Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Äarlsschnle und Schillers Zugenddrameii.

vollzogen wurden. Hatte sich ein Zögling irgendwie vergangen, so wurde ihm
ein "Strafbillet" ins Knopfloch geheftet, mit welchem der also dekorirte bei
der Aufstellung zum Mittagsessen zu erscheinen hatte. Der Herzog, der sich zur
Musterung einfand, mußte das Billet bemerken, untersuchte den Fall und be¬
stimmte gewöhnlich selbst die Strafe. Diese bestand in Entziehung des Essens,
des sonntäglichen Spazierganges, in Arrest, aber auch in Züchtigungen mit der
Rute. Schiller hat während seines ganzen Aufenthaltes in der Schule nur
sechs Strafbillcts erhalten. Sie beziehen sich zur Hälfte auf Verstöße gegen
die Vorschriften über Frisur, Uniform, Bettmachen. Derartige Rügen werden
dem jungen Dichter nicht gar zu empfindlich gewesen sein. Welchen Eindruck
aber mag auf sein Gemüt die Bestrafung in zwei andern Fällen gemacht haben,
die sich in den Akten verzeichnet finden. Die Kost war, so lange die Erziehungs¬
anstalt sich auf der solitude befand, gering und spärlich. Ohne Zweifel
hungrig, verschaffte sich der "Eleve" Schiller einmal "vor 6 Kreuzer Wecken
auf Borg"; er wird am 20. November 1773 "mit 12 Weydenstockstreichen"
dafür gezüchtigt, vermutlich vor deu Augen seiner sämtlichen Kameraden, bei
Tisch. Das war gemeiner Brauch der Anstalt. Ein zweites Strafbillet, ans
ähnlicher Ursache, erhielt er am 24. Dezember 1773. Der Eintrag, der die
Strafe namhaft macht, lautet: "Eleve Großen., weil er sich durch die Reini¬
gungsmagd Coffe machen lassen, und der ein Hemd davor gegeben; Eleve Schiller
und Baz, weil sie in Gesellschaft des Eleven Groß Mi, Coffe bei besagter
Cammermagd getrunken." Der 24. Dezember 1773 war der erste heilige Abend,
den Schiller fern vom elterlichen Hause verlebte! Besuche der Eltern "ut Ver¬
wandten in der Akademie konnten nur mit besondrer Erlaubnis des Herzogs
oder des Intendanten stattfinden, und die Unterredung durfte nur in Gegen¬
wart eines Aufsehers vor sich gehen. Ferien gab es erst von der Zeit ab, wo
die Anstalt zur Hochschule erhoben war; bis dahin hatte" Lehrer und Schüler
außer den kirchlichen Festtagen, sowie den Geburtstagen des Herzogs und der
Reichsgräfin Franziska von Hohenheim keinen Tag freier Erholung und Ab¬
spannung des Geistes.

Charakteristisch für die Zeit und ganz besonders widerlich für unsre heutige
Empfindung ist der Kultus sür die herzogliche Mätresse, der der heranwachsenden
Jugend gewissermaßen aufgenötigt wurde. süßliche Franenzimmerromane und
leider auch Schillerbiographien, die sonst nicht verdicnstlos, aber deklamatorisch
phrasenhaft sind, wie die von Emil Palleske, schwelgen freilich in der Vorstel¬
lung, wie Karl Eugen am Arme der Fran von Leutrnm in der Akademie zu
Stuttgart erschien und mit ihr die Abendtafel hielt, wie die Jungen samt und
sonders sich in Franziska verliebten und ihr "funkelndes Auge, ihre milde
Stimme, der mystische Reiz ihrer Beziehungen zum Herzog" die Phantasie der
weltabgeschiedenen Jttuglinge entflammte. Mit Recht bemerkt dagegen Richard
Weltrich (Friedrich Schiller, I. 134), daß eher von der außerordentlichen Ruck-


Die Äarlsschnle und Schillers Zugenddrameii.

