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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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England in Angst.

einen Zustand der Sicherheit zu versetzen." Dieser Angstruf wurde dann mit
folgenden Einzelheiten belegt: "Die Stärke unsers Heeres ist unzureichend, mehr
Mannschaften sind augenblicklich erforderlich. Wenn die Leute morgen schon
eingestellt würden, so fehlte es an Kasernen für deren Unterbringung. Das
Land befindet sich in der schmachvollen Lage, daß viele seiner Artilleriebatterien
das schlechteste Geschütz besitzen, das irgend einer Armee von heutzutage über¬
wiesen worden ist. . . . Man sagt, wir besäßen das beste Magazingewehr, das
bis jetzt erfunden worden sei, aber bis zu diesem Augenblicke ist noch kein ein¬
ziges Regiment der Armee mit dieser Waffe versehen. Die Armeevorräte sind
in beklagenswert ungenügendem Maße vorhanden. Bis jetzt rühmten sich die
Engländer, keines Landheeres zu bedürfen, weil ihre Flotte unbesiegbar sei.
Man versichert uns nunmehr von seiten derselben hohen Behörden, daß die Flotte
zur Verteidigung unsrer heimischen Küsten, der Kohlenstationen und der ent¬
legenen Häfen des Reiches nicht ausreiche, ja daß es schwerem Zweifel unter¬
liege, ob sie stark genug zur Beherrschung des Kanals sei. Wenn wir ein Ge¬
schwader von einiger Bedeutung zusammenzuziehen hätten, z. B. in der Meerenge
von Dover, so würden andre Stellungen praktisch ohne Schutz gelassen werden
müssen. In diesem Augenblicke giebt es, wie Sachkenner versichern, in keiner
einzigen von unsern Landfestungen von Portland Bill bis zum Tweed eine mo¬
derne Hinterladerkanone. Der neueste Typus, der wirklich in Gebrauch ist, ist
das siebenzöllige Armstrouggeschütz. Die Feldkanonen suur 48 Stücks, welche
den Freiwilligen übergeben worden sind, sind veraltet, die Armirung der Forts
ist veraltet, die Haufen von Voll- und Hohlgeschossen, die in Woolwich aufge¬
schichtet liegen, sind größtenteils ebenfalls veraltet. Vier von den schönsten
Panzerschiffen, die erbaut worden sind, um jedem möglichen Angriffe zu wider¬
stehen, befinden sich in der ungeheuerlichen Lage, keine passenden Geschütze zu
haben, und zwei von ihnen werden vor Ende März 1889 überhaupt keine haben
und vielleicht auch dann keine. Zwei gegürtete Kreuzer müssen noch Monate
warten, bis ihre Geschütze fertig sind." Der Verfasser fügte hinzu: "Über diese
Thatsachen kann kein Zweifel obwalten, und was die Nation unverzüglich for¬
dern sollte, ist, daß die Regierung ehrlich und entschlossen dieser Aufgabe
gegenübertrete und noch vor dem Auseinandergehen des Parlaments, ja noch
vor den Pfingstferien desselben, der Gesetzgebung und dem Lande ein Programm
vorlege, welches sofortige Beseitigung dieser Mängel verheißt. Der Einfluß
Britanniens im Auslande und seine Sicherheit daheim hängen davon ab, daß
man eine rasch handelnde Politik annimmt, und das Volk hat ein Recht, zu
erfahren, daß diesem ebenso gefährlichen als unrühmlichen Stande der Dinge
ein Ende gemacht werden wird. Es ist Sache des Parlaments, sich zu er¬
kundigen, wen die Verantwortung für die jetzigen und die frühern Unterlassungs¬
sünden trifft." Nun, die Spitzen der Verwaltung des Heeres und der Flotte
weisen diese Verantwortung von sich. Der Herzog von Cambridge benachrichtigte


England in Angst.

