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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

und sie die Geburt seiner Kinder nicht im Anzeigeblatt verkünden dürfe, doch
seinen August großmütterlich liebte und seiner Christiane, die den Wolfgang so
glücklich machte, nicht gram sein konnte. Leider rief der Herzog diesen rascher,
als er gedacht, zu sich ins Lager der Verbündeten bei Longwy. Während des
so entsetzlichen wie schmachvollen Rückzuges des preußischen Heeres aus dem
unseligen Lager bei Hans starb in Frankfurt am 21. September der Schöffe
Textor, von dessen noch lebenden Söhnen der eine Advokat war, der andre
bei der Stadtgarnison stand, die beiden jüngern noch auf der Schule sich be¬
fanden. Die Freunde dachten daran, Goethe selbst, als Nachkommen des Schult¬
heißen, in den Rat zu bringen, und sie ließen durch die Mutter bei ihm an¬
fragen, ob er die Stelle annehmen würde, wenn die goldne Kugel unter den
Gewählten für ihn entschiede. Bei den Fortschritten der Franzosen am Rhein
und Main mußte er darauf verzichten, persönlich dafür zu danken; denn die
Antwort konnte nur ablehnend ausfalle", da er den Zuständen seiner Vaterstadt, die
sich ihm vor zehn Jahren nichts weniger als freundlich gezeigt hatte, ganz fremd
geworden war und ihm zu Weimar zum Danke für sein länger als zehnjähriges
Wirken von der Gnade des Herzogs eine Stellung geboten wurde, die seinen
Wünschen ganz entsprach. Erst als er im Dezember nach Weimar zurückgekehrt
war, konnte er in aller Ruhe seiner Mutter antworten. Es fällt auf, daß in
dieser Antwort des jüngsten Melder nicht gedacht ist, der im Herbste als Medi¬
ziner nach Jena gekommen war. Auch sonst findet sich bisher keine Spur, daß
dieser während der zwei Jahre, die er in Jena weilte, sich mit Goethe berührt
habe. Wir enthalten uns bei dem Mangel aller Anhaltepunkte umsomehr jedes
Erklärungsversuches, als wir ja auch keine Spuren von einer Verbindung des
Studenten Textor rin Goethe fanden. Dieser kam, war er auch im Jahre 1793
längere Zeit von Weimar fern, mehrfach nach Jena, und daß Mekher dort
studirte, konnte ihm nicht unbekannt geblieben sein. Auf der Reise zur Be¬
lagerung von Mainz und nach der Übergabe der Stadt verweilte er einige Zeit
in seiner Vaterstadt. In Heidelberg traf er mit Schlosser zusammen, der
eben seine und Corneliens älteste Tochter verloren hatte. Noch persönlicher
griff ihn am 3. Dezember der rasche Tod seiner eignen, am 22. November ge¬
borenen Tochter an. In Frankfurt war dem Dr. Textor am 21. September
eine Tochter, Maria Margaretha Eleonore, geboren worden, welche die beiden
ersten Vornamen von der Großmutter erhielt.

Zur höchsten Freude der Frau Rat verlobte sich Anfang 1794 Corneliens
Tochter Luise mit einem Freunde von Stolberg und Jacobi, dem siebenund-
zwanzigjährigen Königsberger Georg Heinrich Ludwig Nievlovius, der einer
Anstellung entgegensah; er hatte Goethes Nichte bei Jacobi kennen gelernt.
Schlosser legte seine vor mehreren Jahren angetretene Stelle als Direktor des
Hofgerichts nieder und zog vorläufig nach Ansbach. In Frankfurt heiratete
der junge Advokat starck die sechzehnjährige Ottilie Fritsch, dagegen starb dessen


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

und sie die Geburt seiner Kinder nicht im Anzeigeblatt verkünden dürfe, doch
seinen August großmütterlich liebte und seiner Christiane, die den Wolfgang so
glücklich machte, nicht gram sein konnte. Leider rief der Herzog diesen rascher,
als er gedacht, zu sich ins Lager der Verbündeten bei Longwy. Während des
so entsetzlichen wie schmachvollen Rückzuges des preußischen Heeres aus dem
unseligen Lager bei Hans starb in Frankfurt am 21. September der Schöffe
Textor, von dessen noch lebenden Söhnen der eine Advokat war, der andre
bei der Stadtgarnison stand, die beiden jüngern noch auf der Schule sich be¬
fanden. Die Freunde dachten daran, Goethe selbst, als Nachkommen des Schult¬
heißen, in den Rat zu bringen, und sie ließen durch die Mutter bei ihm an¬
fragen, ob er die Stelle annehmen würde, wenn die goldne Kugel unter den
Gewählten für ihn entschiede. Bei den Fortschritten der Franzosen am Rhein
und Main mußte er darauf verzichten, persönlich dafür zu danken; denn die
Antwort konnte nur ablehnend ausfalle», da er den Zuständen seiner Vaterstadt, die
sich ihm vor zehn Jahren nichts weniger als freundlich gezeigt hatte, ganz fremd
geworden war und ihm zu Weimar zum Danke für sein länger als zehnjähriges
Wirken von der Gnade des Herzogs eine Stellung geboten wurde, die seinen
Wünschen ganz entsprach. Erst als er im Dezember nach Weimar zurückgekehrt
war, konnte er in aller Ruhe seiner Mutter antworten. Es fällt auf, daß in
dieser Antwort des jüngsten Melder nicht gedacht ist, der im Herbste als Medi¬
ziner nach Jena gekommen war. Auch sonst findet sich bisher keine Spur, daß
dieser während der zwei Jahre, die er in Jena weilte, sich mit Goethe berührt
habe. Wir enthalten uns bei dem Mangel aller Anhaltepunkte umsomehr jedes
Erklärungsversuches, als wir ja auch keine Spuren von einer Verbindung des
Studenten Textor rin Goethe fanden. Dieser kam, war er auch im Jahre 1793
längere Zeit von Weimar fern, mehrfach nach Jena, und daß Mekher dort
studirte, konnte ihm nicht unbekannt geblieben sein. Auf der Reise zur Be¬
lagerung von Mainz und nach der Übergabe der Stadt verweilte er einige Zeit
in seiner Vaterstadt. In Heidelberg traf er mit Schlosser zusammen, der
eben seine und Corneliens älteste Tochter verloren hatte. Noch persönlicher
griff ihn am 3. Dezember der rasche Tod seiner eignen, am 22. November ge¬
borenen Tochter an. In Frankfurt war dem Dr. Textor am 21. September
eine Tochter, Maria Margaretha Eleonore, geboren worden, welche die beiden
ersten Vornamen von der Großmutter erhielt.

