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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Heere mit Truppen von gleichem Werte und gleicher Ausrüstung begegnen
können, und das ist, wie die Dinge jetzt liegen, schlechterdings unmöglich. Und
wo sind die Verteidigungspläne, wenn ein Feind bei Brighton, Eastbourne,
den Downs, Sheerneß, Harwich oder Clacton das Land betritt? Wenn sie,
wie wir hoffen, auf demi Papiere vorhanden sind, wo sind die orgcinisirten Ko¬
lonnen, mit denen sie ausgeführt werden müßten? Der Kriegsminister ruft
nach Organisation und hat Grund dazu. Aber das erste und wichtigste ist Geld.
Mit Geld, viel Geld muß man die Wagen, Pferde, Waffen, Vorräte und die
andern jetzt fehlenden Dinge schaffen, die zur Organisation für tüchtige Lei¬
stungen gehören. Mit Geld muß man den Stab für die Freiwilligen schaffen
und unterhalten, die heute noch eine ungegliederte, durch nichts zur wirk¬
samen Einheit mit einem Mittelpunkte zusammengefaßte Masse sind." Man
wirft ein, die englische Flotte sei jeder andern dermaßen überlegen, daß
man sich vor einer Landung feindlicher Armeen nicht zu fürchten brauche.
Darauf antworten aber Leute, welche die Zustände und Thatsachen genau
kennen, daß von einer solchen Überlegenheit jetzt nicht mehr die Rede sein kann.
Überhaupt muß man weiter blicken als auf den Kanal zwischen Calais und
Dover und die andern Gewässer, welche England, Schottland und Irland um¬
spülen. Im Falle eines Krieges mit einer großen Seemacht wie Frankreich
würde es eine Sache von höchster Wichtigkeit sein, wenn England die Kriegs¬
schiffe und Kreuzer des Feindes so gründlich von der Oberfläche der Meere
wegfegen könnte, daß sein Handel mit Sicherheit weiter zu betreiben und die
Zufuhr von Lebensmitteln, die es unbedingt bedarf, sowie von Rohstoffen für
seine Fabriken, namentlich von Baumwolle, ohne Störung fortzusetzen wäre.
Es genügt zu diesem Zwecke nicht, daß England stark genug ist, der Seestreit¬
kraft einer einzigen fremden Macht unter gleichen oder auch etwas günstigem
Bedingungen entgegenzutreten. Es muß vielmehr imstande sein, sich noch dann
überall zur See unbedingt überlegen und sicher zu fühlen, wenn zwei Mächte
verbündet ihm den Krieg erklären. Großbritannien, dessen ganzes Leben auf
seiner Überlegenheit zur See beruht, darf nicht auf ein Bündnis rechnen, es muß
stark genug gemacht werden, um auch in jenem Falle den Kampf allein siegreich
bestehen zu können. Es darf nicht von der angeblich gesicherten Unterstützung
Italiens abhängen. Es scheint Thatsache zu sein, daß die englische Flotte im
Mittelmeere erheblich schwächer als die dortige französische ist. Es scheint ferner
keinem Zweifel zu unterliegen, daß Frankreich jederzeit in Toulon binnen acht¬
undvierzig Stunden ein Korps von 10 000 Mann einzuschiffen vermag, und
daß, wenn die jetzt schwächere englische Flotte in jenen Gewässern geschlagen
wäre, Malta sich gegen eine Expedition wie die erwähnte auf der Landseite
nicht halten könnte. Dann ist gewiß, daß auch Gibraltar bei seiner jetzigen
Ausrüstung sich nicht lange gegen einen Belagerer mit den gewaltigen Geschützen
zu verteidigen imstande wäre, welche Frankreich besitzt. Ferner konnte sich eine


Heere mit Truppen von gleichem Werte und gleicher Ausrüstung begegnen
können, und das ist, wie die Dinge jetzt liegen, schlechterdings unmöglich. Und
wo sind die Verteidigungspläne, wenn ein Feind bei Brighton, Eastbourne,
den Downs, Sheerneß, Harwich oder Clacton das Land betritt? Wenn sie,
wie wir hoffen, auf demi Papiere vorhanden sind, wo sind die orgcinisirten Ko¬
lonnen, mit denen sie ausgeführt werden müßten? Der Kriegsminister ruft
nach Organisation und hat Grund dazu. Aber das erste und wichtigste ist Geld.
Mit Geld, viel Geld muß man die Wagen, Pferde, Waffen, Vorräte und die
andern jetzt fehlenden Dinge schaffen, die zur Organisation für tüchtige Lei¬
stungen gehören. Mit Geld muß man den Stab für die Freiwilligen schaffen
und unterhalten, die heute noch eine ungegliederte, durch nichts zur wirk¬
samen Einheit mit einem Mittelpunkte zusammengefaßte Masse sind." Man
wirft ein, die englische Flotte sei jeder andern dermaßen überlegen, daß
man sich vor einer Landung feindlicher Armeen nicht zu fürchten brauche.
Darauf antworten aber Leute, welche die Zustände und Thatsachen genau
kennen, daß von einer solchen Überlegenheit jetzt nicht mehr die Rede sein kann.
Überhaupt muß man weiter blicken als auf den Kanal zwischen Calais und
Dover und die andern Gewässer, welche England, Schottland und Irland um¬
spülen. Im Falle eines Krieges mit einer großen Seemacht wie Frankreich
würde es eine Sache von höchster Wichtigkeit sein, wenn England die Kriegs¬
schiffe und Kreuzer des Feindes so gründlich von der Oberfläche der Meere
wegfegen könnte, daß sein Handel mit Sicherheit weiter zu betreiben und die
Zufuhr von Lebensmitteln, die es unbedingt bedarf, sowie von Rohstoffen für
seine Fabriken, namentlich von Baumwolle, ohne Störung fortzusetzen wäre.
Es genügt zu diesem Zwecke nicht, daß England stark genug ist, der Seestreit¬
kraft einer einzigen fremden Macht unter gleichen oder auch etwas günstigem
Bedingungen entgegenzutreten. Es muß vielmehr imstande sein, sich noch dann
überall zur See unbedingt überlegen und sicher zu fühlen, wenn zwei Mächte
verbündet ihm den Krieg erklären. Großbritannien, dessen ganzes Leben auf
seiner Überlegenheit zur See beruht, darf nicht auf ein Bündnis rechnen, es muß
stark genug gemacht werden, um auch in jenem Falle den Kampf allein siegreich
bestehen zu können. Es darf nicht von der angeblich gesicherten Unterstützung
Italiens abhängen. Es scheint Thatsache zu sein, daß die englische Flotte im
Mittelmeere erheblich schwächer als die dortige französische ist. Es scheint ferner
keinem Zweifel zu unterliegen, daß Frankreich jederzeit in Toulon binnen acht¬
undvierzig Stunden ein Korps von 10 000 Mann einzuschiffen vermag, und
daß, wenn die jetzt schwächere englische Flotte in jenen Gewässern geschlagen
wäre, Malta sich gegen eine Expedition wie die erwähnte auf der Landseite
nicht halten könnte. Dann ist gewiß, daß auch Gibraltar bei seiner jetzigen
Ausrüstung sich nicht lange gegen einen Belagerer mit den gewaltigen Geschützen
zu verteidigen imstande wäre, welche Frankreich besitzt. Ferner konnte sich eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/461>, abgerufen am 01.09.2024.