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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Wiener Litteratur.

in einer Form und mit Folgen, die recht bezeichnend für die Wiener Zustände
auf diesem Gebiete sind. Gewählt dazu wurde das Sonntagsmorgenblatt,
als das wirkungsvollste, denn das Publikum ist gewöhnt, am Sonntag die
besten Feuilletons, die pikantesten Entrefilcts zu finden, das Blatt liegt auch
vierundzwanzig Stunden länger als die Wochentagsnummern auf, und am
Sonntag finden die Leser überhaupt mehr Muße für ihre Zeitung. Da fanden
sie denn an auffälliger Stelle eine lange Anzeige eines neu erschienenen Wiener
Romans. Plötzlich kümmerten sich die Zeitungen liebevoll um die Wiener Litte¬
ratur! Jahraus jahrein schreiben begabte Schriftsteller im Reiche Romane,
die, wenn auch nicht fehlerlos, doch jedenfalls der Besprechung wert sind; aber
nur persönliche Freundschaft mit einem Redakteur bringt ihnen das Glück, dem
Wiener Publikum vorgestellt zu werden. Herr Erwin Balder hatte mit
seinem Erstlingswerk Leo nie (Wien, Konegen, 1888) gleich dieses große Glück
erlebt. Alle Welt war natürlich überrascht. Wie kommt der Mann, der sich
nach den beiden Hauptfiguren des Heyseschen Romans "Kinder der Welt" be¬
nennt, zu diesem "Glück"? Welch mächtiger Einfluß hat hier gewirkt? Wer
ist der Maun? Das waren die erstaunten Fragen nach dem Lesen jener
immerhin doch vorsichtigen Kritiken. Der Sachverhalt war auch pikant genug
und halb verhüllt angedeutet worden. Erwin Balder war das Pseudonym für
den Direktor einer großen Bank, dessen Name durch seine vor mehreren Jahren
geschlossene Ehe mit einer populären Operettensängerin auch dem großen Pu¬
blikum bekannt geworden war, übrigens ein gebildeter, geistreicher Börsen¬
mann, der ein großes Haus führt und viele Journalisten bei sich empfängt.
Dieser Bankdirektor hat in dem Roman "Leonie" aus eigner Anschauung und
mit genauer Sachkenntnis das Börsenvolk geschildert, und die Rezensionen waren
wieder von journalistischen Fachmännern der Börse geschrieben. Nun wußte
mans: eine angesehene Geldmacht stand dahinter, nun begriff man den Zu¬
sammenhang. Der Erfolg der Kritiken blieb nicht aus: die Leihbibliotheken
wurden überlaufen, ja sogar die Sortimenter verkauften den Roman, von dessen
Modellen die Fama auch bald allerlei zu erzählen wußte, und jetzt schon sieht
sich der Verleger veranlaßt, eine zweite Auflage der "Leonie" zu drucken.
Aber auf dem Fuße folgte dieser Wirkung die Gegenwirkung: nie mag wohl
über einen im ganzen doch nicht unbedeutenden Roman so abfällig, so zornig
geurteilt worden sein, wie über diese "Leonie." Wenn Erwin Balder nur den
Erfolg angestrebt hat, rasch gelesen zu werden, von sich reden zu machen, so
hat er ihn gewiß erreicht. Dem Bankdirektor, dem die Jnszenirnng des Zei¬
tungslärmes vom Börsengeschäfte her vertraut ist, ist auch die litterarische Re¬
klame leicht gelungen. Wenn er aber mehr gewollt hat -- und nach dem Lesen
seines Buches muß mau dies annehmen --, so hat er sich durch den Spektakel
wehr geschadet als genützt; worüber ihm die Leihbibliothekare zuverlässige Aus¬
kunft geben würde", wenn sie die kritischen Äußerungen ihrer Abonnenten mit-


Grmzbvten II. 1883. 61
Wiener Litteratur.

