Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ricks Lyhne.

zurückgewiesen, so glühte sie darum im Verborgnen nur desto heißer. Und wie
wurde diese Hoffnung am Leben erhalten durch Frau Boyes tausenderlei Liebes¬
künste, durch ihre herausfordernde Naivität! Und dann hatte sie das Spiel
auch nicht immer so ganz und gar in der Hand, denn es konnte zuweilen vor¬
kommen, daß das Blut in seinem Müßiggang davon träumte, diese halbgezühmte
Liebe zu belohnen.

Blieb so dieses Verhältnis für Ricks Lyhnes verträumte, wenn auch lebens¬
durstige Natur bloß ein Spiel, so war es doch ein ernsthaftes Spiel, beschäf¬
tigend genug, um ihm eine Leidenschaftsgrundlage zu geben, auf der er sich
entwickeln konnte.

Und das war ein Bedürfnis für ihn. Es sollte ja ein Dichter aus Ricks
Lyhne werden, und es waren auch genug Bedingungen in seinem äußern Leben
gewesen, die seine Neigungen nach dieser Richtung hinlenken konnten, genug,
die seine Fähigkeiten einer solchen Aufgabe dienstbar machen konnten. Bis hente
freilich hatte er nicht viel andres gehabt als seine Träume, und nichts ist ein¬
förmiger und eintöniger, als ein solches Phantasieleben, denn in dem scheinbar
unendlichen, ewig wechselnden Lande der Träume giebt es in der That nur
bestimmte, kurze, gebahnte Wege, auf die sich der ganze Verkehr beschränkt und
von denen niemand weichen darf. Die Menschen können sehr verschieden sein,
ihre Träume aber sind es nicht, denn die drei, vier Dinge, die sie begehren,
erlangen sie ja mehr oder weniger schnell im Traume, mehr oder weniger voll¬
kommen, aber sie verlangen sie doch stets sämtlich; es giebt ja niemand, der
sich mit leeren Händen träumte. Darum lernt sich auch niemand im Traume
kennen, wird sich niemand in Träumen seiner Eigentümlichkeiten bewußt, denn
der Traum weiß nichts davon, wie man sich begnügt, den Schatz zu gewinnen,
wie man ihn fahren läßt, wenn man ihn verliert, wie satt man wird, wenn
man genießt, welchen Weg man einschlägt, wenn man entbehrt.

Ricks Lyhne hatte deswegen auch von der ästhetischen Persönlichkeit im
allgemeinen ausgehend gedichtet: der Lenz war für ihn eine Zeit des Schwcllens
und Knospens, das Meer war groß, die Liebe süß und der Tod traurig. Er
selber war nicht weiter in diese Poesie eingedrungen, er machte nur Verse. Jetzt
aber wurde das anders! Jetzt, wo er um die Liebe eines Weibes warb, wo
er wollte, daß sie ihn lieben sollte, ihn, ihn, Ricks Lyhne von Lönborggaard,
der dreiundzwanzig Jahre zählte, ein wenig vornübergebeugt ging, schöne
Hände und kleine Ohren hatte, der überaus schüchtern war, der wünschte,
daß sie ihn lieben sollte, ihn persönlich und nicht den idealisirten Nikolaus
seiner Träume, mit dem stolzen Gang, den sichern Manieren, und der ein wenig
älter war! Jetzt fing er an, sich lebhaft für diesen Ricks zu interessiren, mit
dem er eigentlich bis dahin nur wie mit einem weniger präsentabeln Freunde
verkehrt hatte. Er war viel zu beschäftigt gewesen, sich mit dem auszustaffiren,
Was ihm fehlte, als daß er Zeit gehabt hätte, das zu sehen, was er wirklich


Ricks Lyhne.

zurückgewiesen, so glühte sie darum im Verborgnen nur desto heißer. Und wie
wurde diese Hoffnung am Leben erhalten durch Frau Boyes tausenderlei Liebes¬
künste, durch ihre herausfordernde Naivität! Und dann hatte sie das Spiel
auch nicht immer so ganz und gar in der Hand, denn es konnte zuweilen vor¬
kommen, daß das Blut in seinem Müßiggang davon träumte, diese halbgezühmte
Liebe zu belohnen.

Blieb so dieses Verhältnis für Ricks Lyhnes verträumte, wenn auch lebens¬
durstige Natur bloß ein Spiel, so war es doch ein ernsthaftes Spiel, beschäf¬
tigend genug, um ihm eine Leidenschaftsgrundlage zu geben, auf der er sich
entwickeln konnte.

