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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanisches Eisenbahnwesen.

so manchen kostbaren Tag verliert. Außerdem ist die Aufgabe des Gepäcks
nur dem anzuraten, der über einen amerikanischen Reisekoffer, d. h. einen über
und über mit Eisen beschlagenen Holzkoffer verfügt, denn die Behandlung des
Gepäcks durch die Bahubeamten ist ganz niederträchtig; die elegantesten Koffer
werden mit einer Seelenruhe von der Schulter herab einfach auf das Pflaster
geworfen, als ob es sich um einen Sack Holz handelte. Selbst mein solider
Lederkoffer, der mich, ohne Schaden zu nehmen, vom Nordkap bis nach Syrakus
und von Paris bis nach Wien begleitet hatte und an manchen Puff gewöhnt
war, empörte sich über die amerikanische Rücksichtslosigkeit derart, daß er ans-
einanderbarst und nicht wieder herzustellen war.

Sehen wir uns nun einen amerikanischen Eisenbahnzug und seine ver¬
meintlichen Vorzüge etwas näher an. Die Zusammenstellung des Zuges ist
in der Regel eine solche, daß unmittelbar hinter der Lokomotive und dem
Kohlenwagen die Gepäckwagen und dann die Personenwagen in umgekehrter
Klassenfolge zu stehen kommen, sodaß die Auswandererwagen den Anfang, die
Salonwagen den Schluß des Zuges bilden. Wenn man erwägt, daß die hin¬
tersten Wagen am meisten schleudern und daß sie bei längeren Zügen stets
außerhalb der geebneten Stationszugänge zu stehen kommen, so wird man die
Stellung der Salonwagen nicht für eine bevorzugte erachten können. Sie ist
es jedoch insofern, als sie bei Zusammenstößen immerhin einigen Schutz bietet.
Freilich ist es der amerikanischen Erfindungsgabe gelungen, auch auf diesem
Felde Neuerungen einzuführen; man kennt nicht bloß die gewöhnlichen Zu¬
sammenstöße von vorn, sondern auch solche von hinten, deren Bekanntschaft uns
nicht vorenthalten bleiben sollte.

Das erste, was dem Fremden beim Betreten des Zuges auffällt, ist die
Längsteilung sämtlicher Personenwagen durch einen Mittelgang ohne jegliche
Teilung, sodaß man die einzelnen Wagen nur von den beiden Enden aus
betreten und den Zug seiner ganzen Länge nach vom ersten bis zum letzten
Wagen durchwandern kann. Es wird dies als der größte Vorzug der ameri¬
kanischen Eisenbahnen gerühmt, und es läßt sich nicht leugnen, daß eine solche
Einteilung, namentlich auf längeren Reisen, mancherlei Vorteile bietet. Der
Reisende kann den ganzen Wagen mit freiem Blick übersehen, einen unbequemen
Platz jederzeit mit einem andern vertauschen, auch sich durch Auf- und Ab¬
wandern in dem Mittelgange einige Bewegung und Zerstreuung verschaffen.
Aber diese Vorteile werden doch durch die Nachteile, welche die Einrichtung
mit sich bringt, bei weitem aufgewogen. Zunächst kommt man in einem solchen
Wagen nicht einen Augenblick zur Ruhe, da es ein fortwährendes Hin- und
Herrennen giebt, und die beiden Thüren kaum stillstehen; mit jeder Öffnung
derselben dringt aber eine Menge Wind, Staub und Rauch ein, was bei kalter
Witterung und überheizten Wagen selbst für weniger empfindliche Naturen die
ganze Reise zu einer förmlichen Qual gestaltet. Eine ganz abscheuliche Plage


Amerikanisches Eisenbahnwesen.

so manchen kostbaren Tag verliert. Außerdem ist die Aufgabe des Gepäcks
nur dem anzuraten, der über einen amerikanischen Reisekoffer, d. h. einen über
und über mit Eisen beschlagenen Holzkoffer verfügt, denn die Behandlung des
Gepäcks durch die Bahubeamten ist ganz niederträchtig; die elegantesten Koffer
werden mit einer Seelenruhe von der Schulter herab einfach auf das Pflaster
geworfen, als ob es sich um einen Sack Holz handelte. Selbst mein solider
Lederkoffer, der mich, ohne Schaden zu nehmen, vom Nordkap bis nach Syrakus
und von Paris bis nach Wien begleitet hatte und an manchen Puff gewöhnt
war, empörte sich über die amerikanische Rücksichtslosigkeit derart, daß er ans-
einanderbarst und nicht wieder herzustellen war.

Sehen wir uns nun einen amerikanischen Eisenbahnzug und seine ver¬
meintlichen Vorzüge etwas näher an. Die Zusammenstellung des Zuges ist
in der Regel eine solche, daß unmittelbar hinter der Lokomotive und dem
Kohlenwagen die Gepäckwagen und dann die Personenwagen in umgekehrter
Klassenfolge zu stehen kommen, sodaß die Auswandererwagen den Anfang, die
Salonwagen den Schluß des Zuges bilden. Wenn man erwägt, daß die hin¬
tersten Wagen am meisten schleudern und daß sie bei längeren Zügen stets
außerhalb der geebneten Stationszugänge zu stehen kommen, so wird man die
Stellung der Salonwagen nicht für eine bevorzugte erachten können. Sie ist
es jedoch insofern, als sie bei Zusammenstößen immerhin einigen Schutz bietet.
Freilich ist es der amerikanischen Erfindungsgabe gelungen, auch auf diesem
Felde Neuerungen einzuführen; man kennt nicht bloß die gewöhnlichen Zu¬
sammenstöße von vorn, sondern auch solche von hinten, deren Bekanntschaft uns
nicht vorenthalten bleiben sollte.

