Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

1811 mit einer dritten Tochter nieder, aber sie selbst starb bereits vier Monate
später; sie hinterließ fünf Sohne und zwei Töchter. Auf die Todestundc er¬
wiederte Goethe in herzlicher Teilnahme dem gebeugten Gatten. "Wenn sie bei
soviel liebenswürdigen und edeln Eigenschaften mit der Welt nicht einig werden
konnte -- heißt es hier --. so erinnert sie mich an ihre Mutter, deren tiefe
und zarte Natur, deren über ihr Geschlecht erhabener Geist sie nicht vor einem
gewissen Unmut über ihre jedesmalige Umgebung schützen konnte."

Erst im Sommer 1814, sechs Jahre nach dem Tode der Mutter, sah
Goethe seiue jetzt von den Napoleonischen Fesseln des Rheinbundes befreite
Vaterstadt wieder. Auf der Durchreise nach Wiesbaden besuchte er weder Ver¬
wandte noch Freunde. Während seiner Badekur wurde er von den Brüdern
Schlosser wiederholt zu einem längern Besuche in ihrem elterlichen Hanse ein¬
geladen. Die Witwe Schlosser suchte in herzlichster Weise ihm die Hin¬
geschiedene Mutter z" ersetzen; ihre Tochter Susanna bezeigte sich nicht weniger
zuvorkommend, die beiden Söhne wetteiferten in Bezeigung ihrer Verehrung,
ja der jüngere begleitete ihn als Reisemarschall nach Heidelberg zu deu Brüdern
Vvifseree. Von andern Verwandten wurden besonders die alte Tante Mekher
und deren Sohn, Rat Textor, dessen Schwester Anna Maria, die Witwe Schuler
und die Söhne Starcks besucht, vielleicht auch der Arzt Neuburg, der während
Goethes Kurzen seine zweite vor acht Jahren geheiratete Gattin verloren hatte.
Am I. April 1815 vermählte sich Dr. Mekher mit Jungfer Sabine Karoline Buel,
sechzehn Tage später die zweite Tochter des Advokaten Textor mit dem Handels¬
manne Johann August von Bist. Als Goethe in diesem Jahre wieder nach
Wiesbade" kam, wurde er von seinem Jugendfreunde Willemer und dessen Gattin,
seiner Suleika,' auf der oberhalb Frankfurt gelegenen Gerbermühle ganz in
Anspruch genommen, doch konnte er es nicht abschlagen, am 21. August auf
dem ihn an so manche vergnügte Jugendtage erinnernden Forsthause der Hochzeit
der Tochter Neuburgs und seiner verstorbenen Base Mekher, der erst zwanzig¬
jährigen Johanna Neuburg, mit dem bedeutenden dreißigjährigen Stadtbaumeister
Johann Friedrich Christian Heß beizuwohnen. Auch als er während der Meßzeit
eine Woche in Frankfurt zubrachte, um zu seinem Berichte über Kunst und Altertum
die nötige Anschauung der dortigen Zustände zu gewinnen, wohnte er in Willemers
Hause, was ihn aber an häufigen Besuchen seiner Verwandten, besonders auch
der Schlosserschen Familie, nicht hinderte. Vou der Seuckenbergischeu Anstalt
"ut den städtischen Neubauten gaben Neuburg und Heß ihm erwünschte Auskunft.

Im folgenden Jahre kam endlich der Privatdozent Textor, dessen Gattin
am 5. November gestorben war, mit seinen drei Kindern nach Frankfurt. Leider
hatte er sein Vermögen größtenteils aufgezehrt und sah sich auf den Erwerb
Von seiner Advokatur und dem Unterricht als Privatlehrer des Rechtes an¬
gewiesen. Sein ältester Bruder wurde in diesem Jahre Schöffe. Goethe verlor
nach langen schweren Leiden am 7. Juni seine Gattin. Mekher wurde am
G


rmzl'owl 1888. 54

1811 mit einer dritten Tochter nieder, aber sie selbst starb bereits vier Monate
später; sie hinterließ fünf Sohne und zwei Töchter. Auf die Todestundc er¬
wiederte Goethe in herzlicher Teilnahme dem gebeugten Gatten. „Wenn sie bei
soviel liebenswürdigen und edeln Eigenschaften mit der Welt nicht einig werden
konnte — heißt es hier —. so erinnert sie mich an ihre Mutter, deren tiefe
und zarte Natur, deren über ihr Geschlecht erhabener Geist sie nicht vor einem
gewissen Unmut über ihre jedesmalige Umgebung schützen konnte."

