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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

Goethes Mutter, nach und nach 5000 Fi. leihen mußte. 1787 heiratete ihre
zweite Tochter (die erste blieb ledig) den Handelsmann Christian Paul Kutter, der
aber kein eignes Geschäft besaß. Am 1. November 1788 verkaufte Frau Mekher
ihre beiden Häuser für 31 000 Fi. im 24-Guldenfuße an das Wollwaareugeschäft
Moscherosch K Hahn. Der Frau Rat zahlte sie 300 Gulden; diese erließ ihr
die Hälfte ihrer Schuld und bestimmte, daß die noch rückständigen 2200 erst
nach dem Tode der Frau Mekher fällig sein sollten. Ein Jahr vorher war
der Erbteilung wegen die großväterliche Besitzung auf der Friedbergergafse
verkauft und zu einem Waaren- und Marktplatze eingerichtet worden.

Bald nach seiner Rückkunft aus Italien, am 13. Juli 1788, schloß Goethe
in halber Verzweiflung seine natürliche Ehe mit einer derben Thüringerin, der
mittellosen vierundzwanzigjährigen Johanna Christiane Sophie Vulpius, die
ihm Weihnachten 1789 einen Sohn, Julius August Walther. schenkte; nur den
mittlern Namen erhielt er von seinem Paten, dem Herzog Karl August. Kurz
vorher, am 3. November, war des Oheims zweiter Sohn, Johann Kaspar, als
Leutnant bei der Stadtgarnison gestorben; er und sein jüngerer Bruder hatten
sich dem Stande ihres Oheims Schuler gewidmet. Dagegen ergriff der jüngste
Mekher das Apothekergewerbe, vielleicht schon mit der Absicht, sich später der
Arzneikunde zu widmen; er ging auf drei Jahre in die Hofapotheke zu Darm¬
stadt, die einst Mercks Vater besessen hatte. Des Schöffen ältester Sohn voll¬
endete in Jena seine juristischen Studien. Goethe kam nach seiner Rückkunft
aus Italien mehrfach nach Jena; von einer Berührung mit seinem Vetter wissen
Wir nichts, was sich kaum daraus erklärt, daß er im Jahre 1790 mehrere
Monate von Weimar abwesend war. Als Johann Wolfgang Textor am
14. September mit seiner Abhandlung: of iurata Lpsoilloatione looo inventarii
exKMtA in Jena promovirte, befand sich Goethe noch auf der schlesischen Reise,
von welcher er erst am 6. Oktober wieder in Jena eintraf. Acht Tage später
kam Christiane leider mit einem toten Kinde nieder. In Frankfurt wurde
Vr. Textor am 29. Oktober unter die Advokaten aufgenommen. 1791 starb
das jüngste Kind des Schöffen.

Den 22. April 1792 heiratete die jüngste, zwanzigjährige Mekher den im
fünfunddreißigsten Jahre stehenden Arzt or. Johann Georg Neuburg. Dieser
sehr ausgezeichnete Mann war der Sohn eines armen Juden, der dazu seinen
Vater früh verloren hatte; schon 1782 hatte er in Göttingen aufs glänzendste
Promovirt, aber in Frankfurt wurde er erst im Jahre 1791, nachdem er sich
zum Christentume bekannt, unter die Ärzte aufgenommen. Der Advokat
Dr. Johann Wolfgang Textor vermählte sich mit der im achtzehnten Jahre
stehenden Tochter des Handelsmannes Wörner, Wilhelmine Justine. Beide
Paare konnte Goethe freundlich begrüßen, als er im August desselben Jahres
uach Frankfurt kam, jubelnd von der Mutter begrüßt, welche, wie innig sie auch
bedauerte, daß ihr "Hätschelhans" statt einer Fran nur ein "Liebchen" habe


Grenzboten II. 1888. ^
Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

Goethes Mutter, nach und nach 5000 Fi. leihen mußte. 1787 heiratete ihre
zweite Tochter (die erste blieb ledig) den Handelsmann Christian Paul Kutter, der
aber kein eignes Geschäft besaß. Am 1. November 1788 verkaufte Frau Mekher
ihre beiden Häuser für 31 000 Fi. im 24-Guldenfuße an das Wollwaareugeschäft
Moscherosch K Hahn. Der Frau Rat zahlte sie 300 Gulden; diese erließ ihr
die Hälfte ihrer Schuld und bestimmte, daß die noch rückständigen 2200 erst
nach dem Tode der Frau Mekher fällig sein sollten. Ein Jahr vorher war
der Erbteilung wegen die großväterliche Besitzung auf der Friedbergergafse
verkauft und zu einem Waaren- und Marktplatze eingerichtet worden.

Bald nach seiner Rückkunft aus Italien, am 13. Juli 1788, schloß Goethe
in halber Verzweiflung seine natürliche Ehe mit einer derben Thüringerin, der
mittellosen vierundzwanzigjährigen Johanna Christiane Sophie Vulpius, die
ihm Weihnachten 1789 einen Sohn, Julius August Walther. schenkte; nur den
mittlern Namen erhielt er von seinem Paten, dem Herzog Karl August. Kurz
vorher, am 3. November, war des Oheims zweiter Sohn, Johann Kaspar, als
Leutnant bei der Stadtgarnison gestorben; er und sein jüngerer Bruder hatten
sich dem Stande ihres Oheims Schuler gewidmet. Dagegen ergriff der jüngste
Mekher das Apothekergewerbe, vielleicht schon mit der Absicht, sich später der
Arzneikunde zu widmen; er ging auf drei Jahre in die Hofapotheke zu Darm¬
stadt, die einst Mercks Vater besessen hatte. Des Schöffen ältester Sohn voll¬
endete in Jena seine juristischen Studien. Goethe kam nach seiner Rückkunft
aus Italien mehrfach nach Jena; von einer Berührung mit seinem Vetter wissen
Wir nichts, was sich kaum daraus erklärt, daß er im Jahre 1790 mehrere
Monate von Weimar abwesend war. Als Johann Wolfgang Textor am
14. September mit seiner Abhandlung: of iurata Lpsoilloatione looo inventarii
exKMtA in Jena promovirte, befand sich Goethe noch auf der schlesischen Reise,
von welcher er erst am 6. Oktober wieder in Jena eintraf. Acht Tage später
kam Christiane leider mit einem toten Kinde nieder. In Frankfurt wurde
Vr. Textor am 29. Oktober unter die Advokaten aufgenommen. 1791 starb
das jüngste Kind des Schöffen.