einen Zustand der Sicherheit zu versetzen." Dieser Angstruf wurde dann mit
folgenden Einzelheiten belegt: „Die Stärke unsers Heeres ist unzureichend, mehr
Mannschaften sind augenblicklich erforderlich. Wenn die Leute morgen schon
eingestellt würden, so fehlte es an Kasernen für deren Unterbringung. Das
Land befindet sich in der schmachvollen Lage, daß viele seiner Artilleriebatterien
das schlechteste Geschütz besitzen, das irgend einer Armee von heutzutage über¬
wiesen worden ist. . . . Man sagt, wir besäßen das beste Magazingewehr, das
bis jetzt erfunden worden sei, aber bis zu diesem Augenblicke ist noch kein ein¬
ziges Regiment der Armee mit dieser Waffe versehen. Die Armeevorräte sind
in beklagenswert ungenügendem Maße vorhanden. Bis jetzt rühmten sich die
Engländer, keines Landheeres zu bedürfen, weil ihre Flotte unbesiegbar sei.
Man versichert uns nunmehr von seiten derselben hohen Behörden, daß die Flotte
zur Verteidigung unsrer heimischen Küsten, der Kohlenstationen und der ent¬
legenen Häfen des Reiches nicht ausreiche, ja daß es schwerem Zweifel unter¬
liege, ob sie stark genug zur Beherrschung des Kanals sei. Wenn wir ein Ge¬
schwader von einiger Bedeutung zusammenzuziehen hätten, z. B. in der Meerenge
von Dover, so würden andre Stellungen praktisch ohne Schutz gelassen werden
müssen. In diesem Augenblicke giebt es, wie Sachkenner versichern, in keiner
einzigen von unsern Landfestungen von Portland Bill bis zum Tweed eine mo¬
derne Hinterladerkanone. Der neueste Typus, der wirklich in Gebrauch ist, ist
das siebenzöllige Armstrouggeschütz. Die Feldkanonen suur 48 Stücks, welche
den Freiwilligen übergeben worden sind, sind veraltet, die Armirung der Forts
ist veraltet, die Haufen von Voll- und Hohlgeschossen, die in Woolwich aufge¬
schichtet liegen, sind größtenteils ebenfalls veraltet. Vier von den schönsten
Panzerschiffen, die erbaut worden sind, um jedem möglichen Angriffe zu wider¬
stehen, befinden sich in der ungeheuerlichen Lage, keine passenden Geschütze zu
haben, und zwei von ihnen werden vor Ende März 1889 überhaupt keine haben
und vielleicht auch dann keine. Zwei gegürtete Kreuzer müssen noch Monate
warten, bis ihre Geschütze fertig sind." Der Verfasser fügte hinzu: „Über diese
Thatsachen kann kein Zweifel obwalten, und was die Nation unverzüglich for¬
dern sollte, ist, daß die Regierung ehrlich und entschlossen dieser Aufgabe
gegenübertrete und noch vor dem Auseinandergehen des Parlaments, ja noch
vor den Pfingstferien desselben, der Gesetzgebung und dem Lande ein Programm
vorlege, welches sofortige Beseitigung dieser Mängel verheißt. Der Einfluß
Britanniens im Auslande und seine Sicherheit daheim hängen davon ab, daß
man eine rasch handelnde Politik annimmt, und das Volk hat ein Recht, zu
erfahren, daß diesem ebenso gefährlichen als unrühmlichen Stande der Dinge
ein Ende gemacht werden wird. Es ist Sache des Parlaments, sich zu er¬
kundigen, wen die Verantwortung für die jetzigen und die frühern Unterlassungs¬
sünden trifft." Nun, die Spitzen der Verwaltung des Heeres und der Flotte
weisen diese Verantwortung von sich. Der Herzog von Cambridge benachrichtigte


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[0458] England in Angst. einen Zustand der Sicherheit zu versetzen." Dieser Angstruf wurde dann mit folgenden Einzelheiten belegt: „Die Stärke unsers Heeres ist unzureichend, mehr Mannschaften sind augenblicklich erforderlich. Wenn die Leute morgen schon eingestellt würden, so fehlte es an Kasernen für deren Unterbringung. Das Land befindet sich in der schmachvollen Lage, daß viele seiner Artilleriebatterien das schlechteste Geschütz besitzen, das irgend einer Armee von heutzutage über¬ wiesen worden ist. . . . Man sagt, wir besäßen das beste Magazingewehr, das bis jetzt erfunden worden sei, aber bis zu diesem Augenblicke ist noch kein ein¬ ziges Regiment der Armee mit dieser Waffe versehen. Die Armeevorräte sind in beklagenswert ungenügendem Maße vorhanden. Bis jetzt rühmten sich die Engländer, keines Landheeres zu bedürfen, weil ihre Flotte unbesiegbar sei. Man versichert uns nunmehr von seiten derselben hohen Behörden, daß die Flotte zur Verteidigung unsrer heimischen Küsten, der Kohlenstationen und der ent¬ legenen Häfen des Reiches nicht ausreiche, ja daß es schwerem Zweifel unter¬ liege, ob sie stark genug zur Beherrschung des Kanals sei. Wenn wir ein Ge¬ schwader von einiger Bedeutung zusammenzuziehen hätten, z. B. in der Meerenge von Dover, so würden andre Stellungen praktisch ohne Schutz gelassen werden müssen. In diesem Augenblicke giebt es, wie Sachkenner versichern, in keiner einzigen von unsern Landfestungen von Portland Bill bis zum Tweed eine mo¬ derne Hinterladerkanone. Der neueste Typus, der wirklich in Gebrauch ist, ist das siebenzöllige Armstrouggeschütz. Die Feldkanonen suur 48 Stücks, welche den Freiwilligen übergeben worden sind, sind veraltet, die Armirung der Forts ist veraltet, die Haufen von Voll- und Hohlgeschossen, die in Woolwich aufge¬ schichtet liegen, sind größtenteils ebenfalls veraltet. Vier von den schönsten Panzerschiffen, die erbaut worden sind, um jedem möglichen Angriffe zu wider¬ stehen, befinden sich in der ungeheuerlichen Lage, keine passenden Geschütze zu haben, und zwei von ihnen werden vor Ende März 1889 überhaupt keine haben und vielleicht auch dann keine. Zwei gegürtete Kreuzer müssen noch Monate warten, bis ihre Geschütze fertig sind." Der Verfasser fügte hinzu: „Über diese Thatsachen kann kein Zweifel obwalten, und was die Nation unverzüglich for¬ dern sollte, ist, daß die Regierung ehrlich und entschlossen dieser Aufgabe gegenübertrete und noch vor dem Auseinandergehen des Parlaments, ja noch vor den Pfingstferien desselben, der Gesetzgebung und dem Lande ein Programm vorlege, welches sofortige Beseitigung dieser Mängel verheißt. Der Einfluß Britanniens im Auslande und seine Sicherheit daheim hängen davon ab, daß man eine rasch handelnde Politik annimmt, und das Volk hat ein Recht, zu erfahren, daß diesem ebenso gefährlichen als unrühmlichen Stande der Dinge ein Ende gemacht werden wird. Es ist Sache des Parlaments, sich zu er¬ kundigen, wen die Verantwortung für die jetzigen und die frühern Unterlassungs¬ sünden trifft." Nun, die Spitzen der Verwaltung des Heeres und der Flotte weisen diese Verantwortung von sich. Der Herzog von Cambridge benachrichtigte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/458>, abgerufen am 01.09.2024.