in einer Form und mit Folgen, die recht bezeichnend für die Wiener Zustände
auf diesem Gebiete sind. Gewählt dazu wurde das Sonntagsmorgenblatt,
als das wirkungsvollste, denn das Publikum ist gewöhnt, am Sonntag die
besten Feuilletons, die pikantesten Entrefilcts zu finden, das Blatt liegt auch
vierundzwanzig Stunden länger als die Wochentagsnummern auf, und am
Sonntag finden die Leser überhaupt mehr Muße für ihre Zeitung. Da fanden
sie denn an auffälliger Stelle eine lange Anzeige eines neu erschienenen Wiener
Romans. Plötzlich kümmerten sich die Zeitungen liebevoll um die Wiener Litte¬
ratur! Jahraus jahrein schreiben begabte Schriftsteller im Reiche Romane,
die, wenn auch nicht fehlerlos, doch jedenfalls der Besprechung wert sind; aber
nur persönliche Freundschaft mit einem Redakteur bringt ihnen das Glück, dem
Wiener Publikum vorgestellt zu werden. Herr Erwin Balder hatte mit
seinem Erstlingswerk Leo nie (Wien, Konegen, 1888) gleich dieses große Glück
erlebt. Alle Welt war natürlich überrascht. Wie kommt der Mann, der sich
nach den beiden Hauptfiguren des Heyseschen Romans „Kinder der Welt" be¬
nennt, zu diesem „Glück"? Welch mächtiger Einfluß hat hier gewirkt? Wer
ist der Maun? Das waren die erstaunten Fragen nach dem Lesen jener
immerhin doch vorsichtigen Kritiken. Der Sachverhalt war auch pikant genug
und halb verhüllt angedeutet worden. Erwin Balder war das Pseudonym für
den Direktor einer großen Bank, dessen Name durch seine vor mehreren Jahren
geschlossene Ehe mit einer populären Operettensängerin auch dem großen Pu¬
blikum bekannt geworden war, übrigens ein gebildeter, geistreicher Börsen¬
mann, der ein großes Haus führt und viele Journalisten bei sich empfängt.
Dieser Bankdirektor hat in dem Roman „Leonie" aus eigner Anschauung und
mit genauer Sachkenntnis das Börsenvolk geschildert, und die Rezensionen waren
wieder von journalistischen Fachmännern der Börse geschrieben. Nun wußte
mans: eine angesehene Geldmacht stand dahinter, nun begriff man den Zu¬
sammenhang. Der Erfolg der Kritiken blieb nicht aus: die Leihbibliotheken
wurden überlaufen, ja sogar die Sortimenter verkauften den Roman, von dessen
Modellen die Fama auch bald allerlei zu erzählen wußte, und jetzt schon sieht
sich der Verleger veranlaßt, eine zweite Auflage der „Leonie" zu drucken.
Aber auf dem Fuße folgte dieser Wirkung die Gegenwirkung: nie mag wohl
über einen im ganzen doch nicht unbedeutenden Roman so abfällig, so zornig
geurteilt worden sein, wie über diese „Leonie." Wenn Erwin Balder nur den
Erfolg angestrebt hat, rasch gelesen zu werden, von sich reden zu machen, so
hat er ihn gewiß erreicht. Dem Bankdirektor, dem die Jnszenirnng des Zei¬
tungslärmes vom Börsengeschäfte her vertraut ist, ist auch die litterarische Re¬
klame leicht gelungen. Wenn er aber mehr gewollt hat — und nach dem Lesen
seines Buches muß mau dies annehmen —, so hat er sich durch den Spektakel
wehr geschadet als genützt; worüber ihm die Leihbibliothekare zuverlässige Aus¬
kunft geben würde», wenn sie die kritischen Äußerungen ihrer Abonnenten mit-


Grmzbvten II. 1883. 61
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[0489] Wiener Litteratur. in einer Form und mit Folgen, die recht bezeichnend für die Wiener Zustände auf diesem Gebiete sind. Gewählt dazu wurde das Sonntagsmorgenblatt, als das wirkungsvollste, denn das Publikum ist gewöhnt, am Sonntag die besten Feuilletons, die pikantesten Entrefilcts zu finden, das Blatt liegt auch vierundzwanzig Stunden länger als die Wochentagsnummern auf, und am Sonntag finden die Leser überhaupt mehr Muße für ihre Zeitung. Da fanden sie denn an auffälliger Stelle eine lange Anzeige eines neu erschienenen Wiener Romans. Plötzlich kümmerten sich die Zeitungen liebevoll um die Wiener Litte¬ ratur! Jahraus jahrein schreiben begabte Schriftsteller im Reiche Romane, die, wenn auch nicht fehlerlos, doch jedenfalls der Besprechung wert sind; aber nur persönliche Freundschaft mit einem Redakteur bringt ihnen das Glück, dem Wiener Publikum vorgestellt zu werden. Herr Erwin Balder hatte mit seinem Erstlingswerk Leo nie (Wien, Konegen, 1888) gleich dieses große Glück erlebt. Alle Welt war natürlich überrascht. Wie kommt der Mann, der sich nach den beiden Hauptfiguren des Heyseschen Romans „Kinder der Welt" be¬ nennt, zu diesem „Glück"? Welch mächtiger Einfluß hat hier gewirkt? Wer ist der Maun? Das waren die erstaunten Fragen nach dem Lesen jener immerhin doch vorsichtigen Kritiken. Der Sachverhalt war auch pikant genug und halb verhüllt angedeutet worden. Erwin Balder war das Pseudonym für den Direktor einer großen Bank, dessen Name durch seine vor mehreren Jahren geschlossene Ehe mit einer populären Operettensängerin auch dem großen Pu¬ blikum bekannt geworden war, übrigens ein gebildeter, geistreicher Börsen¬ mann, der ein großes Haus führt und viele Journalisten bei sich empfängt. Dieser Bankdirektor hat in dem Roman „Leonie" aus eigner Anschauung und mit genauer Sachkenntnis das Börsenvolk geschildert, und die Rezensionen waren wieder von journalistischen Fachmännern der Börse geschrieben. Nun wußte mans: eine angesehene Geldmacht stand dahinter, nun begriff man den Zu¬ sammenhang. Der Erfolg der Kritiken blieb nicht aus: die Leihbibliotheken wurden überlaufen, ja sogar die Sortimenter verkauften den Roman, von dessen Modellen die Fama auch bald allerlei zu erzählen wußte, und jetzt schon sieht sich der Verleger veranlaßt, eine zweite Auflage der „Leonie" zu drucken. Aber auf dem Fuße folgte dieser Wirkung die Gegenwirkung: nie mag wohl über einen im ganzen doch nicht unbedeutenden Roman so abfällig, so zornig geurteilt worden sein, wie über diese „Leonie." Wenn Erwin Balder nur den Erfolg angestrebt hat, rasch gelesen zu werden, von sich reden zu machen, so hat er ihn gewiß erreicht. Dem Bankdirektor, dem die Jnszenirnng des Zei¬ tungslärmes vom Börsengeschäfte her vertraut ist, ist auch die litterarische Re¬ klame leicht gelungen. Wenn er aber mehr gewollt hat — und nach dem Lesen seines Buches muß mau dies annehmen —, so hat er sich durch den Spektakel wehr geschadet als genützt; worüber ihm die Leihbibliothekare zuverlässige Aus¬ kunft geben würde», wenn sie die kritischen Äußerungen ihrer Abonnenten mit- Grmzbvten II. 1883. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/489>, abgerufen am 01.09.2024.