Den 22. April 1792 heiratete die jüngste, zwanzigjährige Mekher den im
fünfunddreißigsten Jahre stehenden Arzt or. Johann Georg Neuburg. Dieser
sehr ausgezeichnete Mann war der Sohn eines armen Juden, der dazu seinen
Vater früh verloren hatte; schon 1782 hatte er in Göttingen aufs glänzendste
Promovirt, aber in Frankfurt wurde er erst im Jahre 1791, nachdem er sich
zum Christentume bekannt, unter die Ärzte aufgenommen. Der Advokat
Dr. Johann Wolfgang Textor vermählte sich mit der im achtzehnten Jahre
stehenden Tochter des Handelsmannes Wörner, Wilhelmine Justine. Beide
Paare konnte Goethe freundlich begrüßen, als er im August desselben Jahres
uach Frankfurt kam, jubelnd von der Mutter begrüßt, welche, wie innig sie auch
bedauerte, daß ihr „Hätschelhans" statt einer Fran nur ein „Liebchen" habe


Grenzboten II. 1888. ^
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[0425] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. Goethes Mutter, nach und nach 5000 Fi. leihen mußte. 1787 heiratete ihre zweite Tochter (die erste blieb ledig) den Handelsmann Christian Paul Kutter, der aber kein eignes Geschäft besaß. Am 1. November 1788 verkaufte Frau Mekher ihre beiden Häuser für 31 000 Fi. im 24-Guldenfuße an das Wollwaareugeschäft Moscherosch K Hahn. Der Frau Rat zahlte sie 300 Gulden; diese erließ ihr die Hälfte ihrer Schuld und bestimmte, daß die noch rückständigen 2200 erst nach dem Tode der Frau Mekher fällig sein sollten. Ein Jahr vorher war der Erbteilung wegen die großväterliche Besitzung auf der Friedbergergafse verkauft und zu einem Waaren- und Marktplatze eingerichtet worden. Bald nach seiner Rückkunft aus Italien, am 13. Juli 1788, schloß Goethe in halber Verzweiflung seine natürliche Ehe mit einer derben Thüringerin, der mittellosen vierundzwanzigjährigen Johanna Christiane Sophie Vulpius, die ihm Weihnachten 1789 einen Sohn, Julius August Walther. schenkte; nur den mittlern Namen erhielt er von seinem Paten, dem Herzog Karl August. Kurz vorher, am 3. November, war des Oheims zweiter Sohn, Johann Kaspar, als Leutnant bei der Stadtgarnison gestorben; er und sein jüngerer Bruder hatten sich dem Stande ihres Oheims Schuler gewidmet. Dagegen ergriff der jüngste Mekher das Apothekergewerbe, vielleicht schon mit der Absicht, sich später der Arzneikunde zu widmen; er ging auf drei Jahre in die Hofapotheke zu Darm¬ stadt, die einst Mercks Vater besessen hatte. Des Schöffen ältester Sohn voll¬ endete in Jena seine juristischen Studien. Goethe kam nach seiner Rückkunft aus Italien mehrfach nach Jena; von einer Berührung mit seinem Vetter wissen Wir nichts, was sich kaum daraus erklärt, daß er im Jahre 1790 mehrere Monate von Weimar abwesend war. Als Johann Wolfgang Textor am 14. September mit seiner Abhandlung: of iurata Lpsoilloatione looo inventarii exKMtA in Jena promovirte, befand sich Goethe noch auf der schlesischen Reise, von welcher er erst am 6. Oktober wieder in Jena eintraf. Acht Tage später kam Christiane leider mit einem toten Kinde nieder. In Frankfurt wurde Vr. Textor am 29. Oktober unter die Advokaten aufgenommen. 1791 starb das jüngste Kind des Schöffen. Den 22. April 1792 heiratete die jüngste, zwanzigjährige Mekher den im fünfunddreißigsten Jahre stehenden Arzt or. Johann Georg Neuburg. Dieser sehr ausgezeichnete Mann war der Sohn eines armen Juden, der dazu seinen Vater früh verloren hatte; schon 1782 hatte er in Göttingen aufs glänzendste Promovirt, aber in Frankfurt wurde er erst im Jahre 1791, nachdem er sich zum Christentume bekannt, unter die Ärzte aufgenommen. Der Advokat Dr. Johann Wolfgang Textor vermählte sich mit der im achtzehnten Jahre stehenden Tochter des Handelsmannes Wörner, Wilhelmine Justine. Beide Paare konnte Goethe freundlich begrüßen, als er im August desselben Jahres uach Frankfurt kam, jubelnd von der Mutter begrüßt, welche, wie innig sie auch bedauerte, daß ihr „Hätschelhans" statt einer Fran nur ein „Liebchen" habe Grenzboten II. 1888. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/425>, abgerufen am 06.02.2025.