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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Wiener Litteratur.

genialen Blitze. Sein Buch hat Ähnlichkeit mit dem "Homunculus" von Robert
Hamerling. Sieht man von der philosophischen Grundidee des letzteren ab
mit von dem Zuwachs, den die reiche Bildung des einstigen Gymnasialprofessors
und gelehrten Hellenisten dem Epos gewähren konnte, so übertrifft sogar
Schwarzkopfs Satire in manchen Beziehungen das Werk des Dichters. Denn
der junge elegante Wiener Schriftsteller, der viel in der Gesellschaft verkehrt,
kennt die großstädtischen Übel genauer, als der seit Jahren kränkelnde Einsiedler
von Grciz. Allein das Bedürfnis, für das satirische Strafgericht einen positiven
Hintergrund zu schaffen, wie Hamerling es empfand, fehlt Schwarzkopf gänzlich,
oder vielmehr: in seiner virtuosen Einseitigkeit hat er es bei gutem Willen kaum
andeuten können. Er ist nicht imstande, zum Schatten Licht zu setzen, er kann nur
schwarz malen, seine Palette hat keine andern Farben. Und nun wird man sich
vorstellen können, mit welch unangenehmen Empfindungen man ein Buch, das jede
Gelegenheit, Freudiges zu schildern, man kann sagen geflissentlich vermeidet, aus
der Hand legt. Wie gern man auch die Wahrheit der Bilder in sehr vielen
Fällen zugestehen möchte, wie wohlthuend der Mut des Verfassers berühren
mag, der an Zustände rührt, deren Faulheit ein öffentliches Geheimnis ist,
ohne daß ein andrer den Mut hätte, es zu sagen: am Ende ist man froh,
der Hölle entronnen zu sein. Einen Trost, eine Aussicht auf eine bessere
Zukunft, eine erhebende allgemeine sittliche Weltanschauung kennt Schwarzkopfs
an die unmittelbare Umgebung gefesseltes Auge nicht. Vom historischen Be¬
trachten selbst der Gegenwart läßt sich der einseitige Moralist nichts träumen.
Darum hat er keine rechte Perspektive für die Dinge; Großes und Kleines,
Hauptsachen und Nebensachen sind ihm alle gleich wichtig. Und was ist die
Folge dieser Schreibweise? Ein Mann wie Schwarzkopf, wenn er gesund wäre
und wenn er die doch nicht unverächtliche Weisheit größerer Geister zu seinem
Eigentum gemacht hätte, könnte revolutionär auf seinem Gebiete wirken, statt
seines Nihilismus müßte er nur einige Tropfen Goethischen Optimismus auf¬
nehmen; so aber bleiben seine Satiren wirkungslos, werden bestenfalls ein gutes
Material für ein glücklicheres Talent abgeben, das sich seine Originalanschauungen
zu eigen machen wird.

Mit dem Homunculus hat Viktor Baring, der "Lebenskünstler" Schwarz¬
kopfs, das Strebertum, die Gier nach Geld und die damit verbundene ge-
sellschaftliche Stellung und Macht gemein. Nur ist Baring nicht der verkör¬
perte Geist der Zeit, sondern der typische Wiener "Advokaturskonzipient," der
wegen seiner Jagd auf eine reiche Braut in heiterm oder wenn man will
sarkastischen Rufe steht. Diese Jagd, der endliche Erfolg, die Ehe selbst, dann
das Witwertum Barings und alle feine Thaten, um sich berühmt zu machen, sein
Eintritt in die sogenannte gute Gesellschaft, seine Vorstadtpolitik, seine Versuche,
sich ins Parlament wählen z" lassen, sein Fiasko, seine journalistische Thätig¬
keit, sein Umgang mit den Damen der Halbwelt, seine Ehe mit der alten Gassen-


Wiener Litteratur.

genialen Blitze. Sein Buch hat Ähnlichkeit mit dem „Homunculus" von Robert
Hamerling. Sieht man von der philosophischen Grundidee des letzteren ab
mit von dem Zuwachs, den die reiche Bildung des einstigen Gymnasialprofessors
und gelehrten Hellenisten dem Epos gewähren konnte, so übertrifft sogar
Schwarzkopfs Satire in manchen Beziehungen das Werk des Dichters. Denn
der junge elegante Wiener Schriftsteller, der viel in der Gesellschaft verkehrt,
kennt die großstädtischen Übel genauer, als der seit Jahren kränkelnde Einsiedler
von Grciz. Allein das Bedürfnis, für das satirische Strafgericht einen positiven
Hintergrund zu schaffen, wie Hamerling es empfand, fehlt Schwarzkopf gänzlich,
oder vielmehr: in seiner virtuosen Einseitigkeit hat er es bei gutem Willen kaum
andeuten können. Er ist nicht imstande, zum Schatten Licht zu setzen, er kann nur
schwarz malen, seine Palette hat keine andern Farben. Und nun wird man sich
vorstellen können, mit welch unangenehmen Empfindungen man ein Buch, das jede
Gelegenheit, Freudiges zu schildern, man kann sagen geflissentlich vermeidet, aus
der Hand legt. Wie gern man auch die Wahrheit der Bilder in sehr vielen
Fällen zugestehen möchte, wie wohlthuend der Mut des Verfassers berühren
mag, der an Zustände rührt, deren Faulheit ein öffentliches Geheimnis ist,
ohne daß ein andrer den Mut hätte, es zu sagen: am Ende ist man froh,
der Hölle entronnen zu sein. Einen Trost, eine Aussicht auf eine bessere
Zukunft, eine erhebende allgemeine sittliche Weltanschauung kennt Schwarzkopfs
an die unmittelbare Umgebung gefesseltes Auge nicht. Vom historischen Be¬
trachten selbst der Gegenwart läßt sich der einseitige Moralist nichts träumen.
Darum hat er keine rechte Perspektive für die Dinge; Großes und Kleines,
Hauptsachen und Nebensachen sind ihm alle gleich wichtig. Und was ist die
Folge dieser Schreibweise? Ein Mann wie Schwarzkopf, wenn er gesund wäre
und wenn er die doch nicht unverächtliche Weisheit größerer Geister zu seinem
Eigentum gemacht hätte, könnte revolutionär auf seinem Gebiete wirken, statt
seines Nihilismus müßte er nur einige Tropfen Goethischen Optimismus auf¬
nehmen; so aber bleiben seine Satiren wirkungslos, werden bestenfalls ein gutes
Material für ein glücklicheres Talent abgeben, das sich seine Originalanschauungen
zu eigen machen wird.

