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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

gar nicht darauf vorbereitet, daß sie ihn so ungeduldig fragend ansah, und
noch dazu gerade in dem Augenblicke, wo er in die Betrachtung ihrer Hand
vertieft war. Endlich bekam er dann die Antwort heraus, daß ja ein Mann
damit am besten seine große Liebe beweise, daß er, um es vor sich selber zu
verantworten, wie unsagbar er einen Menschen liebe, diesen Menschen mit einer
Glorie der Gottheit umgeben müsse.

Ja, darin liegt ja gerade das Beleidigende, versetzte Frau Boye, wir sind
eben göttlich genug, so wie wir sind!

Ricks lächelte verbindlich.

Nein, Sie müssen nicht lächeln, es soll durchaus kein Scherz sein. Im
Gegenteil, die Sache ist sehr ernsthaft, denn diese Anbetung ist von Grund aus
tyrannisch, wir sollen gezwungen werden, uns dem Ideale des Mannes anzu¬
passen. Schlag einen Hacken ab, schneide eine Zehe ab! Das in uns, was
nicht mit seiner idealen Vorstellung übereinstimmt, soll verschwinden, und gelingt
es nicht, es zu unterdrücken, so wird es übersehen, planmäßig vergessen, alle
Entfaltung wird ihm genommen, und das, was wir nicht besitzen oder was
doch nicht unser Eigentum ist, das soll zur üppigsten Blüte gebracht werden,
indem es bis zu den Wolken erhoben wird, indem von vornherein angenommen
wird, daß wir es im höchsten Maße besitzen, und indem es zum Eckstein ge¬
macht wird, auf den sich die Liebe des Mannes stützt. Ich nenne das Gewalt¬
thätigkeit gegen unsre Natur. Ich nenne das Dressur. Die Liebe des Mannes
will dressiren. Und wir fügen uns dem -- selbst die, welche nicht lieben, fügen
sich --, wir sind ja nun einmal verachtungswürdige Schwächlinge.

Sie erhob sich aus ihrer ruhenden Stellung und blickte Ricks drohend an.

Wenn ich schön wäre, o bezaubernd schön, herrlicher, als je ein Weib auf
Erden gewesen ist, sodaß alle, die mich anschauten, von unüberwindlicher, schmerz¬
licher Liebe ergriffen, davon erfaßt würden wie von einem Zauber, wie wollte
ich sie da durch die Macht meiner Schönheit zwingen, nicht ihr hergebrachtes
blutloses Ideal, sondern mich selbst anzubeten, so wie ich gehe und stehe, jede
Falte meines Wesens, jeden Schimmer meiner Natur!

Sie hatte sich jetzt ganz erhoben, und Ricks dachte auch daran, zu gehen,
stand aber da und überlegte eine kühne Äußerung nach der andern, ohne daß
er den Mut finden konnte, seinen Gedanken Worte zu verleihen. Endlich faßte
er Mut, ergriff ihre Hand und küßte sie. Da reichte sie ihm auch die andre
Hand zum Kusse, und so kam er nicht weiter als zu einem: Gute Nacht!

Ricks Lyhne war in Frau Boye verliebt. Als er heimging und durch die¬
selben Straßen kam, durch die er noch vor wenig Stunden so mißmutig ge¬
schlendert war, kam es ihm vor, als läge es lange, lange hinter ihm, seit er
hier gegangen war. Es war außerdem eine gewisse Sicherheit, ein ruhiger An¬
stand in seinen Gang und seine Haltung gekommen, und als er seine Handschuhe
sorgfältig zuknöpfte, that er das mit einer Empfindung, als sei eine große Ver-


Ricks Lyhne.

gar nicht darauf vorbereitet, daß sie ihn so ungeduldig fragend ansah, und
noch dazu gerade in dem Augenblicke, wo er in die Betrachtung ihrer Hand
vertieft war. Endlich bekam er dann die Antwort heraus, daß ja ein Mann
damit am besten seine große Liebe beweise, daß er, um es vor sich selber zu
verantworten, wie unsagbar er einen Menschen liebe, diesen Menschen mit einer
Glorie der Gottheit umgeben müsse.

Ja, darin liegt ja gerade das Beleidigende, versetzte Frau Boye, wir sind
eben göttlich genug, so wie wir sind!

Ricks lächelte verbindlich.

Nein, Sie müssen nicht lächeln, es soll durchaus kein Scherz sein. Im
Gegenteil, die Sache ist sehr ernsthaft, denn diese Anbetung ist von Grund aus
tyrannisch, wir sollen gezwungen werden, uns dem Ideale des Mannes anzu¬
passen. Schlag einen Hacken ab, schneide eine Zehe ab! Das in uns, was
nicht mit seiner idealen Vorstellung übereinstimmt, soll verschwinden, und gelingt
es nicht, es zu unterdrücken, so wird es übersehen, planmäßig vergessen, alle
Entfaltung wird ihm genommen, und das, was wir nicht besitzen oder was
doch nicht unser Eigentum ist, das soll zur üppigsten Blüte gebracht werden,
indem es bis zu den Wolken erhoben wird, indem von vornherein angenommen
wird, daß wir es im höchsten Maße besitzen, und indem es zum Eckstein ge¬
macht wird, auf den sich die Liebe des Mannes stützt. Ich nenne das Gewalt¬
thätigkeit gegen unsre Natur. Ich nenne das Dressur. Die Liebe des Mannes
will dressiren. Und wir fügen uns dem — selbst die, welche nicht lieben, fügen
sich —, wir sind ja nun einmal verachtungswürdige Schwächlinge.

Sie erhob sich aus ihrer ruhenden Stellung und blickte Ricks drohend an.

Wenn ich schön wäre, o bezaubernd schön, herrlicher, als je ein Weib auf
Erden gewesen ist, sodaß alle, die mich anschauten, von unüberwindlicher, schmerz¬
licher Liebe ergriffen, davon erfaßt würden wie von einem Zauber, wie wollte
ich sie da durch die Macht meiner Schönheit zwingen, nicht ihr hergebrachtes
blutloses Ideal, sondern mich selbst anzubeten, so wie ich gehe und stehe, jede
Falte meines Wesens, jeden Schimmer meiner Natur!

Sie hatte sich jetzt ganz erhoben, und Ricks dachte auch daran, zu gehen,
stand aber da und überlegte eine kühne Äußerung nach der andern, ohne daß
er den Mut finden konnte, seinen Gedanken Worte zu verleihen. Endlich faßte
er Mut, ergriff ihre Hand und küßte sie. Da reichte sie ihm auch die andre
Hand zum Kusse, und so kam er nicht weiter als zu einem: Gute Nacht!

Ricks Lyhne war in Frau Boye verliebt. Als er heimging und durch die¬
selben Straßen kam, durch die er noch vor wenig Stunden so mißmutig ge¬
schlendert war, kam es ihm vor, als läge es lange, lange hinter ihm, seit er
hier gegangen war. Es war außerdem eine gewisse Sicherheit, ein ruhiger An¬
stand in seinen Gang und seine Haltung gekommen, und als er seine Handschuhe
sorgfältig zuknöpfte, that er das mit einer Empfindung, als sei eine große Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/448>, abgerufen am 01.09.2024.