vollzogen wurden. Hatte sich ein Zögling irgendwie vergangen, so wurde ihm
ein „Strafbillet" ins Knopfloch geheftet, mit welchem der also dekorirte bei
der Aufstellung zum Mittagsessen zu erscheinen hatte. Der Herzog, der sich zur
Musterung einfand, mußte das Billet bemerken, untersuchte den Fall und be¬
stimmte gewöhnlich selbst die Strafe. Diese bestand in Entziehung des Essens,
des sonntäglichen Spazierganges, in Arrest, aber auch in Züchtigungen mit der
Rute. Schiller hat während seines ganzen Aufenthaltes in der Schule nur
sechs Strafbillcts erhalten. Sie beziehen sich zur Hälfte auf Verstöße gegen
die Vorschriften über Frisur, Uniform, Bettmachen. Derartige Rügen werden
dem jungen Dichter nicht gar zu empfindlich gewesen sein. Welchen Eindruck
aber mag auf sein Gemüt die Bestrafung in zwei andern Fällen gemacht haben,
die sich in den Akten verzeichnet finden. Die Kost war, so lange die Erziehungs¬
anstalt sich auf der solitude befand, gering und spärlich. Ohne Zweifel
hungrig, verschaffte sich der „Eleve" Schiller einmal „vor 6 Kreuzer Wecken
auf Borg"; er wird am 20. November 1773 „mit 12 Weydenstockstreichen"
dafür gezüchtigt, vermutlich vor deu Augen seiner sämtlichen Kameraden, bei
Tisch. Das war gemeiner Brauch der Anstalt. Ein zweites Strafbillet, ans
ähnlicher Ursache, erhielt er am 24. Dezember 1773. Der Eintrag, der die
Strafe namhaft macht, lautet: „Eleve Großen., weil er sich durch die Reini¬
gungsmagd Coffe machen lassen, und der ein Hemd davor gegeben; Eleve Schiller
und Baz, weil sie in Gesellschaft des Eleven Groß Mi, Coffe bei besagter
Cammermagd getrunken." Der 24. Dezember 1773 war der erste heilige Abend,
den Schiller fern vom elterlichen Hause verlebte! Besuche der Eltern »ut Ver¬
wandten in der Akademie konnten nur mit besondrer Erlaubnis des Herzogs
oder des Intendanten stattfinden, und die Unterredung durfte nur in Gegen¬
wart eines Aufsehers vor sich gehen. Ferien gab es erst von der Zeit ab, wo
die Anstalt zur Hochschule erhoben war; bis dahin hatte» Lehrer und Schüler
außer den kirchlichen Festtagen, sowie den Geburtstagen des Herzogs und der
Reichsgräfin Franziska von Hohenheim keinen Tag freier Erholung und Ab¬
spannung des Geistes.

Charakteristisch für die Zeit und ganz besonders widerlich für unsre heutige
Empfindung ist der Kultus sür die herzogliche Mätresse, der der heranwachsenden
Jugend gewissermaßen aufgenötigt wurde. süßliche Franenzimmerromane und
leider auch Schillerbiographien, die sonst nicht verdicnstlos, aber deklamatorisch
phrasenhaft sind, wie die von Emil Palleske, schwelgen freilich in der Vorstel¬
lung, wie Karl Eugen am Arme der Fran von Leutrnm in der Akademie zu
Stuttgart erschien und mit ihr die Abendtafel hielt, wie die Jungen samt und
sonders sich in Franziska verliebten und ihr „funkelndes Auge, ihre milde
Stimme, der mystische Reiz ihrer Beziehungen zum Herzog" die Phantasie der
weltabgeschiedenen Jttuglinge entflammte. Mit Recht bemerkt dagegen Richard
Weltrich (Friedrich Schiller, I. 134), daß eher von der außerordentlichen Ruck-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203259"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Äarlsschnle und Schillers Zugenddrameii.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1514" prev="#ID_1513"> vollzogen wurden. Hatte sich ein Zögling irgendwie vergangen, so wurde ihm<lb/>