Und das war ein Bedürfnis für ihn. Es sollte ja ein Dichter aus Ricks
Lyhne werden, und es waren auch genug Bedingungen in seinem äußern Leben
gewesen, die seine Neigungen nach dieser Richtung hinlenken konnten, genug,
die seine Fähigkeiten einer solchen Aufgabe dienstbar machen konnten. Bis hente
freilich hatte er nicht viel andres gehabt als seine Träume, und nichts ist ein¬
förmiger und eintöniger, als ein solches Phantasieleben, denn in dem scheinbar
unendlichen, ewig wechselnden Lande der Träume giebt es in der That nur
bestimmte, kurze, gebahnte Wege, auf die sich der ganze Verkehr beschränkt und
von denen niemand weichen darf. Die Menschen können sehr verschieden sein,
ihre Träume aber sind es nicht, denn die drei, vier Dinge, die sie begehren,
erlangen sie ja mehr oder weniger schnell im Traume, mehr oder weniger voll¬
kommen, aber sie verlangen sie doch stets sämtlich; es giebt ja niemand, der
sich mit leeren Händen träumte. Darum lernt sich auch niemand im Traume
kennen, wird sich niemand in Träumen seiner Eigentümlichkeiten bewußt, denn
der Traum weiß nichts davon, wie man sich begnügt, den Schatz zu gewinnen,
wie man ihn fahren läßt, wenn man ihn verliert, wie satt man wird, wenn
man genießt, welchen Weg man einschlägt, wenn man entbehrt.

