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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Rarlsschule und Schillers Jugendtraum.

höherem Grade aber als der verwöhnte Sohn der Frau Rat, der vorzugs¬
weise des eignen Herzens Geheimnisse in süßesten Worten auszuplaudern ver¬
stand, hat der junge Schiller Anspruch auf ein besondres Interesse der Gegen¬
wart, der schwäbische Jüngling, aus dessen ersten größeren Dichtungen das
Sturmgeläute einer neuen Zeit widerhallt, dessen soziale Jugendtraum, die
"Räuber" und "Kabale und Liebe," einen Ausblick eröffnen auf Kulturkämpfe,
welche unter wechselnden Formen seitdem immer wieder mit erneuter Heftigkeit
entbrannt sind. Die populärste Gattung litterargeschichtlichcr Darstellung, das
Theater, pflegt uns Goethes Jugend vorzuführen in Verbindung mit dem
"Königsleutnant," den jugendlichen Schiller als "Karlsschüler." So ist auch
über die Grenzen Württembergs hinaus das Andenken an die Erziehungsanstalt
erhalten, die zunächst und unter allen Umständen das Verdienst beanspruchen
darf, daß sie den Sohn des Hauptmanns Schiller vor dem sonst unvermeid¬
lichen Schwabenschicksal bewahrt hat, Theologe zu werden. Die Anstalt trägt
den Namen des Herzogs Karl, desselben Fürsten, welcher in der deutschen
Litteraturgeschichte sich schon dadurch einen Platz gesichert hat, daß er den
unglücklichen Christian Schubart, den Dichter der "Fürstengruft," zehn Jahre
lang auf dem Hohenasperg in Kerkerhaft schmachten ließ. Der Zorn des Herzogs
gegen Schubart soll sogar vornehmlich durch ein Verschen gereizt worden sein,
welches die zu Anfang der siebziger Jahre plötzlich erwachte pädagogische Lieb¬
haberei des Fürsten verspottete, als dessen Verfasser der zu solchen Improvi¬
sationen stets aufgelegte Schubart galt. Es lautete:


Als Dionys von Syrakus
Aufhörte, ein Tyrann zu sein,
Da ward er ein Schulmeisterlein.

Schubart sollte bald zu seinem Leidwesen inne werden, daß Herzog Karl es
aus dem Grunde verstand, mit dem Schulmeister den Tyrannen zu verbinden.
Ohne jeglichen Rechtsspruch, ohne irgend eine formelle Anklage ins Gefängnis
geworfen, hat er nie erfahren, welchem bestimmten Grunde er seine zehnjährige
Mißhandlung beizumessen habe. Auf das Flehen der Angehörigen ließ sich
der Herzog nur zu der Erklärung herbei, es sei einzig und allein auf seine
Besserung abgesehen.

Die Anstalt, in der Schiller erzogen und unter des Herzogs persönlicher
Leitung "gebessert" wurde, ward zuerst begründet auf dem Lustschloß solitude,
das von Karl Engen in kleiner Entfernung vom Hohenasperg und etwa zwei
Stunden von Stuttgart erbaut worden war. Die Anfänge waren bescheiden
und ziemlich unscheinbar. Am 5. Februar 1770 wurden vierzehn Knaben, meist
im Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren und fast lauter Soldatenkinder,
berufen, um, militärisch organisirt, "durch fähige Unteroffiziere im Lesen,
Schreiben, Rechnen und Christentum," die älteren auch im Zeichnen und der


Die Rarlsschule und Schillers Jugendtraum.

höherem Grade aber als der verwöhnte Sohn der Frau Rat, der vorzugs¬
weise des eignen Herzens Geheimnisse in süßesten Worten auszuplaudern ver¬
stand, hat der junge Schiller Anspruch auf ein besondres Interesse der Gegen¬
wart, der schwäbische Jüngling, aus dessen ersten größeren Dichtungen das
Sturmgeläute einer neuen Zeit widerhallt, dessen soziale Jugendtraum, die
„Räuber" und „Kabale und Liebe," einen Ausblick eröffnen auf Kulturkämpfe,
welche unter wechselnden Formen seitdem immer wieder mit erneuter Heftigkeit
entbrannt sind. Die populärste Gattung litterargeschichtlichcr Darstellung, das
Theater, pflegt uns Goethes Jugend vorzuführen in Verbindung mit dem
„Königsleutnant," den jugendlichen Schiller als „Karlsschüler." So ist auch
über die Grenzen Württembergs hinaus das Andenken an die Erziehungsanstalt
erhalten, die zunächst und unter allen Umständen das Verdienst beanspruchen
darf, daß sie den Sohn des Hauptmanns Schiller vor dem sonst unvermeid¬
lichen Schwabenschicksal bewahrt hat, Theologe zu werden. Die Anstalt trägt
den Namen des Herzogs Karl, desselben Fürsten, welcher in der deutschen
Litteraturgeschichte sich schon dadurch einen Platz gesichert hat, daß er den
unglücklichen Christian Schubart, den Dichter der „Fürstengruft," zehn Jahre
lang auf dem Hohenasperg in Kerkerhaft schmachten ließ. Der Zorn des Herzogs
gegen Schubart soll sogar vornehmlich durch ein Verschen gereizt worden sein,
welches die zu Anfang der siebziger Jahre plötzlich erwachte pädagogische Lieb¬
haberei des Fürsten verspottete, als dessen Verfasser der zu solchen Improvi¬
sationen stets aufgelegte Schubart galt. Es lautete:


Als Dionys von Syrakus
Aufhörte, ein Tyrann zu sein,
Da ward er ein Schulmeisterlein.

