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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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England in Angst.

überlegene französische Flotte zwischen das schwächere britische Geschwader im
Mittelmeere und die von England abgesendeten Verstärkungen desselben stellen
und sie einzeln schlagen und vernichten. Überdies würde nach einer Niederlage
der Mittelmeerflotte die englische Volksstimme in Parlament und Presse der
Regierung niemals gestatten, das Kanalgeschwader nach dem Mittelmeere zu
senden, weil dies die heimischen Gewässer ihres Schutzes berauben würde. Alle
Fachleute verlangen infolge dessen Verstärkung der Kriegsflotte, aber wir
müssen darauf zurückkommen, daß diese nur die erste Verteidigungslinie Englands
bildet. Wenn neuerfundene Explosivstoffe, wie Proben in Frankreich gezeigt haben,
Eisen- und Stahltürme zertrümmern können, so zertrümmern sie auch Panzer¬
schiffe, und ist das geschehen, so werden die Streitkräfte, über die man zu
Lande verfügt, dem Angriffe auch nicht lange Widerstand leisten. Der Chef des
Jntelligenzdevartements hat sich öffentlich, vor dem Churchillschen Komitee, dahin
ausgesprochen, daß, wenn die englische Flotte in einem Kriege mit Frankreich
besiegt werden sollte, sofort 150 000 Franzosen landen könnten und wahrscheinlich
zu landen versuchen würden. England muß sich daher beizeiten vorbereiten,
ein feindliches Heer von dieser Stärke oder, was sicherer, von 200 000 Mann,
das mit seiner Hauptmasse in möglichster Nähe Londons landen würde, zurück¬
zuwerfen. Jetzt ist dies die bare Unmöglichkeit. Mannschaft dazu ist zur
Genüge vorhanden, aber die Mittel, die sie zum Kampfe mit Aussicht auf Er¬
folg bedürfen, sind größtenteils noch fromme Wünsche. Wo wollte z. B. die
Regierung die Pferde für eine Armee von 100 000 Mann hernehmen? Für
die beiden Armeekorps, die man organisirt hat, sind 20 000 erforderlich, und
es ist keineswegs sicher, daß freiwillige Stellung so viel ergeben wird; wie
wird man aber die für das dritte beschaffen. Man will Freiwilligenbatterien
einrichten, und wie es heißt, ist man schon am Werke damit, nur merkt man
nichts von solchen Batterien, von deren Bespannung und von Anstalten zur
Anschaffung von Munition für sie.

Diese ganze Betrachtung ist vielleicht etwas übertrieben, im wesentlichen
aber trifft sie zu. Ja sie erschöpft die Sache nicht einmal. Es ist richtig:
England ist schlecht vorbereitet auf einen Krieg, weil sein Heer nicht genügend
gerüstet ist. Es würde, wenn die Flotte geschlagen wäre, seine Hauptstadt nicht
erfolgreich verteidigen können und -- ebensowenig Indien, auch eine Lebensfrage
für England. Es muß sich besser rüsten, bessere Kanonen für die Feldartillerie
und die Festungen anschaffen und hundert andre Mängel und Lücken ausfüllen.
Das Parlament wird das dazu nötige Geld bewilligen, zwar nur der Not ge¬
horchend, nicht dem eignen Triebe, aber doch bewilligen. Man wird in einiger
Zeit ein besseres Heer besitzen, vielleicht auch ein zahlreicheres durch Einfügung
der Freiwilligen und Milizen in die stehende Armee. Vollständig aber wird
mit allen diesen Maßregeln der Not nicht abgeholfen werden. Dies könnte nur
die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bewirken, und für diese fehlt es in


England in Angst.

überlegene französische Flotte zwischen das schwächere britische Geschwader im
Mittelmeere und die von England abgesendeten Verstärkungen desselben stellen
und sie einzeln schlagen und vernichten. Überdies würde nach einer Niederlage
der Mittelmeerflotte die englische Volksstimme in Parlament und Presse der
Regierung niemals gestatten, das Kanalgeschwader nach dem Mittelmeere zu
senden, weil dies die heimischen Gewässer ihres Schutzes berauben würde. Alle
Fachleute verlangen infolge dessen Verstärkung der Kriegsflotte, aber wir
müssen darauf zurückkommen, daß diese nur die erste Verteidigungslinie Englands
bildet. Wenn neuerfundene Explosivstoffe, wie Proben in Frankreich gezeigt haben,
Eisen- und Stahltürme zertrümmern können, so zertrümmern sie auch Panzer¬
schiffe, und ist das geschehen, so werden die Streitkräfte, über die man zu
Lande verfügt, dem Angriffe auch nicht lange Widerstand leisten. Der Chef des
Jntelligenzdevartements hat sich öffentlich, vor dem Churchillschen Komitee, dahin
ausgesprochen, daß, wenn die englische Flotte in einem Kriege mit Frankreich
besiegt werden sollte, sofort 150 000 Franzosen landen könnten und wahrscheinlich
zu landen versuchen würden. England muß sich daher beizeiten vorbereiten,
ein feindliches Heer von dieser Stärke oder, was sicherer, von 200 000 Mann,
das mit seiner Hauptmasse in möglichster Nähe Londons landen würde, zurück¬
zuwerfen. Jetzt ist dies die bare Unmöglichkeit. Mannschaft dazu ist zur
Genüge vorhanden, aber die Mittel, die sie zum Kampfe mit Aussicht auf Er¬
folg bedürfen, sind größtenteils noch fromme Wünsche. Wo wollte z. B. die
Regierung die Pferde für eine Armee von 100 000 Mann hernehmen? Für
die beiden Armeekorps, die man organisirt hat, sind 20 000 erforderlich, und
es ist keineswegs sicher, daß freiwillige Stellung so viel ergeben wird; wie
wird man aber die für das dritte beschaffen. Man will Freiwilligenbatterien
einrichten, und wie es heißt, ist man schon am Werke damit, nur merkt man
nichts von solchen Batterien, von deren Bespannung und von Anstalten zur
Anschaffung von Munition für sie.

