Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,

brausender Lebensstrom reiße alles hin. In sehr bedrängter Lage befand sich
damals die Familie Mekher. Die beiden ältesten Söhne hatten als Handels¬
leute wenig Glück und Trieb. Am Ende des Jahrhunderts finden wir den
zweiten als Sekretär bei der Stiftungslotteriedirektion, der älteste nahm bald
darauf die erledigte Stelle eines Zöllners am Allerheiligenthore an. Frau
Mekher hatte bei sich noch ihre ledige vierundvierzigjührige Tochter Johanna
Maria Jaeobäa. Der Arzt, der sich ihrer redlich annahm, fand so wenig eine
für sein Auskommen hinreichende Thätigkeit, daß er in den beiden ersten Jahren
des Jahrhunderts die Redaktion des "Frankfurter Journals" für 33 Gulden
monatlich leitete. Zu Tübingen hatte endlich der Sohn des Schöffen am 9. Sep-
tcmper 1799 mit einer Abhandlung: Le Luxpliolo c,Me,g.1i ot-xosvis wkanMirtibus
o viviwwin tori8 xr08vMöiM8 promovirt, und im nächsten Sommer begann er
Revctitorien und Vorlesungen über Zivilrecht zu halten. In Jena nahm Goethe
damals lebhaften Anteil an seinen drei dort studirenden Verwandten, dem Juristen
Friedrich Schlosser und den Medizinern Christian und Eduard Schlosser. Der letztre
schien ihm den Vater, seinen Schwager, nicht zu verleugnen; er habe einen geraden
Sinn und Lust an der Erfahrung. Von den Söhnen des Schöffen Schlosser sei der
ältere eine ruhige, verständige Natur, der andre "ein kleiner Enrage für die neueste
Philosophie," und das mit so viel Geist, Herz und Sinn, daß er und Schelling
ihr Wunder daran sähen. Christian war auch für Goethe als Dichter begeistert.

In Frankfurt finden wir im Jahre 1801 in der dritten Stabskompagnie
außer dem Major Schuler, der auch Senior des Witwen- und Waiseninstituts
der Oberoffiziere war, als Premierleutnant den dritten Sohn des Schöffen Textor,
Georg Adolf, der Friederike Katharina Hey, die Tochter des Burggrafen von
Wilhelmsbad, geheiratet hatte, dann als Premierlentnant der dritten und
fünften Kreiskontingentskompagnie, von denen die erste im Felde stand, Johann
Kaspar Schüler, der sich schon 1792 vermählt hatte, und Johann Jost Schuler.
Ein Fähndrich Ferdinand Schuler bei der sechsten Kreiskontingentskompagnie
scheint ein Vetter gewesen zu sein. Der Leutnant Christian Wilhelm Textor bei
der ersten muß zu einer nichtverwandten Familie gehören, aus welcher ein Haupt¬
mann David Textor im Mai 1767 starb. Am 8. März 1802 wurde der
Advokat Textor in den Rat gewählt, in welchem seit fast zehn Jahren die
Familie des Stadtschultheißen nicht vertreten gewesen war. Dem Premierleutnant
Georg Adolf Textor wurde am 9. September desselben Jahres eine Tochter
geboren; er selbst starb schon am 9. Dezember 1803. Sekretär Mekher war
bereits im vorigen Jahre verschieden. Die Ehe von Nicolovius wurde in den
Jahren 1800 bis 1804 mit drei Kindern gesegnet, von denen das zweite (es
war das erste Mädchen) den Namen Cornelie erhielt. Goethe selbst hatte sich
unendlich auf das Kind gefreut, mit welchem Christiane ihn im Dezember 1802
beschenken sollte; aber auch dieses starb bereits nach drei Tagen. Durch Ernestine
Voß, deren Gatte seit dem Herbste 1802 in Jena wohnte, erhielt Goethe


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,

brausender Lebensstrom reiße alles hin. In sehr bedrängter Lage befand sich
