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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Karlsschule und Schillers Zugenddramen.

Anstalt des Herzogs schon seit längerer Zeit für Württemberg zustanden, nun¬
mehr auf das ganze Reich ausgedehnt waren, war nicht zu vermeiden, daß sie
wenigstens äußerlich sich dem Charakter einer Hochschule im herkömmlichen Sinne
mehr annähern mußte. Die bisherige Einheit der Akademie wurde insoweit
aufgegeben, als sechs besondre Fakultäten errichtet wurden: eine juristische, eine
medizinische, eine philosophische, eine militärische, eine ökonomische und die der
freien Künste. Gleichzeitig erfolgte die bis dahin nur in ganz seltenen Fällen
gestattete Zulassung von "Stadtstudirenden" und zwar für alle Altersklassen.
Unter 715 von 1783 bis 1793 eingetretenen finden sich über 200 Stuttgarter,
von Ausländern ein reichliches Drittel der Gesamtzahl. Der Charakter der
Anstalt, welcher eine nach außen streng abgeschlossene, für alle Schüler gleich¬
mäßig giltige Hausordnung und eine jeden einzelnen stets in der Hand be¬
haltende Leitung der Studien zur Voraussetzung hatte, erlitt dadurch eine
wesentliche Veränderung.

In welcher Weise aber auch die mehrfachen im Laufe der Zeit eingetretenen
Umgestaltungen auf die unmittelbaren Erziehungs- und Unterrichtszwecke ihren
Einfluß äußern mochten, ganz allgemein betrachtet bot die Karlsschule in der
vielseitigen Berührung der verschiedenartigsten Geistes- und Lebensgebiete unter
einunddemselben Dache, in dem dadurch ermöglichten Gedankenaustausch junger
Leute, die nach Herkunft, Vorbildung und gesellschaftlicher Stellung die bunteste
Mannichfaltigkeit darstellten, kurz, in der Universalität der geistigen Anregung
Vorteile dar, wie sie in so hohem Maße anderswo nicht leicht wieder ge¬
funden wurden. Hier dürfte auch der wertvollste Gewinn zu suchen sein, den
Schiller von seinem Aufenthalt in der Karlsschnle davontrug. Zu der Viel¬
seitigkeit, die Goethe durch seine Hauserziehung sich erwarb, legte Schiller den
Grund in der Erziehungsanstalt des Herzogs von Württemberg, und in den
Verhältnissen, in die seine Geburt ihn gestellt hatte, konnte nur diese ihm bieten,
was erforderlich war, damit der große schwäbische Dichter dereinst neben Goethe
die geistigen Interessen des gesamten deutschen Volkes in sich zusammenfassen
konnte.

Fleiß und Wohlverhalten wurden dem vierzehnjährigen Schiller bezeugt,
als er in die damals noch auf der solitude befindliche Anstalt des Herzogs
eintrat und deren damaliger Leiter, Professor Jahr, dem neuen Zögling die
Note erteilte: "übersetzt die in den Trivialschulen eingeführte voUeoticnöiQ
autorum Ig-tworuin, nicht weniger das griechische Neue Testament mit ziemlicher
Fertigkeit; hat einen guten Anfang in der lateinischen Poesie; die Handschrift
ist sehr mittelmäßig." Im nächsten Jahre lautet der Bericht des Rittmeisters
Faber: "Ist in dieser Zeit drei Zoll gewachsen, andächtig in gottesdienstlichen
Handlungen, ehrerbietig und respektvoll gegen seine Vorgesetzten, nicht weniger
verträglich und freundschaftlich gegen seine Kameraden, besitzt gute Gaben, ist
schon sieben mal und erst vom 2. September bis 7. Oktober krank gelegen,


Die Karlsschule und Schillers Zugenddramen.

Anstalt des Herzogs schon seit längerer Zeit für Württemberg zustanden, nun¬
mehr auf das ganze Reich ausgedehnt waren, war nicht zu vermeiden, daß sie
wenigstens äußerlich sich dem Charakter einer Hochschule im herkömmlichen Sinne
mehr annähern mußte. Die bisherige Einheit der Akademie wurde insoweit
aufgegeben, als sechs besondre Fakultäten errichtet wurden: eine juristische, eine
medizinische, eine philosophische, eine militärische, eine ökonomische und die der
freien Künste. Gleichzeitig erfolgte die bis dahin nur in ganz seltenen Fällen
gestattete Zulassung von „Stadtstudirenden" und zwar für alle Altersklassen.
Unter 715 von 1783 bis 1793 eingetretenen finden sich über 200 Stuttgarter,
von Ausländern ein reichliches Drittel der Gesamtzahl. Der Charakter der
Anstalt, welcher eine nach außen streng abgeschlossene, für alle Schüler gleich¬
mäßig giltige Hausordnung und eine jeden einzelnen stets in der Hand be¬
haltende Leitung der Studien zur Voraussetzung hatte, erlitt dadurch eine
wesentliche Veränderung.