Zur höchsten Freude der Frau Rat verlobte sich Anfang 1794 Corneliens
Tochter Luise mit einem Freunde von Stolberg und Jacobi, dem siebenund-
zwanzigjährigen Königsberger Georg Heinrich Ludwig Nievlovius, der einer
Anstellung entgegensah; er hatte Goethes Nichte bei Jacobi kennen gelernt.
Schlosser legte seine vor mehreren Jahren angetretene Stelle als Direktor des
Hofgerichts nieder und zog vorläufig nach Ansbach. In Frankfurt heiratete
der junge Advokat starck die sechzehnjährige Ottilie Fritsch, dagegen starb dessen


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[0426] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. und sie die Geburt seiner Kinder nicht im Anzeigeblatt verkünden dürfe, doch seinen August großmütterlich liebte und seiner Christiane, die den Wolfgang so glücklich machte, nicht gram sein konnte. Leider rief der Herzog diesen rascher, als er gedacht, zu sich ins Lager der Verbündeten bei Longwy. Während des so entsetzlichen wie schmachvollen Rückzuges des preußischen Heeres aus dem unseligen Lager bei Hans starb in Frankfurt am 21. September der Schöffe Textor, von dessen noch lebenden Söhnen der eine Advokat war, der andre bei der Stadtgarnison stand, die beiden jüngern noch auf der Schule sich be¬ fanden. Die Freunde dachten daran, Goethe selbst, als Nachkommen des Schult¬ heißen, in den Rat zu bringen, und sie ließen durch die Mutter bei ihm an¬ fragen, ob er die Stelle annehmen würde, wenn die goldne Kugel unter den Gewählten für ihn entschiede. Bei den Fortschritten der Franzosen am Rhein und Main mußte er darauf verzichten, persönlich dafür zu danken; denn die Antwort konnte nur ablehnend ausfalle», da er den Zuständen seiner Vaterstadt, die sich ihm vor zehn Jahren nichts weniger als freundlich gezeigt hatte, ganz fremd geworden war und ihm zu Weimar zum Danke für sein länger als zehnjähriges Wirken von der Gnade des Herzogs eine Stellung geboten wurde, die seinen Wünschen ganz entsprach. Erst als er im Dezember nach Weimar zurückgekehrt war, konnte er in aller Ruhe seiner Mutter antworten. Es fällt auf, daß in dieser Antwort des jüngsten Melder nicht gedacht ist, der im Herbste als Medi¬ ziner nach Jena gekommen war. Auch sonst findet sich bisher keine Spur, daß dieser während der zwei Jahre, die er in Jena weilte, sich mit Goethe berührt habe. Wir enthalten uns bei dem Mangel aller Anhaltepunkte umsomehr jedes Erklärungsversuches, als wir ja auch keine Spuren von einer Verbindung des Studenten Textor rin Goethe fanden. Dieser kam, war er auch im Jahre 1793 längere Zeit von Weimar fern, mehrfach nach Jena, und daß Mekher dort studirte, konnte ihm nicht unbekannt geblieben sein. Auf der Reise zur Be¬ lagerung von Mainz und nach der Übergabe der Stadt verweilte er einige Zeit in seiner Vaterstadt. In Heidelberg traf er mit Schlosser zusammen, der eben seine und Corneliens älteste Tochter verloren hatte. Noch persönlicher griff ihn am 3. Dezember der rasche Tod seiner eignen, am 22. November ge¬ borenen Tochter an. In Frankfurt war dem Dr. Textor am 21. September eine Tochter, Maria Margaretha Eleonore, geboren worden, welche die beiden ersten Vornamen von der Großmutter erhielt. Zur höchsten Freude der Frau Rat verlobte sich Anfang 1794 Corneliens Tochter Luise mit einem Freunde von Stolberg und Jacobi, dem siebenund- zwanzigjährigen Königsberger Georg Heinrich Ludwig Nievlovius, der einer Anstellung entgegensah; er hatte Goethes Nichte bei Jacobi kennen gelernt. Schlosser legte seine vor mehreren Jahren angetretene Stelle als Direktor des Hofgerichts nieder und zog vorläufig nach Ansbach. In Frankfurt heiratete der junge Advokat starck die sechzehnjährige Ottilie Fritsch, dagegen starb dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/426>, abgerufen am 01.09.2024.