damals die Familie Mekher. Die beiden ältesten Söhne hatten als Handels¬
leute wenig Glück und Trieb. Am Ende des Jahrhunderts finden wir den
zweiten als Sekretär bei der Stiftungslotteriedirektion, der älteste nahm bald
darauf die erledigte Stelle eines Zöllners am Allerheiligenthore an. Frau
Mekher hatte bei sich noch ihre ledige vierundvierzigjührige Tochter Johanna
Maria Jaeobäa. Der Arzt, der sich ihrer redlich annahm, fand so wenig eine
für sein Auskommen hinreichende Thätigkeit, daß er in den beiden ersten Jahren
des Jahrhunderts die Redaktion des „Frankfurter Journals" für 33 Gulden
monatlich leitete. Zu Tübingen hatte endlich der Sohn des Schöffen am 9. Sep-
tcmper 1799 mit einer Abhandlung: Le Luxpliolo c,Me,g.1i ot-xosvis wkanMirtibus
o viviwwin tori8 xr08vMöiM8 promovirt, und im nächsten Sommer begann er
Revctitorien und Vorlesungen über Zivilrecht zu halten. In Jena nahm Goethe
damals lebhaften Anteil an seinen drei dort studirenden Verwandten, dem Juristen
Friedrich Schlosser und den Medizinern Christian und Eduard Schlosser. Der letztre
schien ihm den Vater, seinen Schwager, nicht zu verleugnen; er habe einen geraden
Sinn und Lust an der Erfahrung. Von den Söhnen des Schöffen Schlosser sei der
ältere eine ruhige, verständige Natur, der andre „ein kleiner Enrage für die neueste
Philosophie," und das mit so viel Geist, Herz und Sinn, daß er und Schelling
ihr Wunder daran sähen. Christian war auch für Goethe als Dichter begeistert.

In Frankfurt finden wir im Jahre 1801 in der dritten Stabskompagnie
außer dem Major Schuler, der auch Senior des Witwen- und Waiseninstituts
der Oberoffiziere war, als Premierleutnant den dritten Sohn des Schöffen Textor,
Georg Adolf, der Friederike Katharina Hey, die Tochter des Burggrafen von
Wilhelmsbad, geheiratet hatte, dann als Premierlentnant der dritten und
fünften Kreiskontingentskompagnie, von denen die erste im Felde stand, Johann
Kaspar Schüler, der sich schon 1792 vermählt hatte, und Johann Jost Schuler.
Ein Fähndrich Ferdinand Schuler bei der sechsten Kreiskontingentskompagnie
scheint ein Vetter gewesen zu sein. Der Leutnant Christian Wilhelm Textor bei
der ersten muß zu einer nichtverwandten Familie gehören, aus welcher ein Haupt¬
mann David Textor im Mai 1767 starb. Am 8. März 1802 wurde der
Advokat Textor in den Rat gewählt, in welchem seit fast zehn Jahren die
Familie des Stadtschultheißen nicht vertreten gewesen war. Dem Premierleutnant
Georg Adolf Textor wurde am 9. September desselben Jahres eine Tochter
geboren; er selbst starb schon am 9. Dezember 1803. Sekretär Mekher war
bereits im vorigen Jahre verschieden. Die Ehe von Nicolovius wurde in den
Jahren 1800 bis 1804 mit drei Kindern gesegnet, von denen das zweite (es
war das erste Mädchen) den Namen Cornelie erhielt. Goethe selbst hatte sich
unendlich auf das Kind gefreut, mit welchem Christiane ihn im Dezember 1802
beschenken sollte; aber auch dieses starb bereits nach drei Tagen. Durch Ernestine
Voß, deren Gatte seit dem Herbste 1802 in Jena wohnte, erhielt Goethe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203207"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1375" prev="#ID_1374"> brausender Lebensstrom reiße alles hin. In sehr bedrängter Lage befand sich<lb/>
damals die Familie Mekher. Die beiden ältesten Söhne hatten als Handels¬<lb/>
