieder vollständig kirchlich werden." Darauf hatte der
"Friedensbischof" Korum ihn gepriesen als "den greisen Helden, der die Schlachten
Gottes anführt." Die kirchlichen Wirren sind nun einmal für Herrn Windthorst
die beste Lebensluft; und so brachte er denn seinen Antrag ein, zufolge dessen die
preußische Volksschule nicht mehr Sache des Staates, sondern der Kirche sein
soll. Denn darauf läuft der Antrag hinaus, der angeblich den zweiten Absatz
des Art. 24 der Verfassung vom 31. Januar 1850: "Den religiösen Unterricht
in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesellschaften" zur Wahrheit
machen soll. Verlangt nämlich wird in dem Antrage, daß kein Lehrer ohne die
dauernde Zustimmung des Bischofs in einer katholischen Volksschule Preußens
angestellt werde. Zugleich beantragte der Prinz von Aremberg, daß die wieder
in Preußen zugelassenen geistlichen Orden Korporationsrechte und damit die
Vermögensverwaltung erhalten sollen. Der letztere Antrag war leider als Kon¬
sequenz unsrer staatskirchlichcn Gesetzgebung unter gewissen Kautelen nicht von
der Hand zu weisen; mit dem Windthorstschen Antrage dagegen, der in vier
Alineas vier sogenannte "berechtigte Ansprüche" auf Auslieferung der Schule
an die Kirche aufstellte, war es vorläufig nur auf eine politische Demonstration
abgesehen, die vom Papste eine Art Sanktion dadurch bekam, daß dieser, als
er zu derselben Zeit die deutschen Pilger mit dem Bischof von Mainz an der
Spitze empfing, diese aufforderte, die Sache der Katholiken mit allen Kräften
zu verteidigen. Sie sollten fortfahren, in Deutschland für die Freiheit und Un¬
abhängigkeit der Kirche zu wirken. Besondre Belehrungen wolle er ihnen nicht
erteilen, sie fänden sie in der Encyklika an die preußischen und bairischen Bi¬
schöfe. Damit sollten denn den Katholiken die Alineas Windthorsts besonders
ans Herz gelegt sein, von denen das erste auf nichts andres hinausläuft, als
auf Einführung einer umgekehrten Anzeigepflicht, wenn nach seiner Bestimmung
kein katholischer Lehrer ohne die Genehmigung der kirchlichen Obern an einer
Volksschule angestellt werden kann. Nach Alinea 2 bis 4 aber können die
kirchlichen Obern nicht nur solche Geistliche mit der Oberaufsicht über den Ne-


ganz still, selbst als ein Redner der polnischen Fraktion die Regierung anklagte,
daß sie nur Protestanten bei der Ansiedlung berücksichtige. Es war die Ge¬
walt der Thatsachen, der Herr Hänel gerade so gut wie Herr Windthorst hier
unterlag, wie bei der Wehrvorlage im Reichstage.

Am 27. Februar rückte Herr Windthorst mit seinem Versuche heraus,
den er bereits in der Sozialistendebatte im Reichstage angekündigt hatte, den
etwas ins Stocken geratenen Kulturkampf im preußischen Abgeordnetenhaus«:
wieder einigermaßen in Bewegung zu bringen. Er, „der. volkstümlichste und
gefeiertste Mann Deutschlands in diesem Jahrhundert," wie ihn die katholischen
Blätter nennen, hatte sich auch außerhalb der politischen Vertretuugstorper für
diesen Versuch verpflichtet. So hatte er auf der Trierer Katholikenversammlung
gesagt: „Das Schulaufsichtsgesetz muß vor allem fallen! Die Schule gehört
der Kirche, sie muß wieder vollständig kirchlich werden." Darauf hatte der
„Friedensbischof" Korum ihn gepriesen als „den greisen Helden, der die Schlachten
Gottes anführt." Die kirchlichen Wirren sind nun einmal für Herrn Windthorst
die beste Lebensluft; und so brachte er denn seinen Antrag ein, zufolge dessen die
preußische Volksschule nicht mehr Sache des Staates, sondern der Kirche sein
soll. Denn darauf läuft der Antrag hinaus, der angeblich den zweiten Absatz
des Art. 24 der Verfassung vom 31. Januar 1850: „Den religiösen Unterricht
in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesellschaften" zur Wahrheit
machen soll. Verlangt nämlich wird in dem Antrage, daß kein Lehrer ohne die
dauernde Zustimmung des Bischofs in einer katholischen Volksschule Preußens
angestellt werde. Zugleich beantragte der Prinz von Aremberg, daß die wieder
in Preußen zugelassenen geistlichen Orden Korporationsrechte und damit die
Vermögensverwaltung erhalten sollen. Der letztere Antrag war leider als Kon¬
sequenz unsrer staatskirchlichcn Gesetzgebung unter gewissen Kautelen nicht von
der Hand zu weisen; mit dem Windthorstschen Antrage dagegen, der in vier
Alineas vier sogenannte „berechtigte Ansprüche" auf Auslieferung der Schule
an die Kirche aufstellte, war es vorläufig nur auf eine politische Demonstration
abgesehen, die vom Papste eine Art Sanktion dadurch bekam, daß dieser, als
er zu derselben Zeit die deutschen Pilger mit dem Bischof von Mainz an der
Spitze empfing, diese aufforderte, die Sache der Katholiken mit allen Kräften
zu verteidigen. Sie sollten fortfahren, in Deutschland für die Freiheit und Un¬
abhängigkeit der Kirche zu wirken. Besondre Belehrungen wolle er ihnen nicht
erteilen, sie fänden sie in der Encyklika an die preußischen und bairischen Bi¬
schöfe. Damit sollten denn den Katholiken die Alineas Windthorsts besonders
ans Herz gelegt sein, von denen das erste auf nichts andres hinausläuft, als
auf Einführung einer umgekehrten Anzeigepflicht, wenn nach seiner Bestimmung
kein katholischer Lehrer ohne die Genehmigung der kirchlichen Obern an einer
Volksschule angestellt werden kann. Nach Alinea 2 bis 4 aber können die
kirchlichen Obern nicht nur solche Geistliche mit der Oberaufsicht über den Ne-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/508>, abgerufen am 01.09.2024.