ein &#x201E;Strafbillet" ins Knopfloch geheftet, mit welchem der also dekorirte bei<lb/>
der Aufstellung zum Mittagsessen zu erscheinen hatte. Der Herzog, der sich zur<lb/>
Musterung einfand, mußte das Billet bemerken, untersuchte den Fall und be¬<lb/>
stimmte gewöhnlich selbst die Strafe. Diese bestand in Entziehung des Essens,<lb/>
des sonntäglichen Spazierganges, in Arrest, aber auch in Züchtigungen mit der<lb/>
Rute.  Schiller hat während seines ganzen Aufenthaltes in der Schule nur<lb/>
sechs Strafbillcts erhalten.  Sie beziehen sich zur Hälfte auf Verstöße gegen<lb/>
die Vorschriften über Frisur, Uniform, Bettmachen.  Derartige Rügen werden<lb/>
dem jungen Dichter nicht gar zu empfindlich gewesen sein.  Welchen Eindruck<lb/>
aber mag auf sein Gemüt die Bestrafung in zwei andern Fällen gemacht haben,<lb/>
die sich in den Akten verzeichnet finden. Die Kost war, so lange die Erziehungs¬<lb/>
anstalt sich auf der solitude befand, gering und spärlich.  Ohne Zweifel<lb/>
hungrig, verschaffte sich der &#x201E;Eleve" Schiller einmal &#x201E;vor 6 Kreuzer Wecken<lb/>
auf Borg"; er wird am 20. November 1773 &#x201E;mit 12 Weydenstockstreichen"<lb/>
dafür gezüchtigt, vermutlich vor deu Augen seiner sämtlichen Kameraden, bei<lb/>
Tisch.  Das war gemeiner Brauch der Anstalt.  Ein zweites Strafbillet, ans<lb/>
ähnlicher Ursache, erhielt er am 24. Dezember 1773.  Der Eintrag, der die<lb/>
Strafe namhaft macht, lautet: &#x201E;Eleve Großen., weil er sich durch die Reini¬<lb/>
gungsmagd Coffe machen lassen, und der ein Hemd davor gegeben; Eleve Schiller<lb/>
und Baz, weil sie in Gesellschaft des Eleven Groß Mi, Coffe bei besagter<lb/>
Cammermagd getrunken." Der 24. Dezember 1773 war der erste heilige Abend,<lb/>
den Schiller fern vom elterlichen Hause verlebte! Besuche der Eltern »ut Ver¬<lb/>
wandten in der Akademie konnten nur mit besondrer Erlaubnis des Herzogs<lb/>
oder des Intendanten stattfinden, und die Unterredung durfte nur in Gegen¬<lb/>
wart eines Aufsehers vor sich gehen. Ferien gab es erst von der Zeit ab, wo<lb/>
die Anstalt zur Hochschule erhoben war; bis dahin hatte» Lehrer und Schüler<lb/>
außer den kirchlichen Festtagen, sowie den Geburtstagen des Herzogs und der<lb/>
Reichsgräfin Franziska von Hohenheim keinen Tag freier Erholung und Ab¬<lb/>
spannung des Geistes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1515" next="#ID_1516"> Charakteristisch für die Zeit und ganz besonders widerlich für unsre heutige<lb/>
Empfindung ist der Kultus sür die herzogliche Mätresse, der der heranwachsenden<lb/>
Jugend gewissermaßen aufgenötigt wurde. süßliche Franenzimmerromane und<lb/>
leider auch Schillerbiographien, die sonst nicht verdicnstlos, aber deklamatorisch<lb/>
phrasenhaft sind, wie die von Emil Palleske, schwelgen freilich in der Vorstel¬<lb/>
lung, wie Karl Eugen am Arme der Fran von Leutrnm in der Akademie zu<lb/>
Stuttgart erschien und mit ihr die Abendtafel hielt, wie die Jungen samt und<lb/>
sonders sich in Franziska verliebten und ihr &#x201E;funkelndes Auge, ihre milde<lb/>
Stimme, der mystische Reiz ihrer Beziehungen zum Herzog" die Phantasie der<lb/>
weltabgeschiedenen Jttuglinge entflammte. Mit Recht bemerkt dagegen Richard<lb/>
