Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Ricks Lyhne. langsam ihre Farben mit einander aus. Alles klingt dadrinnen und jubelt, Nein, im Gegenteil! sagte Ricks eifrig, und seine Stimme bebte, als er Geistvoll? o wie ich diese geistvolle Liebe hasse! Was auf dem Boden Ricks war ganz verwirrt. Er hatte ihr Taschentuch, das sie verloren hatte, Ricks Lyhne. langsam ihre Farben mit einander aus. Alles klingt dadrinnen und jubelt, Nein, im Gegenteil! sagte Ricks eifrig, und seine Stimme bebte, als er Geistvoll? o wie ich diese geistvolle Liebe hasse! Was auf dem Boden Ricks war ganz verwirrt. Er hatte ihr Taschentuch, das sie verloren hatte, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203224"/> <fw type="header" place="top"> Ricks Lyhne.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1417" prev="#ID_1416"> langsam ihre Farben mit einander aus. Alles klingt dadrinnen und jubelt,<lb/> aber nur gedämpft, und die dämmernden Ahnungen glühen und blitzen wie ein<lb/> mystischer Wein in feinen, feinen Traumkelchen, und es klingt und duftet:<lb/> tausend Düfte wogen durch die Säle; o ich könnte weinen, wenn ich daran<lb/> denke, und auch wenn ich mir klar mache, daß. wenn das alles wie durch ein<lb/> Wunder wieder wäre, wie es gewesen ist. mich dies Leben jetzt nicht mehr tragen<lb/> könnte, daß ich hindurchfallen würde wie eine Kuh. die auf Spinnweben tanzen<lb/> wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1418"> Nein, im Gegenteil! sagte Ricks eifrig, und seine Stimme bebte, als er<lb/> fortfuhr: Nein, Sie würden gerade weit seiner lieben können und unendlich viel<lb/> geistvoller als das junge Mädchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1419"> Geistvoll? o wie ich diese geistvolle Liebe hasse! Was auf dem Boden<lb/> einer solchen Liebe wächst, ist nichts als Zeugblumen; und die wachsen nicht<lb/> einmal, die nimmt man aus dem Haar und steckt sie ins Herz, weil das Herz<lb/> selber keine Blumen hat. Und gerade deswegen beneide ich das junge Mädchen,<lb/> bei ihr ist nichts unechtes, sie mischt nicht das Surrogat der Phantasterei in<lb/> den Becher ihrer Liebe. Glauben Sie nicht, daß. weil ihre Liebe durchwoben<lb/> und überschattet ist von Phantasiebildern, von großartig wuchernden, unbestimmten<lb/> Bildern, dies seinen Grund darin hat, daß sie sich mehr aus diesen Bildern<lb/> macht als aus der Erde, auf der sie wandelt — nein, das kommt nur daher,<lb/> weil alle Sinne. Triebe und Fähigkeiten in ihr überall nach der Liebe<lb/> greifen, allüberall, ohne daß sie das ermüdete. Nicht aber, weil sie ihre<lb/> Phantasien genießt oder sich auch nur in ihnen wiegt, nein, sie ist unendlich<lb/> viel wirklicher, so wirklich, daß sie oft auf ihre eigne, unwissende Weise un¬<lb/> schuldig cynisch wird. Sie ahnen nicht, welch ein berauschender Genuß zum<lb/> Beispiel für ein junges Mädchen darin liegen kann, heimlich den Geruch des<lb/> Zigarrenrauches einzuatmen, der in den Kleidern des Geliebten hängt; das ist<lb/> für sie tausendmal mehr als ein ganzer Feuerbrand von Phantasie. Ich ver¬<lb/> achte die Phantasie! Was nützt es uns. wenn sich unser ganzes Wesen dem<lb/> Herzen eines Menschen entgegensehnt, um in den kalten Vorraum der Phantasie<lb/> eingeschlossen zu werden! Und wie häufig ist das nicht der Fall! Wie oft<lb/> müssen wir uns nicht darein finden, daß der. den wir lieben, uns mit seiner<lb/> Phantasie ausschmückt, uns mit einer Glorie umgiebt, uns Flügel an die<lb/> Schultern bindet und uns in ein sternbesätes Gewand hüllt, und uns erst dann<lb/> seiner Liebe würdig findet, wenn wir in diesem Maskeradenstaat einherstolziren,<lb/> in welchem keiner von uns sich ganz so geben kann, wie er im Grunde ist, denn<lb/> wir sind viel zu geputzt, und man macht uns verlegen, indem man sich vor<lb/> uns in den Staub wirft und uns anbetet, statt uns zu nehmen, wie wir sind,<lb/> und uns so zu lieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1420" next="#ID_1421"> Ricks war ganz verwirrt. Er hatte ihr Taschentuch, das sie verloren hatte,<lb/> aufgehoben und saß nun da, berauschte sich an den Düften desselben, und war</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
Ricks Lyhne.