Erst im Sommer 1814, sechs Jahre nach dem Tode der Mutter, sah
Goethe seiue jetzt von den Napoleonischen Fesseln des Rheinbundes befreite
Vaterstadt wieder. Auf der Durchreise nach Wiesbaden besuchte er weder Ver¬
wandte noch Freunde. Während seiner Badekur wurde er von den Brüdern
Schlosser wiederholt zu einem längern Besuche in ihrem elterlichen Hanse ein¬
geladen. Die Witwe Schlosser suchte in herzlichster Weise ihm die Hin¬
geschiedene Mutter z» ersetzen; ihre Tochter Susanna bezeigte sich nicht weniger
zuvorkommend, die beiden Söhne wetteiferten in Bezeigung ihrer Verehrung,
ja der jüngere begleitete ihn als Reisemarschall nach Heidelberg zu deu Brüdern
Vvifseree. Von andern Verwandten wurden besonders die alte Tante Mekher
und deren Sohn, Rat Textor, dessen Schwester Anna Maria, die Witwe Schuler
und die Söhne Starcks besucht, vielleicht auch der Arzt Neuburg, der während
Goethes Kurzen seine zweite vor acht Jahren geheiratete Gattin verloren hatte.
Am I. April 1815 vermählte sich Dr. Mekher mit Jungfer Sabine Karoline Buel,
sechzehn Tage später die zweite Tochter des Advokaten Textor mit dem Handels¬
manne Johann August von Bist. Als Goethe in diesem Jahre wieder nach
Wiesbade» kam, wurde er von seinem Jugendfreunde Willemer und dessen Gattin,
seiner Suleika,' auf der oberhalb Frankfurt gelegenen Gerbermühle ganz in
Anspruch genommen, doch konnte er es nicht abschlagen, am 21. August auf
dem ihn an so manche vergnügte Jugendtage erinnernden Forsthause der Hochzeit
der Tochter Neuburgs und seiner verstorbenen Base Mekher, der erst zwanzig¬
jährigen Johanna Neuburg, mit dem bedeutenden dreißigjährigen Stadtbaumeister
Johann Friedrich Christian Heß beizuwohnen. Auch als er während der Meßzeit
eine Woche in Frankfurt zubrachte, um zu seinem Berichte über Kunst und Altertum
die nötige Anschauung der dortigen Zustände zu gewinnen, wohnte er in Willemers
Hause, was ihn aber an häufigen Besuchen seiner Verwandten, besonders auch
der Schlosserschen Familie, nicht hinderte. Vou der Seuckenbergischeu Anstalt
»ut den städtischen Neubauten gaben Neuburg und Heß ihm erwünschte Auskunft.

Im folgenden Jahre kam endlich der Privatdozent Textor, dessen Gattin
am 5. November gestorben war, mit seinen drei Kindern nach Frankfurt. Leider
hatte er sein Vermögen größtenteils aufgezehrt und sah sich auf den Erwerb
Von seiner Advokatur und dem Unterricht als Privatlehrer des Rechtes an¬
gewiesen. Sein ältester Bruder wurde in diesem Jahre Schöffe. Goethe verlor
nach langen schweren Leiden am 7. Juni seine Gattin. Mekher wurde am
G