Diese ganze Betrachtung ist vielleicht etwas übertrieben, im wesentlichen
aber trifft sie zu. Ja sie erschöpft die Sache nicht einmal. Es ist richtig:
England ist schlecht vorbereitet auf einen Krieg, weil sein Heer nicht genügend
gerüstet ist. Es würde, wenn die Flotte geschlagen wäre, seine Hauptstadt nicht
erfolgreich verteidigen können und — ebensowenig Indien, auch eine Lebensfrage
für England. Es muß sich besser rüsten, bessere Kanonen für die Feldartillerie
und die Festungen anschaffen und hundert andre Mängel und Lücken ausfüllen.
Das Parlament wird das dazu nötige Geld bewilligen, zwar nur der Not ge¬
horchend, nicht dem eignen Triebe, aber doch bewilligen. Man wird in einiger
Zeit ein besseres Heer besitzen, vielleicht auch ein zahlreicheres durch Einfügung
der Freiwilligen und Milizen in die stehende Armee. Vollständig aber wird
mit allen diesen Maßregeln der Not nicht abgeholfen werden. Dies könnte nur
die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bewirken, und für diese fehlt es in


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[0462] England in Angst. überlegene französische Flotte zwischen das schwächere britische Geschwader im Mittelmeere und die von England abgesendeten Verstärkungen desselben stellen und sie einzeln schlagen und vernichten. Überdies würde nach einer Niederlage der Mittelmeerflotte die englische Volksstimme in Parlament und Presse der Regierung niemals gestatten, das Kanalgeschwader nach dem Mittelmeere zu senden, weil dies die heimischen Gewässer ihres Schutzes berauben würde. Alle Fachleute verlangen infolge dessen Verstärkung der Kriegsflotte, aber wir müssen darauf zurückkommen, daß diese nur die erste Verteidigungslinie Englands bildet. Wenn neuerfundene Explosivstoffe, wie Proben in Frankreich gezeigt haben, Eisen- und Stahltürme zertrümmern können, so zertrümmern sie auch Panzer¬ schiffe, und ist das geschehen, so werden die Streitkräfte, über die man zu Lande verfügt, dem Angriffe auch nicht lange Widerstand leisten. Der Chef des Jntelligenzdevartements hat sich öffentlich, vor dem Churchillschen Komitee, dahin ausgesprochen, daß, wenn die englische Flotte in einem Kriege mit Frankreich besiegt werden sollte, sofort 150 000 Franzosen landen könnten und wahrscheinlich zu landen versuchen würden. England muß sich daher beizeiten vorbereiten, ein feindliches Heer von dieser Stärke oder, was sicherer, von 200 000 Mann, das mit seiner Hauptmasse in möglichster Nähe Londons landen würde, zurück¬ zuwerfen. Jetzt ist dies die bare Unmöglichkeit. Mannschaft dazu ist zur Genüge vorhanden, aber die Mittel, die sie zum Kampfe mit Aussicht auf Er¬ folg bedürfen, sind größtenteils noch fromme Wünsche. Wo wollte z. B. die Regierung die Pferde für eine Armee von 100 000 Mann hernehmen? Für die beiden Armeekorps, die man organisirt hat, sind 20 000 erforderlich, und es ist keineswegs sicher, daß freiwillige Stellung so viel ergeben wird; wie wird man aber die für das dritte beschaffen. Man will Freiwilligenbatterien einrichten, und wie es heißt, ist man schon am Werke damit, nur merkt man nichts von solchen Batterien, von deren Bespannung und von Anstalten zur Anschaffung von Munition für sie. Diese ganze Betrachtung ist vielleicht etwas übertrieben, im wesentlichen aber trifft sie zu. Ja sie erschöpft die Sache nicht einmal. Es ist richtig: England ist schlecht vorbereitet auf einen Krieg, weil sein Heer nicht genügend gerüstet ist. Es würde, wenn die Flotte geschlagen wäre, seine Hauptstadt nicht erfolgreich verteidigen können und — ebensowenig Indien, auch eine Lebensfrage für England. Es muß sich besser rüsten, bessere Kanonen für die Feldartillerie und die Festungen anschaffen und hundert andre Mängel und Lücken ausfüllen. Das Parlament wird das dazu nötige Geld bewilligen, zwar nur der Not ge¬ horchend, nicht dem eignen Triebe, aber doch bewilligen. Man wird in einiger Zeit ein besseres Heer besitzen, vielleicht auch ein zahlreicheres durch Einfügung der Freiwilligen und Milizen in die stehende Armee. Vollständig aber wird mit allen diesen Maßregeln der Not nicht abgeholfen werden. Dies könnte nur die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bewirken, und für diese fehlt es in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/462>, abgerufen am 01.09.2024.