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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanisches Eisenbahnwesen.

vor, in denen dem ganzen Personenverkehr nur ein armseliger Raum mit einem
eisernen Ofen und ein paar hölzernen Bänken eingeräumt ist. Von Wirtschaft
keine Spur! Man kann froh sein, wenn man an einer den- etwas Thee oder
Kaffee erhält. Auch ist der Aufenthalt ganz ungeregelt; der Zug hält eben so
lange, als die Gepäck- oder Eilgutbesorgung es nötig macht, von wenigen
Minuten bis zur halben Stunde und länger. Eben so wenig ist von den
Schaffnern nähere Auskunft darüber zu erhalten, da sie es meistens selbst nicht
wissen und sich um die Reisenden überhaupt nicht kümmern. Hölx ^oursölk!
heißt es auch hier, d. h. sieh zu, wie du fortkommst! Mitunter sieht man bei
solchem unfreiwilligen Aufenthalt einige hundert Schritte weit ein freundliches
Gasthaus winken, aber man traut sich nicht recht fort, da kein Abfahrtssignal
rechtzeitig zurückruft. Wagt man doch den Abstecher, so muß man wenigstens
den Zug stets im Auge behalten und sich sprungfertig halten, um beim Ab¬
dampfen sich sofort in Trab zu setzen und wenigstens noch den letzten Wagen
zu erklettern. Denn was es heißen würde, in solcher Einöde, wo die ganze
"Eisenbahnstadt" aus einigen wenigen Bretterhäusern besteht, bis zum nächsten
Zuge, d. i. runde vierundzwanzig Stunden, liegen zu bleiben, wird sich der
Leser leicht selbst ausmalen können.

Die große Bequemlichkeit, die militärische Pünktlichkeit und die beruhigende
Sicherheit des Betriebes, die man auf unsern Bahnen als etwas Selbstver¬
ständliches hinnimmt, darf man drüben von vornherein nicht erwarten. Ist bei
uns die Verspätung der Züge die Ausnahme, so ist sie dort die Regel. Gleich
der erste Zug. der mich in zwei Stunden von Newyork nach Philadelphia zur
hundertjährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeitserklärung bringen sollte, sogar
ein Expreßzug, brauchte die doppelte Zeit dazu, und als ich ein paar Monate
später auf der Rückreise von Kalifornien den limitsä exxrsss als letzten Zug
von Philadelphia nach Newyork gewählt hatte, blieb selbst dieser Zug mit
solcher Verspätung aus, daß ich mit dem nächstfolgenden gewöhnlichen Schnell¬
zuge schließlich noch früher in Newyork eintraf. Im Westen sind sogar Ver¬
spätungen bis zu halben Tagen und mehr nichts seltenes. Ein kleines Vor¬
kommnis, dessen unfreiwilliger Teilnehmer ich war, wird dem Leser eine annähernde
Vorstellung davon geben, was sich ein amerikanisches Reisepublikum alles
bieten läßt.

Von der bekannten Mormonen- oder Salzseestadt kommend, hatte ich
mit dem San Francisco-Newyorler Schnellzuge meinen Weg durch das gro߬
artige Arkausasthal nach Colorado springs genommen, um diesem Saratoga
des Westens durch Überschlagung eines Zuges einen flüchtigen Besuch zu
widmen. Da der Zug abends sechs Uhr dort eintreffen und am folgenden
Abend um dieselbe Zeit nach der Knotenstation Denver weitergehen sollte, so
hatte ich meinen Reiseplan darauf eingerichtet, den Abend auf den Ort selbst
und den folgenden Tag auf die vielgerühmte Umgebung zu verwenden. Solche


Amerikanisches Eisenbahnwesen.

vor, in denen dem ganzen Personenverkehr nur ein armseliger Raum mit einem
eisernen Ofen und ein paar hölzernen Bänken eingeräumt ist. Von Wirtschaft
keine Spur! Man kann froh sein, wenn man an einer den- etwas Thee oder
Kaffee erhält. Auch ist der Aufenthalt ganz ungeregelt; der Zug hält eben so
lange, als die Gepäck- oder Eilgutbesorgung es nötig macht, von wenigen
Minuten bis zur halben Stunde und länger. Eben so wenig ist von den
Schaffnern nähere Auskunft darüber zu erhalten, da sie es meistens selbst nicht
wissen und sich um die Reisenden überhaupt nicht kümmern. Hölx ^oursölk!
heißt es auch hier, d. h. sieh zu, wie du fortkommst! Mitunter sieht man bei
solchem unfreiwilligen Aufenthalt einige hundert Schritte weit ein freundliches
Gasthaus winken, aber man traut sich nicht recht fort, da kein Abfahrtssignal
rechtzeitig zurückruft. Wagt man doch den Abstecher, so muß man wenigstens
den Zug stets im Auge behalten und sich sprungfertig halten, um beim Ab¬
dampfen sich sofort in Trab zu setzen und wenigstens noch den letzten Wagen
zu erklettern. Denn was es heißen würde, in solcher Einöde, wo die ganze
„Eisenbahnstadt" aus einigen wenigen Bretterhäusern besteht, bis zum nächsten
Zuge, d. i. runde vierundzwanzig Stunden, liegen zu bleiben, wird sich der
Leser leicht selbst ausmalen können.