Ricks Lyhne hatte deswegen auch von der ästhetischen Persönlichkeit im
allgemeinen ausgehend gedichtet: der Lenz war für ihn eine Zeit des Schwcllens
und Knospens, das Meer war groß, die Liebe süß und der Tod traurig. Er
selber war nicht weiter in diese Poesie eingedrungen, er machte nur Verse. Jetzt
aber wurde das anders! Jetzt, wo er um die Liebe eines Weibes warb, wo
er wollte, daß sie ihn lieben sollte, ihn, ihn, Ricks Lyhne von Lönborggaard,
der dreiundzwanzig Jahre zählte, ein wenig vornübergebeugt ging, schöne
Hände und kleine Ohren hatte, der überaus schüchtern war, der wünschte,
daß sie ihn lieben sollte, ihn persönlich und nicht den idealisirten Nikolaus
seiner Träume, mit dem stolzen Gang, den sichern Manieren, und der ein wenig
älter war! Jetzt fing er an, sich lebhaft für diesen Ricks zu interessiren, mit
dem er eigentlich bis dahin nur wie mit einem weniger präsentabeln Freunde
verkehrt hatte. Er war viel zu beschäftigt gewesen, sich mit dem auszustaffiren,
Was ihm fehlte, als daß er Zeit gehabt hätte, das zu sehen, was er wirklich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203276"/>
          <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1547" prev="#ID_1546"> zurückgewiesen, so glühte sie darum im Verborgnen nur desto heißer. Und wie<lb/>
wurde diese Hoffnung am Leben erhalten durch Frau Boyes tausenderlei Liebes¬<lb/>
künste, durch ihre herausfordernde Naivität! Und dann hatte sie das Spiel<lb/>
auch nicht immer so ganz und gar in der Hand, denn es konnte zuweilen vor¬<lb/>
kommen, daß das Blut in seinem Müßiggang davon träumte, diese halbgezühmte<lb/>
Liebe zu belohnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1548"> Blieb so dieses Verhältnis für Ricks Lyhnes verträumte, wenn auch lebens¬<lb/>
durstige Natur bloß ein Spiel, so war es doch ein ernsthaftes Spiel, beschäf¬<lb/>
tigend genug, um ihm eine Leidenschaftsgrundlage zu geben, auf der er sich<lb/>
entwickeln konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1549"> Und das war ein Bedürfnis für ihn. Es sollte ja ein Dichter aus Ricks<lb/>
Lyhne werden, und es waren auch genug Bedingungen in seinem äußern Leben<lb/>
gewesen, die seine Neigungen nach dieser Richtung hinlenken konnten, genug,<lb/>
die seine Fähigkeiten einer solchen Aufgabe dienstbar machen konnten. Bis hente<lb/>
freilich hatte er nicht viel andres gehabt als seine Träume, und nichts ist ein¬<lb/>
förmiger und eintöniger, als ein solches Phantasieleben, denn in dem scheinbar<lb/>
unendlichen, ewig wechselnden Lande der Träume giebt es in der That nur<lb/>
bestimmte, kurze, gebahnte Wege, auf die sich der ganze Verkehr beschränkt und<lb/>
von denen niemand weichen darf. Die Menschen können sehr verschieden sein,<lb/>
ihre Träume aber sind es nicht, denn die drei, vier Dinge, die sie begehren,<lb/>
erlangen sie ja mehr oder weniger schnell im Traume, mehr oder weniger voll¬<lb/>
kommen, aber sie verlangen sie doch stets sämtlich; es giebt ja niemand, der<lb/>
sich mit leeren Händen träumte. Darum lernt sich auch niemand im Traume<lb/>
kennen, wird sich niemand in Träumen seiner Eigentümlichkeiten bewußt, denn<lb/>
der Traum weiß nichts davon, wie man sich begnügt, den Schatz zu gewinnen,<lb/>
wie man ihn fahren läßt, wenn man ihn verliert, wie satt man wird, wenn<lb/>
man genießt, welchen Weg man einschlägt, wenn man entbehrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1550" next="#ID_1551"> Ricks Lyhne hatte deswegen auch von der ästhetischen Persönlichkeit im<lb/>
allgemeinen ausgehend gedichtet: der Lenz war für ihn eine Zeit des Schwcllens<lb/>
und Knospens, das Meer war groß, die Liebe süß und der Tod traurig. Er<lb/>
selber war nicht weiter in diese Poesie eingedrungen, er machte nur Verse. Jetzt<lb/>
aber wurde das anders! Jetzt, wo er um die Liebe eines Weibes warb, wo<lb/>
er wollte, daß sie ihn lieben sollte, ihn, ihn, Ricks Lyhne von Lönborggaard,<lb/>
der dreiundzwanzig Jahre zählte, ein wenig vornübergebeugt ging, schöne<lb/>
Hände und kleine Ohren hatte, der überaus schüchtern war, der wünschte,<lb/>
daß sie ihn lieben sollte, ihn persönlich und nicht den idealisirten Nikolaus<lb/>
seiner Träume, mit dem stolzen Gang, den sichern Manieren, und der ein wenig<lb/>
älter war! Jetzt fing er an, sich lebhaft für diesen Ricks zu interessiren, mit<lb/>
dem er eigentlich bis dahin nur wie mit einem weniger präsentabeln Freunde<lb/>
verkehrt hatte. Er war viel zu beschäftigt gewesen, sich mit dem auszustaffiren,<lb/>
Was ihm fehlte, als daß er Zeit gehabt hätte, das zu sehen, was er wirklich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0499] Ricks Lyhne. zurückgewiesen, so glühte sie darum im Verborgnen nur desto heißer. Und wie wurde diese Hoffnung am Leben erhalten durch Frau Boyes tausenderlei Liebes¬ künste, durch ihre herausfordernde Naivität! Und dann hatte sie das Spiel auch nicht immer so ganz und gar in der Hand, denn es konnte zuweilen vor¬ kommen, daß das Blut in seinem Müßiggang davon träumte, diese halbgezühmte Liebe zu belohnen. Blieb so dieses Verhältnis für Ricks Lyhnes verträumte, wenn auch lebens¬ durstige Natur bloß ein Spiel, so war es doch ein ernsthaftes Spiel, beschäf¬ tigend genug, um ihm eine Leidenschaftsgrundlage zu geben, auf der er sich entwickeln konnte. Und das war ein Bedürfnis für ihn. Es sollte ja ein Dichter aus Ricks Lyhne werden, und es waren auch genug Bedingungen in seinem äußern Leben gewesen, die seine Neigungen nach dieser Richtung hinlenken konnten, genug, die seine Fähigkeiten einer solchen Aufgabe dienstbar machen konnten. Bis hente freilich hatte er nicht viel andres gehabt als seine Träume, und nichts ist ein¬ förmiger und eintöniger, als ein solches Phantasieleben, denn in dem scheinbar unendlichen, ewig wechselnden Lande der Träume giebt es in der That nur bestimmte, kurze, gebahnte Wege, auf die sich der ganze Verkehr beschränkt und von denen niemand weichen darf. Die Menschen können sehr verschieden sein, ihre Träume aber sind es nicht, denn die drei, vier Dinge, die sie begehren, erlangen sie ja mehr oder weniger schnell im Traume, mehr oder weniger voll¬ kommen, aber sie verlangen sie doch stets sämtlich; es giebt ja niemand, der sich mit leeren Händen träumte. Darum lernt sich auch niemand im Traume kennen, wird sich niemand in Träumen seiner Eigentümlichkeiten bewußt, denn der Traum weiß nichts davon, wie man sich begnügt, den Schatz zu gewinnen, wie man ihn fahren läßt, wenn man ihn verliert, wie satt man wird, wenn man genießt, welchen Weg man einschlägt, wenn man entbehrt. Ricks Lyhne hatte deswegen auch von der ästhetischen Persönlichkeit im allgemeinen ausgehend gedichtet: der Lenz war für ihn eine Zeit des Schwcllens und Knospens, das Meer war groß, die Liebe süß und der Tod traurig. Er selber war nicht weiter in diese Poesie eingedrungen, er machte nur Verse. Jetzt aber wurde das anders! Jetzt, wo er um die Liebe eines Weibes warb, wo er wollte, daß sie ihn lieben sollte, ihn, ihn, Ricks Lyhne von Lönborggaard, der dreiundzwanzig Jahre zählte, ein wenig vornübergebeugt ging, schöne Hände und kleine Ohren hatte, der überaus schüchtern war, der wünschte, daß sie ihn lieben sollte, ihn persönlich und nicht den idealisirten Nikolaus seiner Träume, mit dem stolzen Gang, den sichern Manieren, und der ein wenig älter war! Jetzt fing er an, sich lebhaft für diesen Ricks zu interessiren, mit dem er eigentlich bis dahin nur wie mit einem weniger präsentabeln Freunde verkehrt hatte. Er war viel zu beschäftigt gewesen, sich mit dem auszustaffiren, Was ihm fehlte, als daß er Zeit gehabt hätte, das zu sehen, was er wirklich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/499
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/499>, abgerufen am 01.09.2024.