Schubart sollte bald zu seinem Leidwesen inne werden, daß Herzog Karl es
aus dem Grunde verstand, mit dem Schulmeister den Tyrannen zu verbinden.
Ohne jeglichen Rechtsspruch, ohne irgend eine formelle Anklage ins Gefängnis
geworfen, hat er nie erfahren, welchem bestimmten Grunde er seine zehnjährige
Mißhandlung beizumessen habe. Auf das Flehen der Angehörigen ließ sich
der Herzog nur zu der Erklärung herbei, es sei einzig und allein auf seine
Besserung abgesehen.

Die Anstalt, in der Schiller erzogen und unter des Herzogs persönlicher
Leitung „gebessert" wurde, ward zuerst begründet auf dem Lustschloß solitude,
das von Karl Engen in kleiner Entfernung vom Hohenasperg und etwa zwei
Stunden von Stuttgart erbaut worden war. Die Anfänge waren bescheiden
und ziemlich unscheinbar. Am 5. Februar 1770 wurden vierzehn Knaben, meist
im Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren und fast lauter Soldatenkinder,
berufen, um, militärisch organisirt, „durch fähige Unteroffiziere im Lesen,
Schreiben, Rechnen und Christentum," die älteren auch im Zeichnen und der


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[0476] Die Rarlsschule und Schillers Jugendtraum. höherem Grade aber als der verwöhnte Sohn der Frau Rat, der vorzugs¬ weise des eignen Herzens Geheimnisse in süßesten Worten auszuplaudern ver¬ stand, hat der junge Schiller Anspruch auf ein besondres Interesse der Gegen¬ wart, der schwäbische Jüngling, aus dessen ersten größeren Dichtungen das Sturmgeläute einer neuen Zeit widerhallt, dessen soziale Jugendtraum, die „Räuber" und „Kabale und Liebe," einen Ausblick eröffnen auf Kulturkämpfe, welche unter wechselnden Formen seitdem immer wieder mit erneuter Heftigkeit entbrannt sind. Die populärste Gattung litterargeschichtlichcr Darstellung, das Theater, pflegt uns Goethes Jugend vorzuführen in Verbindung mit dem „Königsleutnant," den jugendlichen Schiller als „Karlsschüler." So ist auch über die Grenzen Württembergs hinaus das Andenken an die Erziehungsanstalt erhalten, die zunächst und unter allen Umständen das Verdienst beanspruchen darf, daß sie den Sohn des Hauptmanns Schiller vor dem sonst unvermeid¬ lichen Schwabenschicksal bewahrt hat, Theologe zu werden. Die Anstalt trägt den Namen des Herzogs Karl, desselben Fürsten, welcher in der deutschen Litteraturgeschichte sich schon dadurch einen Platz gesichert hat, daß er den unglücklichen Christian Schubart, den Dichter der „Fürstengruft," zehn Jahre lang auf dem Hohenasperg in Kerkerhaft schmachten ließ. Der Zorn des Herzogs gegen Schubart soll sogar vornehmlich durch ein Verschen gereizt worden sein, welches die zu Anfang der siebziger Jahre plötzlich erwachte pädagogische Lieb¬ haberei des Fürsten verspottete, als dessen Verfasser der zu solchen Improvi¬ sationen stets aufgelegte Schubart galt. Es lautete: Als Dionys von Syrakus Aufhörte, ein Tyrann zu sein, Da ward er ein Schulmeisterlein. Schubart sollte bald zu seinem Leidwesen inne werden, daß Herzog Karl es aus dem Grunde verstand, mit dem Schulmeister den Tyrannen zu verbinden. Ohne jeglichen Rechtsspruch, ohne irgend eine formelle Anklage ins Gefängnis geworfen, hat er nie erfahren, welchem bestimmten Grunde er seine zehnjährige Mißhandlung beizumessen habe. Auf das Flehen der Angehörigen ließ sich der Herzog nur zu der Erklärung herbei, es sei einzig und allein auf seine Besserung abgesehen. Die Anstalt, in der Schiller erzogen und unter des Herzogs persönlicher Leitung „gebessert" wurde, ward zuerst begründet auf dem Lustschloß solitude, das von Karl Engen in kleiner Entfernung vom Hohenasperg und etwa zwei Stunden von Stuttgart erbaut worden war. Die Anfänge waren bescheiden und ziemlich unscheinbar. Am 5. Februar 1770 wurden vierzehn Knaben, meist im Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren und fast lauter Soldatenkinder, berufen, um, militärisch organisirt, „durch fähige Unteroffiziere im Lesen, Schreiben, Rechnen und Christentum," die älteren auch im Zeichnen und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/476>, abgerufen am 01.09.2024.