langsam ihre Farben mit einander aus. Alles klingt dadrinnen und jubelt,
aber nur gedämpft, und die dämmernden Ahnungen glühen und blitzen wie ein
mystischer Wein in feinen, feinen Traumkelchen, und es klingt und duftet:
tausend Düfte wogen durch die Säle; o ich könnte weinen, wenn ich daran
denke, und auch wenn ich mir klar mache, daß. wenn das alles wie durch ein
Wunder wieder wäre, wie es gewesen ist. mich dies Leben jetzt nicht mehr tragen
könnte, daß ich hindurchfallen würde wie eine Kuh. die auf Spinnweben tanzen
wollte.
Nein, im Gegenteil! sagte Ricks eifrig, und seine Stimme bebte, als er
fortfuhr: Nein, Sie würden gerade weit seiner lieben können und unendlich viel
geistvoller als das junge Mädchen.
Geistvoll? o wie ich diese geistvolle Liebe hasse! Was auf dem Boden
einer solchen Liebe wächst, ist nichts als Zeugblumen; und die wachsen nicht
einmal, die nimmt man aus dem Haar und steckt sie ins Herz, weil das Herz
selber keine Blumen hat. Und gerade deswegen beneide ich das junge Mädchen,
bei ihr ist nichts unechtes, sie mischt nicht das Surrogat der Phantasterei in
den Becher ihrer Liebe. Glauben Sie nicht, daß. weil ihre Liebe durchwoben
und überschattet ist von Phantasiebildern, von großartig wuchernden, unbestimmten
Bildern, dies seinen Grund darin hat, daß sie sich mehr aus diesen Bildern
macht als aus der Erde, auf der sie wandelt — nein, das kommt nur daher,
weil alle Sinne. Triebe und Fähigkeiten in ihr überall nach der Liebe
greifen, allüberall, ohne daß sie das ermüdete. Nicht aber, weil sie ihre
Phantasien genießt oder sich auch nur in ihnen wiegt, nein, sie ist unendlich
viel wirklicher, so wirklich, daß sie oft auf ihre eigne, unwissende Weise un¬
schuldig cynisch wird. Sie ahnen nicht, welch ein berauschender Genuß zum
Beispiel für ein junges Mädchen darin liegen kann, heimlich den Geruch des
Zigarrenrauches einzuatmen, der in den Kleidern des Geliebten hängt; das ist
für sie tausendmal mehr als ein ganzer Feuerbrand von Phantasie. Ich ver¬
achte die Phantasie! Was nützt es uns. wenn sich unser ganzes Wesen dem
Herzen eines Menschen entgegensehnt, um in den kalten Vorraum der Phantasie
eingeschlossen zu werden! Und wie häufig ist das nicht der Fall! Wie oft
müssen wir uns nicht darein finden, daß der. den wir lieben, uns mit seiner
Phantasie ausschmückt, uns mit einer Glorie umgiebt, uns Flügel an die
Schultern bindet und uns in ein sternbesätes Gewand hüllt, und uns erst dann
seiner Liebe würdig findet, wenn wir in diesem Maskeradenstaat einherstolziren,
in welchem keiner von uns sich ganz so geben kann, wie er im Grunde ist, denn
wir sind viel zu geputzt, und man macht uns verlegen, indem man sich vor
uns in den Staub wirft und uns anbetet, statt uns zu nehmen, wie wir sind,
und uns so zu lieben.
Ricks war ganz verwirrt. Er hatte ihr Taschentuch, das sie verloren hatte,
aufgehoben und saß nun da, berauschte sich an den Düften desselben, und war
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