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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Deo juvsnte.

folgten die Grimaldi einander bis an den Ausgang des vorigen Jahrhunderts.
Gelegentlich warf die Bevölkerung einen Fürsten ins Meer, verbesserte aber
ihr Schicksal nicht dadurch. Das Land, zu welchem damals auch Roccabruna
und Mentone gehörten, benutzte daher freudig die Gelegenheit, durch Anschluß
an die französische Republik seine Herrscherfamilie los -zu werden. Ebensowenig
kann es freilich auffallen, daß gerade diese nach dem Sturze Napoleons wieder
in ihre Rechte eingesetzt wurde, und auch dieses Verdienst soll sich der viel¬
verdiente Talleyrand erworben haben; daß dabei etwas verdient worden ist,
darf kaum bezweifelt werden.

Für den Raub zur See waren nun allerdings die Zeiten nicht mehr
günstig, auch hatten die Grimaldi-Matignon sich während ihres Exils zu sehr
an das Pariser Leben gewöhnt, um es mit dem Residiren auf dem damals
noch ziemlich wüsten Felsen zu vertauschen. Sie blieben also fast immer in
Paris und verschafften sich die Mittel für einen standesgemäßen Haushalt
durch ein sinnreiches Finanzsystem. Was irgend einen Ertrag verhieß, wurde
womöglich monopolistrt, oder wenn das nicht anging, wenigstens besteuert.
So mußte das Volk Regiebrot kaufen und für jedes Stück Vieh, für jeden
Ol-, Zitronen-, Mandelbaum u. s. w. eine eigne Abgabe entrichten. Als Fürst
Florestan 1840 zum ersten male seine Staaten besuchte, ließ er sich zur Ab¬
schaffung des Getreidemonopols bewegen, aber alles andre blieb beim Alten,
bis die politische Bewegung in Italien auch den Monegasken den Mut gab,
ihre Beschwerden entschiedner zur Sprache zu bringen. Dies Stückchen Revo¬
lution ist über andern, folgenreichern fast gänzlich übersehen worden, während
es seiner Originalität halber verdient, nicht in Vergessenheit zu geraten.
Florestan hatte sich bei Mentone eine hübsche Villa gebaut und gedachte dort
den Winter 1847 bis 1848 ungestört zu verleben; deshalb erklärte er, niemand
empfangen, am wenigsten Klagen anhören zu wollen. Nichtsdestoweniger rückte
am 14. Dezember ihm die gesamte Bevölkerung, einschließlich der Geistlichkeit
und der Beamten, als Sturmpetition vor das Haus. Der eingeschüchterte
Fürst sagte bie verlangten Reformen zu, schickte jedoch heinilich seinen Sohn
nach Turin um Hilfe, da Sardinien seit dem Wiener Kongresse das Protektorat
über Monaco ausübte. Zwei Bataillone rückten an, von der Bevölkerung er¬
wartet, nicht mit den Waffen in der Hand, sondern mit der Büste des Königs
Carlo Alberto, vor der, wie erzählt wird, die Soldaten ohne Kommando
präsentirten. Das war in den ersten Tagen des Jahres 1848, und nach zwei
Monaten, während deren ohne Erfolg Verhandlungen geführt worden waren,
erklärten Mentone und Roccabruna sich als freies Gebiet unter piemontesischen
Schutze. Florestan machte wohl im Jahre 1854 den Versuch einer Gegen¬
revolution, allein die Mentonesen setzten ihn in seiner Villa einfach gefangen,
bis er Urfehde geschworen hatte. Die abgefallenen Gebietsteile führten dann
in glücklicher Verborgenheit ein beneidenswertes Leben, zahlten keine Steuern


Deo juvsnte.

folgten die Grimaldi einander bis an den Ausgang des vorigen Jahrhunderts.
Gelegentlich warf die Bevölkerung einen Fürsten ins Meer, verbesserte aber
ihr Schicksal nicht dadurch. Das Land, zu welchem damals auch Roccabruna
und Mentone gehörten, benutzte daher freudig die Gelegenheit, durch Anschluß
an die französische Republik seine Herrscherfamilie los -zu werden. Ebensowenig
kann es freilich auffallen, daß gerade diese nach dem Sturze Napoleons wieder
in ihre Rechte eingesetzt wurde, und auch dieses Verdienst soll sich der viel¬
verdiente Talleyrand erworben haben; daß dabei etwas verdient worden ist,
darf kaum bezweifelt werden.

Für den Raub zur See waren nun allerdings die Zeiten nicht mehr
günstig, auch hatten die Grimaldi-Matignon sich während ihres Exils zu sehr
an das Pariser Leben gewöhnt, um es mit dem Residiren auf dem damals
noch ziemlich wüsten Felsen zu vertauschen. Sie blieben also fast immer in
Paris und verschafften sich die Mittel für einen standesgemäßen Haushalt
durch ein sinnreiches Finanzsystem. Was irgend einen Ertrag verhieß, wurde
womöglich monopolistrt, oder wenn das nicht anging, wenigstens besteuert.
So mußte das Volk Regiebrot kaufen und für jedes Stück Vieh, für jeden
Ol-, Zitronen-, Mandelbaum u. s. w. eine eigne Abgabe entrichten. Als Fürst
Florestan 1840 zum ersten male seine Staaten besuchte, ließ er sich zur Ab¬
schaffung des Getreidemonopols bewegen, aber alles andre blieb beim Alten,
bis die politische Bewegung in Italien auch den Monegasken den Mut gab,
ihre Beschwerden entschiedner zur Sprache zu bringen. Dies Stückchen Revo¬
lution ist über andern, folgenreichern fast gänzlich übersehen worden, während
es seiner Originalität halber verdient, nicht in Vergessenheit zu geraten.
Florestan hatte sich bei Mentone eine hübsche Villa gebaut und gedachte dort
den Winter 1847 bis 1848 ungestört zu verleben; deshalb erklärte er, niemand
empfangen, am wenigsten Klagen anhören zu wollen. Nichtsdestoweniger rückte
am 14. Dezember ihm die gesamte Bevölkerung, einschließlich der Geistlichkeit
und der Beamten, als Sturmpetition vor das Haus. Der eingeschüchterte
Fürst sagte bie verlangten Reformen zu, schickte jedoch heinilich seinen Sohn
nach Turin um Hilfe, da Sardinien seit dem Wiener Kongresse das Protektorat
über Monaco ausübte. Zwei Bataillone rückten an, von der Bevölkerung er¬
wartet, nicht mit den Waffen in der Hand, sondern mit der Büste des Königs
Carlo Alberto, vor der, wie erzählt wird, die Soldaten ohne Kommando
präsentirten. Das war in den ersten Tagen des Jahres 1848, und nach zwei
Monaten, während deren ohne Erfolg Verhandlungen geführt worden waren,
erklärten Mentone und Roccabruna sich als freies Gebiet unter piemontesischen
Schutze. Florestan machte wohl im Jahre 1854 den Versuch einer Gegen¬
revolution, allein die Mentonesen setzten ihn in seiner Villa einfach gefangen,
bis er Urfehde geschworen hatte. Die abgefallenen Gebietsteile führten dann
in glücklicher Verborgenheit ein beneidenswertes Leben, zahlten keine Steuern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/46>, abgerufen am 28.07.2024.