leute wenig Glück und Trieb. Am Ende des Jahrhunderts finden wir den<lb/>
zweiten als Sekretär bei der Stiftungslotteriedirektion, der älteste nahm bald<lb/>
darauf die erledigte Stelle eines Zöllners am Allerheiligenthore an. Frau<lb/>
Mekher hatte bei sich noch ihre ledige vierundvierzigjührige Tochter Johanna<lb/>
Maria Jaeobäa. Der Arzt, der sich ihrer redlich annahm, fand so wenig eine<lb/>
für sein Auskommen hinreichende Thätigkeit, daß er in den beiden ersten Jahren<lb/>
des Jahrhunderts die Redaktion des &#x201E;Frankfurter Journals" für 33 Gulden<lb/>
monatlich leitete. Zu Tübingen hatte endlich der Sohn des Schöffen am 9. Sep-<lb/>
tcmper 1799 mit einer Abhandlung: Le Luxpliolo c,Me,g.1i ot-xosvis wkanMirtibus<lb/>
o viviwwin tori8 xr08vMöiM8 promovirt, und im nächsten Sommer begann er<lb/>
Revctitorien und Vorlesungen über Zivilrecht zu halten. In Jena nahm Goethe<lb/>
damals lebhaften Anteil an seinen drei dort studirenden Verwandten, dem Juristen<lb/>
Friedrich Schlosser und den Medizinern Christian und Eduard Schlosser. Der letztre<lb/>
schien ihm den Vater, seinen Schwager, nicht zu verleugnen; er habe einen geraden<lb/>
Sinn und Lust an der Erfahrung. Von den Söhnen des Schöffen Schlosser sei der<lb/>
ältere eine ruhige, verständige Natur, der andre &#x201E;ein kleiner Enrage für die neueste<lb/>
Philosophie," und das mit so viel Geist, Herz und Sinn, daß er und Schelling<lb/>
ihr Wunder daran sähen. Christian war auch für Goethe als Dichter begeistert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1376" next="#ID_1377"> In Frankfurt finden wir im Jahre 1801 in der dritten Stabskompagnie<lb/>
außer dem Major Schuler, der auch Senior des Witwen- und Waiseninstituts<lb/>
der Oberoffiziere war, als Premierleutnant den dritten Sohn des Schöffen Textor,<lb/>
Georg Adolf, der Friederike Katharina Hey, die Tochter des Burggrafen von<lb/>
Wilhelmsbad, geheiratet hatte, dann als Premierlentnant der dritten und<lb/>
fünften Kreiskontingentskompagnie, von denen die erste im Felde stand, Johann<lb/>
Kaspar Schüler, der sich schon 1792 vermählt hatte, und Johann Jost Schuler.<lb/>
Ein Fähndrich Ferdinand Schuler bei der sechsten Kreiskontingentskompagnie<lb/>
scheint ein Vetter gewesen zu sein. Der Leutnant Christian Wilhelm Textor bei<lb/>
der ersten muß zu einer nichtverwandten Familie gehören, aus welcher ein Haupt¬<lb/>
mann David Textor im Mai 1767 starb. Am 8. März 1802 wurde der<lb/>
Advokat Textor in den Rat gewählt, in welchem seit fast zehn Jahren die<lb/>
Familie des Stadtschultheißen nicht vertreten gewesen war. Dem Premierleutnant<lb/>
Georg Adolf Textor wurde am 9. September desselben Jahres eine Tochter<lb/>
geboren; er selbst starb schon am 9. Dezember 1803. Sekretär Mekher war<lb/>
bereits im vorigen Jahre verschieden. Die Ehe von Nicolovius wurde in den<lb/>
Jahren 1800 bis 1804 mit drei Kindern gesegnet, von denen das zweite (es<lb/>
war das erste Mädchen) den Namen Cornelie erhielt. Goethe selbst hatte sich<lb/>
unendlich auf das Kind gefreut, mit welchem Christiane ihn im Dezember 1802<lb/>
beschenken sollte; aber auch dieses starb bereits nach drei Tagen. Durch Ernestine<lb/>