rmzl'owl 1888. 54
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203210"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1381" prev="#ID_1380"> 1811 mit einer dritten Tochter nieder, aber sie selbst starb bereits vier Monate<lb/>
später; sie hinterließ fünf Sohne und zwei Töchter. Auf die Todestundc er¬<lb/>
wiederte Goethe in herzlicher Teilnahme dem gebeugten Gatten. &#x201E;Wenn sie bei<lb/>
soviel liebenswürdigen und edeln Eigenschaften mit der Welt nicht einig werden<lb/>
konnte &#x2014; heißt es hier &#x2014;. so erinnert sie mich an ihre Mutter, deren tiefe<lb/>
und zarte Natur, deren über ihr Geschlecht erhabener Geist sie nicht vor einem<lb/>
gewissen Unmut über ihre jedesmalige Umgebung schützen konnte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1382"> Erst im Sommer 1814, sechs Jahre nach dem Tode der Mutter, sah<lb/>
Goethe seiue jetzt von den Napoleonischen Fesseln des Rheinbundes befreite<lb/>
Vaterstadt wieder. Auf der Durchreise nach Wiesbaden besuchte er weder Ver¬<lb/>
wandte noch Freunde. Während seiner Badekur wurde er von den Brüdern<lb/>
Schlosser wiederholt zu einem längern Besuche in ihrem elterlichen Hanse ein¬<lb/>
geladen. Die Witwe Schlosser suchte in herzlichster Weise ihm die Hin¬<lb/>
geschiedene Mutter z» ersetzen; ihre Tochter Susanna bezeigte sich nicht weniger<lb/>
zuvorkommend, die beiden Söhne wetteiferten in Bezeigung ihrer Verehrung,<lb/>
ja der jüngere begleitete ihn als Reisemarschall nach Heidelberg zu deu Brüdern<lb/>
Vvifseree. Von andern Verwandten wurden besonders die alte Tante Mekher<lb/>
und deren Sohn, Rat Textor, dessen Schwester Anna Maria, die Witwe Schuler<lb/>
und die Söhne Starcks besucht, vielleicht auch der Arzt Neuburg, der während<lb/>
Goethes Kurzen seine zweite vor acht Jahren geheiratete Gattin verloren hatte.<lb/>
Am I. April 1815 vermählte sich Dr. Mekher mit Jungfer Sabine Karoline Buel,<lb/>
sechzehn Tage später die zweite Tochter des Advokaten Textor mit dem Handels¬<lb/>
manne Johann August von Bist. Als Goethe in diesem Jahre wieder nach<lb/>
Wiesbade» kam, wurde er von seinem Jugendfreunde Willemer und dessen Gattin,<lb/>
seiner Suleika,' auf der oberhalb Frankfurt gelegenen Gerbermühle ganz in<lb/>
Anspruch genommen, doch konnte er es nicht abschlagen, am 21. August auf<lb/>
dem ihn an so manche vergnügte Jugendtage erinnernden Forsthause der Hochzeit<lb/>
der Tochter Neuburgs und seiner verstorbenen Base Mekher, der erst zwanzig¬<lb/>
jährigen Johanna Neuburg, mit dem bedeutenden dreißigjährigen Stadtbaumeister<lb/>
Johann Friedrich Christian Heß beizuwohnen. Auch als er während der Meßzeit<lb/>
eine Woche in Frankfurt zubrachte, um zu seinem Berichte über Kunst und Altertum<lb/>
die nötige Anschauung der dortigen Zustände zu gewinnen, wohnte er in Willemers<lb/>
Hause, was ihn aber an häufigen Besuchen seiner Verwandten, besonders auch<lb/>
der Schlosserschen Familie, nicht hinderte. Vou der Seuckenbergischeu Anstalt<lb/>
»ut den städtischen Neubauten gaben Neuburg und Heß ihm erwünschte Auskunft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1383" next="#ID_1384"> Im folgenden Jahre kam endlich der Privatdozent Textor, dessen Gattin<lb/>
am 5. November gestorben war, mit seinen drei Kindern nach Frankfurt. Leider<lb/>
hatte er sein Vermögen größtenteils aufgezehrt und sah sich auf den Erwerb<lb/>
Von seiner Advokatur und dem Unterricht als Privatlehrer des Rechtes an¬<lb/>