Mit dem Homunculus hat Viktor Baring, der „Lebenskünstler" Schwarz¬
kopfs, das Strebertum, die Gier nach Geld und die damit verbundene ge-
sellschaftliche Stellung und Macht gemein. Nur ist Baring nicht der verkör¬
perte Geist der Zeit, sondern der typische Wiener „Advokaturskonzipient," der
wegen seiner Jagd auf eine reiche Braut in heiterm oder wenn man will
sarkastischen Rufe steht. Diese Jagd, der endliche Erfolg, die Ehe selbst, dann
das Witwertum Barings und alle feine Thaten, um sich berühmt zu machen, sein
Eintritt in die sogenannte gute Gesellschaft, seine Vorstadtpolitik, seine Versuche,
sich ins Parlament wählen z» lassen, sein Fiasko, seine journalistische Thätig¬
keit, sein Umgang mit den Damen der Halbwelt, seine Ehe mit der alten Gassen-


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[0494] Wiener Litteratur. genialen Blitze. Sein Buch hat Ähnlichkeit mit dem „Homunculus" von Robert Hamerling. Sieht man von der philosophischen Grundidee des letzteren ab mit von dem Zuwachs, den die reiche Bildung des einstigen Gymnasialprofessors und gelehrten Hellenisten dem Epos gewähren konnte, so übertrifft sogar Schwarzkopfs Satire in manchen Beziehungen das Werk des Dichters. Denn der junge elegante Wiener Schriftsteller, der viel in der Gesellschaft verkehrt, kennt die großstädtischen Übel genauer, als der seit Jahren kränkelnde Einsiedler von Grciz. Allein das Bedürfnis, für das satirische Strafgericht einen positiven Hintergrund zu schaffen, wie Hamerling es empfand, fehlt Schwarzkopf gänzlich, oder vielmehr: in seiner virtuosen Einseitigkeit hat er es bei gutem Willen kaum andeuten können. Er ist nicht imstande, zum Schatten Licht zu setzen, er kann nur schwarz malen, seine Palette hat keine andern Farben. Und nun wird man sich vorstellen können, mit welch unangenehmen Empfindungen man ein Buch, das jede Gelegenheit, Freudiges zu schildern, man kann sagen geflissentlich vermeidet, aus der Hand legt. Wie gern man auch die Wahrheit der Bilder in sehr vielen Fällen zugestehen möchte, wie wohlthuend der Mut des Verfassers berühren mag, der an Zustände rührt, deren Faulheit ein öffentliches Geheimnis ist, ohne daß ein andrer den Mut hätte, es zu sagen: am Ende ist man froh, der Hölle entronnen zu sein. Einen Trost, eine Aussicht auf eine bessere Zukunft, eine erhebende allgemeine sittliche Weltanschauung kennt Schwarzkopfs an die unmittelbare Umgebung gefesseltes Auge nicht. Vom historischen Be¬ trachten selbst der Gegenwart läßt sich der einseitige Moralist nichts träumen. Darum hat er keine rechte Perspektive für die Dinge; Großes und Kleines, Hauptsachen und Nebensachen sind ihm alle gleich wichtig. Und was ist die Folge dieser Schreibweise? Ein Mann wie Schwarzkopf, wenn er gesund wäre und wenn er die doch nicht unverächtliche Weisheit größerer Geister zu seinem Eigentum gemacht hätte, könnte revolutionär auf seinem Gebiete wirken, statt seines Nihilismus müßte er nur einige Tropfen Goethischen Optimismus auf¬ nehmen; so aber bleiben seine Satiren wirkungslos, werden bestenfalls ein gutes Material für ein glücklicheres Talent abgeben, das sich seine Originalanschauungen zu eigen machen wird. Mit dem Homunculus hat Viktor Baring, der „Lebenskünstler" Schwarz¬ kopfs, das Strebertum, die Gier nach Geld und die damit verbundene ge- sellschaftliche Stellung und Macht gemein. Nur ist Baring nicht der verkör¬ perte Geist der Zeit, sondern der typische Wiener „Advokaturskonzipient," der wegen seiner Jagd auf eine reiche Braut in heiterm oder wenn man will sarkastischen Rufe steht. Diese Jagd, der endliche Erfolg, die Ehe selbst, dann das Witwertum Barings und alle feine Thaten, um sich berühmt zu machen, sein Eintritt in die sogenannte gute Gesellschaft, seine Vorstadtpolitik, seine Versuche, sich ins Parlament wählen z» lassen, sein Fiasko, seine journalistische Thätig¬ keit, sein Umgang mit den Damen der Halbwelt, seine Ehe mit der alten Gassen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/494>, abgerufen am 01.09.2024.