Die große Bequemlichkeit, die militärische Pünktlichkeit und die beruhigende
Sicherheit des Betriebes, die man auf unsern Bahnen als etwas Selbstver¬
ständliches hinnimmt, darf man drüben von vornherein nicht erwarten. Ist bei
uns die Verspätung der Züge die Ausnahme, so ist sie dort die Regel. Gleich
der erste Zug. der mich in zwei Stunden von Newyork nach Philadelphia zur
hundertjährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeitserklärung bringen sollte, sogar
ein Expreßzug, brauchte die doppelte Zeit dazu, und als ich ein paar Monate
später auf der Rückreise von Kalifornien den limitsä exxrsss als letzten Zug
von Philadelphia nach Newyork gewählt hatte, blieb selbst dieser Zug mit
solcher Verspätung aus, daß ich mit dem nächstfolgenden gewöhnlichen Schnell¬
zuge schließlich noch früher in Newyork eintraf. Im Westen sind sogar Ver¬
spätungen bis zu halben Tagen und mehr nichts seltenes. Ein kleines Vor¬
kommnis, dessen unfreiwilliger Teilnehmer ich war, wird dem Leser eine annähernde
Vorstellung davon geben, was sich ein amerikanisches Reisepublikum alles
bieten läßt.

Von der bekannten Mormonen- oder Salzseestadt kommend, hatte ich
mit dem San Francisco-Newyorler Schnellzuge meinen Weg durch das gro߬
artige Arkausasthal nach Colorado springs genommen, um diesem Saratoga
des Westens durch Überschlagung eines Zuges einen flüchtigen Besuch zu
widmen. Da der Zug abends sechs Uhr dort eintreffen und am folgenden
Abend um dieselbe Zeit nach der Knotenstation Denver weitergehen sollte, so
hatte ich meinen Reiseplan darauf eingerichtet, den Abend auf den Ort selbst
und den folgenden Tag auf die vielgerühmte Umgebung zu verwenden. Solche


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[0468] Amerikanisches Eisenbahnwesen. vor, in denen dem ganzen Personenverkehr nur ein armseliger Raum mit einem eisernen Ofen und ein paar hölzernen Bänken eingeräumt ist. Von Wirtschaft keine Spur! Man kann froh sein, wenn man an einer den- etwas Thee oder Kaffee erhält. Auch ist der Aufenthalt ganz ungeregelt; der Zug hält eben so lange, als die Gepäck- oder Eilgutbesorgung es nötig macht, von wenigen Minuten bis zur halben Stunde und länger. Eben so wenig ist von den Schaffnern nähere Auskunft darüber zu erhalten, da sie es meistens selbst nicht wissen und sich um die Reisenden überhaupt nicht kümmern. Hölx ^oursölk! heißt es auch hier, d. h. sieh zu, wie du fortkommst! Mitunter sieht man bei solchem unfreiwilligen Aufenthalt einige hundert Schritte weit ein freundliches Gasthaus winken, aber man traut sich nicht recht fort, da kein Abfahrtssignal rechtzeitig zurückruft. Wagt man doch den Abstecher, so muß man wenigstens den Zug stets im Auge behalten und sich sprungfertig halten, um beim Ab¬ dampfen sich sofort in Trab zu setzen und wenigstens noch den letzten Wagen zu erklettern. Denn was es heißen würde, in solcher Einöde, wo die ganze „Eisenbahnstadt" aus einigen wenigen Bretterhäusern besteht, bis zum nächsten Zuge, d. i. runde vierundzwanzig Stunden, liegen zu bleiben, wird sich der Leser leicht selbst ausmalen können. Die große Bequemlichkeit, die militärische Pünktlichkeit und die beruhigende Sicherheit des Betriebes, die man auf unsern Bahnen als etwas Selbstver¬ ständliches hinnimmt, darf man drüben von vornherein nicht erwarten. Ist bei uns die Verspätung der Züge die Ausnahme, so ist sie dort die Regel. Gleich der erste Zug. der mich in zwei Stunden von Newyork nach Philadelphia zur hundertjährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeitserklärung bringen sollte, sogar ein Expreßzug, brauchte die doppelte Zeit dazu, und als ich ein paar Monate später auf der Rückreise von Kalifornien den limitsä exxrsss als letzten Zug von Philadelphia nach Newyork gewählt hatte, blieb selbst dieser Zug mit solcher Verspätung aus, daß ich mit dem nächstfolgenden gewöhnlichen Schnell¬ zuge schließlich noch früher in Newyork eintraf. Im Westen sind sogar Ver¬ spätungen bis zu halben Tagen und mehr nichts seltenes. Ein kleines Vor¬ kommnis, dessen unfreiwilliger Teilnehmer ich war, wird dem Leser eine annähernde Vorstellung davon geben, was sich ein amerikanisches Reisepublikum alles bieten läßt. Von der bekannten Mormonen- oder Salzseestadt kommend, hatte ich mit dem San Francisco-Newyorler Schnellzuge meinen Weg durch das gro߬ artige Arkausasthal nach Colorado springs genommen, um diesem Saratoga des Westens durch Überschlagung eines Zuges einen flüchtigen Besuch zu widmen. Da der Zug abends sechs Uhr dort eintreffen und am folgenden Abend um dieselbe Zeit nach der Knotenstation Denver weitergehen sollte, so hatte ich meinen Reiseplan darauf eingerichtet, den Abend auf den Ort selbst und den folgenden Tag auf die vielgerühmte Umgebung zu verwenden. Solche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/468>, abgerufen am 28.07.2024.