gewiesen. Sein ältester Bruder wurde in diesem Jahre Schöffe. Goethe verlor<lb/>
nach langen schweren Leiden am 7. Juni seine Gattin.  Mekher wurde am<lb/>
G</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> rmzl'owl   1888. 54</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] 1811 mit einer dritten Tochter nieder, aber sie selbst starb bereits vier Monate später; sie hinterließ fünf Sohne und zwei Töchter. Auf die Todestundc er¬ wiederte Goethe in herzlicher Teilnahme dem gebeugten Gatten. „Wenn sie bei soviel liebenswürdigen und edeln Eigenschaften mit der Welt nicht einig werden konnte — heißt es hier —. so erinnert sie mich an ihre Mutter, deren tiefe und zarte Natur, deren über ihr Geschlecht erhabener Geist sie nicht vor einem gewissen Unmut über ihre jedesmalige Umgebung schützen konnte." Erst im Sommer 1814, sechs Jahre nach dem Tode der Mutter, sah Goethe seiue jetzt von den Napoleonischen Fesseln des Rheinbundes befreite Vaterstadt wieder. Auf der Durchreise nach Wiesbaden besuchte er weder Ver¬ wandte noch Freunde. Während seiner Badekur wurde er von den Brüdern Schlosser wiederholt zu einem längern Besuche in ihrem elterlichen Hanse ein¬ geladen. Die Witwe Schlosser suchte in herzlichster Weise ihm die Hin¬ geschiedene Mutter z» ersetzen; ihre Tochter Susanna bezeigte sich nicht weniger zuvorkommend, die beiden Söhne wetteiferten in Bezeigung ihrer Verehrung, ja der jüngere begleitete ihn als Reisemarschall nach Heidelberg zu deu Brüdern Vvifseree. Von andern Verwandten wurden besonders die alte Tante Mekher und deren Sohn, Rat Textor, dessen Schwester Anna Maria, die Witwe Schuler und die Söhne Starcks besucht, vielleicht auch der Arzt Neuburg, der während Goethes Kurzen seine zweite vor acht Jahren geheiratete Gattin verloren hatte. Am I. April 1815 vermählte sich Dr. Mekher mit Jungfer Sabine Karoline Buel, sechzehn Tage später die zweite Tochter des Advokaten Textor mit dem Handels¬ manne Johann August von Bist. Als Goethe in diesem Jahre wieder nach Wiesbade» kam, wurde er von seinem Jugendfreunde Willemer und dessen Gattin, seiner Suleika,' auf der oberhalb Frankfurt gelegenen Gerbermühle ganz in Anspruch genommen, doch konnte er es nicht abschlagen, am 21. August auf dem ihn an so manche vergnügte Jugendtage erinnernden Forsthause der Hochzeit der Tochter Neuburgs und seiner verstorbenen Base Mekher, der erst zwanzig¬ jährigen Johanna Neuburg, mit dem bedeutenden dreißigjährigen Stadtbaumeister Johann Friedrich Christian Heß beizuwohnen. Auch als er während der Meßzeit eine Woche in Frankfurt zubrachte, um zu seinem Berichte über Kunst und Altertum die nötige Anschauung der dortigen Zustände zu gewinnen, wohnte er in Willemers Hause, was ihn aber an häufigen Besuchen seiner Verwandten, besonders auch der Schlosserschen Familie, nicht hinderte. Vou der Seuckenbergischeu Anstalt »ut den städtischen Neubauten gaben Neuburg und Heß ihm erwünschte Auskunft. Im folgenden Jahre kam endlich der Privatdozent Textor, dessen Gattin am 5. November gestorben war, mit seinen drei Kindern nach Frankfurt. Leider hatte er sein Vermögen größtenteils aufgezehrt und sah sich auf den Erwerb Von seiner Advokatur und dem Unterricht als Privatlehrer des Rechtes an¬ gewiesen. Sein ältester Bruder wurde in diesem Jahre Schöffe. Goethe verlor nach langen schweren Leiden am 7. Juni seine Gattin. Mekher wurde am G rmzl'owl 1888. 54

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/433>, abgerufen am 28.07.2024.