In welcher Weise aber auch die mehrfachen im Laufe der Zeit eingetretenen
Umgestaltungen auf die unmittelbaren Erziehungs- und Unterrichtszwecke ihren
Einfluß äußern mochten, ganz allgemein betrachtet bot die Karlsschule in der
vielseitigen Berührung der verschiedenartigsten Geistes- und Lebensgebiete unter
einunddemselben Dache, in dem dadurch ermöglichten Gedankenaustausch junger
Leute, die nach Herkunft, Vorbildung und gesellschaftlicher Stellung die bunteste
Mannichfaltigkeit darstellten, kurz, in der Universalität der geistigen Anregung
Vorteile dar, wie sie in so hohem Maße anderswo nicht leicht wieder ge¬
funden wurden. Hier dürfte auch der wertvollste Gewinn zu suchen sein, den
Schiller von seinem Aufenthalt in der Karlsschnle davontrug. Zu der Viel¬
seitigkeit, die Goethe durch seine Hauserziehung sich erwarb, legte Schiller den
Grund in der Erziehungsanstalt des Herzogs von Württemberg, und in den
Verhältnissen, in die seine Geburt ihn gestellt hatte, konnte nur diese ihm bieten,
was erforderlich war, damit der große schwäbische Dichter dereinst neben Goethe
die geistigen Interessen des gesamten deutschen Volkes in sich zusammenfassen
konnte.

Fleiß und Wohlverhalten wurden dem vierzehnjährigen Schiller bezeugt,
als er in die damals noch auf der solitude befindliche Anstalt des Herzogs
eintrat und deren damaliger Leiter, Professor Jahr, dem neuen Zögling die
Note erteilte: „übersetzt die in den Trivialschulen eingeführte voUeoticnöiQ
autorum Ig-tworuin, nicht weniger das griechische Neue Testament mit ziemlicher
Fertigkeit; hat einen guten Anfang in der lateinischen Poesie; die Handschrift
ist sehr mittelmäßig." Im nächsten Jahre lautet der Bericht des Rittmeisters
Faber: „Ist in dieser Zeit drei Zoll gewachsen, andächtig in gottesdienstlichen
Handlungen, ehrerbietig und respektvoll gegen seine Vorgesetzten, nicht weniger
verträglich und freundschaftlich gegen seine Kameraden, besitzt gute Gaben, ist
schon sieben mal und erst vom 2. September bis 7. Oktober krank gelegen,


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[0479] Die Karlsschule und Schillers Zugenddramen. Anstalt des Herzogs schon seit längerer Zeit für Württemberg zustanden, nun¬ mehr auf das ganze Reich ausgedehnt waren, war nicht zu vermeiden, daß sie wenigstens äußerlich sich dem Charakter einer Hochschule im herkömmlichen Sinne mehr annähern mußte. Die bisherige Einheit der Akademie wurde insoweit aufgegeben, als sechs besondre Fakultäten errichtet wurden: eine juristische, eine medizinische, eine philosophische, eine militärische, eine ökonomische und die der freien Künste. Gleichzeitig erfolgte die bis dahin nur in ganz seltenen Fällen gestattete Zulassung von „Stadtstudirenden" und zwar für alle Altersklassen. Unter 715 von 1783 bis 1793 eingetretenen finden sich über 200 Stuttgarter, von Ausländern ein reichliches Drittel der Gesamtzahl. Der Charakter der Anstalt, welcher eine nach außen streng abgeschlossene, für alle Schüler gleich¬ mäßig giltige Hausordnung und eine jeden einzelnen stets in der Hand be¬ haltende Leitung der Studien zur Voraussetzung hatte, erlitt dadurch eine wesentliche Veränderung. In welcher Weise aber auch die mehrfachen im Laufe der Zeit eingetretenen Umgestaltungen auf die unmittelbaren Erziehungs- und Unterrichtszwecke ihren Einfluß äußern mochten, ganz allgemein betrachtet bot die Karlsschule in der vielseitigen Berührung der verschiedenartigsten Geistes- und Lebensgebiete unter einunddemselben Dache, in dem dadurch ermöglichten Gedankenaustausch junger Leute, die nach Herkunft, Vorbildung und gesellschaftlicher Stellung die bunteste Mannichfaltigkeit darstellten, kurz, in der Universalität der geistigen Anregung Vorteile dar, wie sie in so hohem Maße anderswo nicht leicht wieder ge¬ funden wurden. Hier dürfte auch der wertvollste Gewinn zu suchen sein, den Schiller von seinem Aufenthalt in der Karlsschnle davontrug. Zu der Viel¬ seitigkeit, die Goethe durch seine Hauserziehung sich erwarb, legte Schiller den Grund in der Erziehungsanstalt des Herzogs von Württemberg, und in den Verhältnissen, in die seine Geburt ihn gestellt hatte, konnte nur diese ihm bieten, was erforderlich war, damit der große schwäbische Dichter dereinst neben Goethe die geistigen Interessen des gesamten deutschen Volkes in sich zusammenfassen konnte. Fleiß und Wohlverhalten wurden dem vierzehnjährigen Schiller bezeugt, als er in die damals noch auf der solitude befindliche Anstalt des Herzogs eintrat und deren damaliger Leiter, Professor Jahr, dem neuen Zögling die Note erteilte: „übersetzt die in den Trivialschulen eingeführte voUeoticnöiQ autorum Ig-tworuin, nicht weniger das griechische Neue Testament mit ziemlicher Fertigkeit; hat einen guten Anfang in der lateinischen Poesie; die Handschrift ist sehr mittelmäßig." Im nächsten Jahre lautet der Bericht des Rittmeisters Faber: „Ist in dieser Zeit drei Zoll gewachsen, andächtig in gottesdienstlichen Handlungen, ehrerbietig und respektvoll gegen seine Vorgesetzten, nicht weniger verträglich und freundschaftlich gegen seine Kameraden, besitzt gute Gaben, ist schon sieben mal und erst vom 2. September bis 7. Oktober krank gelegen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/479>, abgerufen am 01.09.2024.