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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanisches Eisenbahnwesen.

Tabakkauen und die noch widerlichere Folge davon, das fortwährende Ausspeien.
In den Salonwagen ist neben jedem Doppelsitz ein besondrer Napf dafür auf¬
gestellt, der selbst aus weiteren Entfernungen, mitunter über die Beine oder
auch die Köpfe der dazwischensitzcnden hinweg mit Sicherheit getroffen wird; in¬
dessen vermögen solche Kunstleistungen für den Fremden auf die Dauer doch
weniger Bewunderung als Abscheu zu erzengen, namentlich wenn der ekel¬
hafte Auswurf, wie in den übrigen Wagen, den ganzen Fußboden verun¬
reinigt. Unter solchen Betrachtungen setzte ich meine Nachtwandlung fort,
als ich an eine Thür gelangte, die nach .der Einrichtung der beiden Wartesäle
derjenigen zum Dameutoilettenraum im andern Saale entsprach, aber merk¬
würdiger Weise die Aufschrift M Mtrlmeo (Kein Zutritt) trug. Ich suchte
vergeblich nach einer andern Thür und erhielt auf meine Frage von dem
Cerberus des Bahnhofes die Auskunft: Für Herren giebts hier keinen Be¬
dürfnisraum. Man mußte sich also, bestaubt und berußt, wie man war, bis
zur Abfahrt des Morgenzuges gedulden, da die verschlossenen Thüren des
Bahnhofes zwar jeden hinaus, aber niemand wieder hinein ließen und draußen
eine barbarische Kälte herrschte. Ich wunderte mich auch über nichts mehr,
zumal da ich sogar auf dem kolossalen Bahnhofe zu Philadelphia dieselbe Er¬
fahrung gemacht hatte, wenigstens zeigte der betreffende Zugang die Aufschrift:
Ort/ lor otllosrs! (Nur für Bahnbedienstete).

Oft genug muß man auch die Erfahrung machen, daß die Bahnbeamten
über Verhältnisse, die ihnen nach unsern Begriffen ganz geläufig sein sollten,
insbesondre über die Fahrzeiten, Fahrpreise, Anschlusse u. s. w., nur höchst
mangelhaft unterrichtet sind. Zum Teil mag dies darin seinen Grund haben,
daß die einzelnen Linien verschiednen Gesellschaften gehören und die Kenntnis
der Beamten mit der Grenze ihrer Linie einfach abschneidet; mitunter reicht
aber auch dieser Erklärungsgrund nicht hin. So wollte ich auf meiner Tour
von Boston nach Saratogci den obenerwähnten Lake George mitnehmen und
wählte deshalb den Abendzug über Rutlcmd, wo sofortiger Anschluß stattfinden
sollte, sodaß ich in der Morgenfrühe mein Reiseziel hätte erreichen können.
Doch ich blieb in Rutland mitten in der Nacht einfach liegen, und der Schaltcr-
beamte erklärte mir, daß der nächste direkte Zug erst am folgenden Nachmittag
abginge. Während ich mich nun in unfreiwilliger Muße in die Ankündigungen
an den Wänden vertiefte, entdeckte ich dicht neben dem Billctschalter einen An¬
schlag, der die von mir gewählte Linie als eine ganz besonders bequeme Saison-
Verbindung empfahl. Als ich den Beamten darauf hinwies, meinte er gleich¬
mütig, er wüßte nichts davon, auch gingen ihn Ankündigungen andrer Gesell¬
schaften nichts an; man hatte nämlich auf der kaum zehnstündiger Tour nicht
weniger als fünf verschiedne Linien zu benutzen. Später wurde mir aber aus
ähnlichen Erfahrungen klar, daß solche zwischen den beteiligten Gesellschaften
vereinbarte Verbindungen ohne Rücksicht auf die veröffentlichten Fahrpläne


Amerikanisches Eisenbahnwesen.

Tabakkauen und die noch widerlichere Folge davon, das fortwährende Ausspeien.
In den Salonwagen ist neben jedem Doppelsitz ein besondrer Napf dafür auf¬
gestellt, der selbst aus weiteren Entfernungen, mitunter über die Beine oder
auch die Köpfe der dazwischensitzcnden hinweg mit Sicherheit getroffen wird; in¬
dessen vermögen solche Kunstleistungen für den Fremden auf die Dauer doch
weniger Bewunderung als Abscheu zu erzengen, namentlich wenn der ekel¬
hafte Auswurf, wie in den übrigen Wagen, den ganzen Fußboden verun¬
reinigt. Unter solchen Betrachtungen setzte ich meine Nachtwandlung fort,
als ich an eine Thür gelangte, die nach .der Einrichtung der beiden Wartesäle
derjenigen zum Dameutoilettenraum im andern Saale entsprach, aber merk¬
würdiger Weise die Aufschrift M Mtrlmeo (Kein Zutritt) trug. Ich suchte
vergeblich nach einer andern Thür und erhielt auf meine Frage von dem
Cerberus des Bahnhofes die Auskunft: Für Herren giebts hier keinen Be¬
dürfnisraum. Man mußte sich also, bestaubt und berußt, wie man war, bis
zur Abfahrt des Morgenzuges gedulden, da die verschlossenen Thüren des
Bahnhofes zwar jeden hinaus, aber niemand wieder hinein ließen und draußen
eine barbarische Kälte herrschte. Ich wunderte mich auch über nichts mehr,
zumal da ich sogar auf dem kolossalen Bahnhofe zu Philadelphia dieselbe Er¬
fahrung gemacht hatte, wenigstens zeigte der betreffende Zugang die Aufschrift:
Ort/ lor otllosrs! (Nur für Bahnbedienstete).

Oft genug muß man auch die Erfahrung machen, daß die Bahnbeamten
über Verhältnisse, die ihnen nach unsern Begriffen ganz geläufig sein sollten,
insbesondre über die Fahrzeiten, Fahrpreise, Anschlusse u. s. w., nur höchst
mangelhaft unterrichtet sind. Zum Teil mag dies darin seinen Grund haben,
daß die einzelnen Linien verschiednen Gesellschaften gehören und die Kenntnis
der Beamten mit der Grenze ihrer Linie einfach abschneidet; mitunter reicht
aber auch dieser Erklärungsgrund nicht hin. So wollte ich auf meiner Tour
von Boston nach Saratogci den obenerwähnten Lake George mitnehmen und
wählte deshalb den Abendzug über Rutlcmd, wo sofortiger Anschluß stattfinden
sollte, sodaß ich in der Morgenfrühe mein Reiseziel hätte erreichen können.
Doch ich blieb in Rutland mitten in der Nacht einfach liegen, und der Schaltcr-
beamte erklärte mir, daß der nächste direkte Zug erst am folgenden Nachmittag
abginge. Während ich mich nun in unfreiwilliger Muße in die Ankündigungen
an den Wänden vertiefte, entdeckte ich dicht neben dem Billctschalter einen An¬
schlag, der die von mir gewählte Linie als eine ganz besonders bequeme Saison-
Verbindung empfahl. Als ich den Beamten darauf hinwies, meinte er gleich¬
mütig, er wüßte nichts davon, auch gingen ihn Ankündigungen andrer Gesell¬
schaften nichts an; man hatte nämlich auf der kaum zehnstündiger Tour nicht
weniger als fünf verschiedne Linien zu benutzen. Später wurde mir aber aus
ähnlichen Erfahrungen klar, daß solche zwischen den beteiligten Gesellschaften
vereinbarte Verbindungen ohne Rücksicht auf die veröffentlichten Fahrpläne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/471>, abgerufen am 28.07.2024.