Weltrich (Friedrich Schiller, I. 134), daß eher von der außerordentlichen Ruck-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0482] Die Äarlsschnle und Schillers Zugenddrameii. vollzogen wurden. Hatte sich ein Zögling irgendwie vergangen, so wurde ihm ein „Strafbillet" ins Knopfloch geheftet, mit welchem der also dekorirte bei der Aufstellung zum Mittagsessen zu erscheinen hatte. Der Herzog, der sich zur Musterung einfand, mußte das Billet bemerken, untersuchte den Fall und be¬ stimmte gewöhnlich selbst die Strafe. Diese bestand in Entziehung des Essens, des sonntäglichen Spazierganges, in Arrest, aber auch in Züchtigungen mit der Rute. Schiller hat während seines ganzen Aufenthaltes in der Schule nur sechs Strafbillcts erhalten. Sie beziehen sich zur Hälfte auf Verstöße gegen die Vorschriften über Frisur, Uniform, Bettmachen. Derartige Rügen werden dem jungen Dichter nicht gar zu empfindlich gewesen sein. Welchen Eindruck aber mag auf sein Gemüt die Bestrafung in zwei andern Fällen gemacht haben, die sich in den Akten verzeichnet finden. Die Kost war, so lange die Erziehungs¬ anstalt sich auf der solitude befand, gering und spärlich. Ohne Zweifel hungrig, verschaffte sich der „Eleve" Schiller einmal „vor 6 Kreuzer Wecken auf Borg"; er wird am 20. November 1773 „mit 12 Weydenstockstreichen" dafür gezüchtigt, vermutlich vor deu Augen seiner sämtlichen Kameraden, bei Tisch. Das war gemeiner Brauch der Anstalt. Ein zweites Strafbillet, ans ähnlicher Ursache, erhielt er am 24. Dezember 1773. Der Eintrag, der die Strafe namhaft macht, lautet: „Eleve Großen., weil er sich durch die Reini¬ gungsmagd Coffe machen lassen, und der ein Hemd davor gegeben; Eleve Schiller und Baz, weil sie in Gesellschaft des Eleven Groß Mi, Coffe bei besagter Cammermagd getrunken." Der 24. Dezember 1773 war der erste heilige Abend, den Schiller fern vom elterlichen Hause verlebte! Besuche der Eltern »ut Ver¬ wandten in der Akademie konnten nur mit besondrer Erlaubnis des Herzogs oder des Intendanten stattfinden, und die Unterredung durfte nur in Gegen¬ wart eines Aufsehers vor sich gehen. Ferien gab es erst von der Zeit ab, wo die Anstalt zur Hochschule erhoben war; bis dahin hatte» Lehrer und Schüler außer den kirchlichen Festtagen, sowie den Geburtstagen des Herzogs und der Reichsgräfin Franziska von Hohenheim keinen Tag freier Erholung und Ab¬ spannung des Geistes. Charakteristisch für die Zeit und ganz besonders widerlich für unsre heutige Empfindung ist der Kultus sür die herzogliche Mätresse, der der heranwachsenden Jugend gewissermaßen aufgenötigt wurde. süßliche Franenzimmerromane und leider auch Schillerbiographien, die sonst nicht verdicnstlos, aber deklamatorisch phrasenhaft sind, wie die von Emil Palleske, schwelgen freilich in der Vorstel¬ lung, wie Karl Eugen am Arme der Fran von Leutrnm in der Akademie zu Stuttgart erschien und mit ihr die Abendtafel hielt, wie die Jungen samt und sonders sich in Franziska verliebten und ihr „funkelndes Auge, ihre milde Stimme, der mystische Reiz ihrer Beziehungen zum Herzog" die Phantasie der weltabgeschiedenen Jttuglinge entflammte. Mit Recht bemerkt dagegen Richard Weltrich (Friedrich Schiller, I. 134), daß eher von der außerordentlichen Ruck-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/482
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/482>, abgerufen am 01.09.2024.