Das erste, was dem Fremden beim Betreten des Zuges auffällt, ist die
Längsteilung sämtlicher Personenwagen durch einen Mittelgang ohne jegliche
Teilung, sodaß man die einzelnen Wagen nur von den beiden Enden aus
betreten und den Zug seiner ganzen Länge nach vom ersten bis zum letzten
Wagen durchwandern kann. Es wird dies als der größte Vorzug der ameri¬
kanischen Eisenbahnen gerühmt, und es läßt sich nicht leugnen, daß eine solche
Einteilung, namentlich auf längeren Reisen, mancherlei Vorteile bietet. Der
Reisende kann den ganzen Wagen mit freiem Blick übersehen, einen unbequemen
Platz jederzeit mit einem andern vertauschen, auch sich durch Auf- und Ab¬
wandern in dem Mittelgange einige Bewegung und Zerstreuung verschaffen.
Aber diese Vorteile werden doch durch die Nachteile, welche die Einrichtung
mit sich bringt, bei weitem aufgewogen. Zunächst kommt man in einem solchen
Wagen nicht einen Augenblick zur Ruhe, da es ein fortwährendes Hin- und
Herrennen giebt, und die beiden Thüren kaum stillstehen; mit jeder Öffnung
derselben dringt aber eine Menge Wind, Staub und Rauch ein, was bei kalter
Witterung und überheizten Wagen selbst für weniger empfindliche Naturen die
ganze Reise zu einer förmlichen Qual gestaltet. Eine ganz abscheuliche Plage


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[0442] Amerikanisches Eisenbahnwesen. so manchen kostbaren Tag verliert. Außerdem ist die Aufgabe des Gepäcks nur dem anzuraten, der über einen amerikanischen Reisekoffer, d. h. einen über und über mit Eisen beschlagenen Holzkoffer verfügt, denn die Behandlung des Gepäcks durch die Bahubeamten ist ganz niederträchtig; die elegantesten Koffer werden mit einer Seelenruhe von der Schulter herab einfach auf das Pflaster geworfen, als ob es sich um einen Sack Holz handelte. Selbst mein solider Lederkoffer, der mich, ohne Schaden zu nehmen, vom Nordkap bis nach Syrakus und von Paris bis nach Wien begleitet hatte und an manchen Puff gewöhnt war, empörte sich über die amerikanische Rücksichtslosigkeit derart, daß er ans- einanderbarst und nicht wieder herzustellen war. Sehen wir uns nun einen amerikanischen Eisenbahnzug und seine ver¬ meintlichen Vorzüge etwas näher an. Die Zusammenstellung des Zuges ist in der Regel eine solche, daß unmittelbar hinter der Lokomotive und dem Kohlenwagen die Gepäckwagen und dann die Personenwagen in umgekehrter Klassenfolge zu stehen kommen, sodaß die Auswandererwagen den Anfang, die Salonwagen den Schluß des Zuges bilden. Wenn man erwägt, daß die hin¬ tersten Wagen am meisten schleudern und daß sie bei längeren Zügen stets außerhalb der geebneten Stationszugänge zu stehen kommen, so wird man die Stellung der Salonwagen nicht für eine bevorzugte erachten können. Sie ist es jedoch insofern, als sie bei Zusammenstößen immerhin einigen Schutz bietet. Freilich ist es der amerikanischen Erfindungsgabe gelungen, auch auf diesem Felde Neuerungen einzuführen; man kennt nicht bloß die gewöhnlichen Zu¬ sammenstöße von vorn, sondern auch solche von hinten, deren Bekanntschaft uns nicht vorenthalten bleiben sollte. Das erste, was dem Fremden beim Betreten des Zuges auffällt, ist die Längsteilung sämtlicher Personenwagen durch einen Mittelgang ohne jegliche Teilung, sodaß man die einzelnen Wagen nur von den beiden Enden aus betreten und den Zug seiner ganzen Länge nach vom ersten bis zum letzten Wagen durchwandern kann. Es wird dies als der größte Vorzug der ameri¬ kanischen Eisenbahnen gerühmt, und es läßt sich nicht leugnen, daß eine solche Einteilung, namentlich auf längeren Reisen, mancherlei Vorteile bietet. Der Reisende kann den ganzen Wagen mit freiem Blick übersehen, einen unbequemen Platz jederzeit mit einem andern vertauschen, auch sich durch Auf- und Ab¬ wandern in dem Mittelgange einige Bewegung und Zerstreuung verschaffen. Aber diese Vorteile werden doch durch die Nachteile, welche die Einrichtung mit sich bringt, bei weitem aufgewogen. Zunächst kommt man in einem solchen Wagen nicht einen Augenblick zur Ruhe, da es ein fortwährendes Hin- und Herrennen giebt, und die beiden Thüren kaum stillstehen; mit jeder Öffnung derselben dringt aber eine Menge Wind, Staub und Rauch ein, was bei kalter Witterung und überheizten Wagen selbst für weniger empfindliche Naturen die ganze Reise zu einer förmlichen Qual gestaltet. Eine ganz abscheuliche Plage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/442>, abgerufen am 28.07.2024.