Voß, deren Gatte seit dem Herbste 1802 in Jena wohnte, erhielt Goethe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0430] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum, brausender Lebensstrom reiße alles hin. In sehr bedrängter Lage befand sich damals die Familie Mekher. Die beiden ältesten Söhne hatten als Handels¬ leute wenig Glück und Trieb. Am Ende des Jahrhunderts finden wir den zweiten als Sekretär bei der Stiftungslotteriedirektion, der älteste nahm bald darauf die erledigte Stelle eines Zöllners am Allerheiligenthore an. Frau Mekher hatte bei sich noch ihre ledige vierundvierzigjührige Tochter Johanna Maria Jaeobäa. Der Arzt, der sich ihrer redlich annahm, fand so wenig eine für sein Auskommen hinreichende Thätigkeit, daß er in den beiden ersten Jahren des Jahrhunderts die Redaktion des „Frankfurter Journals" für 33 Gulden monatlich leitete. Zu Tübingen hatte endlich der Sohn des Schöffen am 9. Sep- tcmper 1799 mit einer Abhandlung: Le Luxpliolo c,Me,g.1i ot-xosvis wkanMirtibus o viviwwin tori8 xr08vMöiM8 promovirt, und im nächsten Sommer begann er Revctitorien und Vorlesungen über Zivilrecht zu halten. In Jena nahm Goethe damals lebhaften Anteil an seinen drei dort studirenden Verwandten, dem Juristen Friedrich Schlosser und den Medizinern Christian und Eduard Schlosser. Der letztre schien ihm den Vater, seinen Schwager, nicht zu verleugnen; er habe einen geraden Sinn und Lust an der Erfahrung. Von den Söhnen des Schöffen Schlosser sei der ältere eine ruhige, verständige Natur, der andre „ein kleiner Enrage für die neueste Philosophie," und das mit so viel Geist, Herz und Sinn, daß er und Schelling ihr Wunder daran sähen. Christian war auch für Goethe als Dichter begeistert. In Frankfurt finden wir im Jahre 1801 in der dritten Stabskompagnie außer dem Major Schuler, der auch Senior des Witwen- und Waiseninstituts der Oberoffiziere war, als Premierleutnant den dritten Sohn des Schöffen Textor, Georg Adolf, der Friederike Katharina Hey, die Tochter des Burggrafen von Wilhelmsbad, geheiratet hatte, dann als Premierlentnant der dritten und fünften Kreiskontingentskompagnie, von denen die erste im Felde stand, Johann Kaspar Schüler, der sich schon 1792 vermählt hatte, und Johann Jost Schuler. Ein Fähndrich Ferdinand Schuler bei der sechsten Kreiskontingentskompagnie scheint ein Vetter gewesen zu sein. Der Leutnant Christian Wilhelm Textor bei der ersten muß zu einer nichtverwandten Familie gehören, aus welcher ein Haupt¬ mann David Textor im Mai 1767 starb. Am 8. März 1802 wurde der Advokat Textor in den Rat gewählt, in welchem seit fast zehn Jahren die Familie des Stadtschultheißen nicht vertreten gewesen war. Dem Premierleutnant Georg Adolf Textor wurde am 9. September desselben Jahres eine Tochter geboren; er selbst starb schon am 9. Dezember 1803. Sekretär Mekher war bereits im vorigen Jahre verschieden. Die Ehe von Nicolovius wurde in den Jahren 1800 bis 1804 mit drei Kindern gesegnet, von denen das zweite (es war das erste Mädchen) den Namen Cornelie erhielt. Goethe selbst hatte sich unendlich auf das Kind gefreut, mit welchem Christiane ihn im Dezember 1802 beschenken sollte; aber auch dieses starb bereits nach drei Tagen. Durch Ernestine Voß, deren Gatte seit dem Herbste 1802 in Jena wohnte, erhielt Goethe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/430
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/430>, abgerufen am 06.02.2025.