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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Tolstoi und Ihering.

der Verwicklung anzubieten. Preußen würde wahrscheinlich, ohne von Frank¬
reich unmittelbar herangezogen zu werden, zurückgewichen sein, und Frankreich
hätte bei diesem Feldzuge alle Ehre und allen Gewinn davon getragen. Wenn
Preußen gegen alle Erwartung trotz der Ratschläge Europas dabei beharrt
hätte, nicht zu sorgen, daß der Prinz von Hohenzollern seine Kandidatur zu¬
rückzöge, so würde der Krieg unter den für Frankreich günstigsten moralischen
Bedingungen begonnen haben. Die französische Negierung hat sich dem von
mir skizzirten Plane von Anfang an nicht angeschlossen. Ihre ersten Kund¬
gebungen schon tragen nicht den Charakter einer diplomatischen Aktion, sie sind
weit mehr eine veritable Kriegserklärung, an Preußen in Ausdrücken gerichtet,
welche in ganz Europa Aufregung hervorrufen und es leicht an einen vor¬
bedachten Plan glauben machen, den Krieg um jeden Preis herbeizuführen.
Gern hoffen wir noch, daß die Angelegenheit eine Bahn einschlagen kann, welche
dem diplomatischen Gesichtspunkte mehr entspricht, und daß Frankreich dabei
nicht weniger glänzende Erfolge erreichen wird" u. s. w.

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, aber lange Zeit noch war Beust bereit,
als formell neutraler Vermittler für das Interesse Frankreichs zu wirken, nur
war er vergeblich auf der Lauer nach Gelegenheit dazu. "Mit vollem Rechte
-- schreibt Beust S. 358 -- konnte der Historiker Henri Martin bei dein
1882 mir zu Ehren von der internationalen litterarischen Gesellschaft veran¬
stalteten Abschiedsbankette sagen: "Nachdem ich alle Schriftstücke geprüft habe,
die sich auf diese Epoche beziehen, bleibe ich dabei, zu behaupten, daß, wenn
wir 1870 den Ratschlägen des Grafen Beust gefolgt wären, alle unsre Un¬
glücksfülle uns erspart geblieben sein würden."" Das Lob ist verdient. Beust
war ein treuer Freund, ein stets besorgter Wohlthäter Frankreichs, der sich
immer, wo es notthat, beeilte, ihm mit Ratschlägen aus dem Füllhorne seiner
Klugheit beizuspringen und ihm den rechten Weg zu seinem Heile zu weisen, der
aber leider nur ebenso oft den Schmerz erleben mußte, zu sehen, daß man ihm
nicht glaubte und nicht folgte.




Tolstoi und I Hering.
von Eduard "nlle.

co Tolstoi, ein Denker von seltner sittlicher Tiefe, erhebt angesichts
der von Kämpfen aller Art erfüllten Gesellschaft seine warnende
Stimme und ruft: Widerstrebet nicht dem Übel! Diese Lehre
ist nicht neu, sie ist enthalten in der Bergpredigt; ja schon im
"Gorgias" des Platon giebt Sokrates ans die Frage des Polos:
Du wolltest also lieber Unrecht leiden' als Unrecht thun? zur Antwort: Ich


Gnnzboten II. 1833. 51
Tolstoi und Ihering.

der Verwicklung anzubieten. Preußen würde wahrscheinlich, ohne von Frank¬
reich unmittelbar herangezogen zu werden, zurückgewichen sein, und Frankreich
hätte bei diesem Feldzuge alle Ehre und allen Gewinn davon getragen. Wenn
Preußen gegen alle Erwartung trotz der Ratschläge Europas dabei beharrt
hätte, nicht zu sorgen, daß der Prinz von Hohenzollern seine Kandidatur zu¬
rückzöge, so würde der Krieg unter den für Frankreich günstigsten moralischen
Bedingungen begonnen haben. Die französische Negierung hat sich dem von
mir skizzirten Plane von Anfang an nicht angeschlossen. Ihre ersten Kund¬
gebungen schon tragen nicht den Charakter einer diplomatischen Aktion, sie sind
weit mehr eine veritable Kriegserklärung, an Preußen in Ausdrücken gerichtet,
welche in ganz Europa Aufregung hervorrufen und es leicht an einen vor¬
bedachten Plan glauben machen, den Krieg um jeden Preis herbeizuführen.
Gern hoffen wir noch, daß die Angelegenheit eine Bahn einschlagen kann, welche
dem diplomatischen Gesichtspunkte mehr entspricht, und daß Frankreich dabei
nicht weniger glänzende Erfolge erreichen wird" u. s. w.

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, aber lange Zeit noch war Beust bereit,
als formell neutraler Vermittler für das Interesse Frankreichs zu wirken, nur
war er vergeblich auf der Lauer nach Gelegenheit dazu. „Mit vollem Rechte
— schreibt Beust S. 358 — konnte der Historiker Henri Martin bei dein
1882 mir zu Ehren von der internationalen litterarischen Gesellschaft veran¬
stalteten Abschiedsbankette sagen: »Nachdem ich alle Schriftstücke geprüft habe,
die sich auf diese Epoche beziehen, bleibe ich dabei, zu behaupten, daß, wenn
wir 1870 den Ratschlägen des Grafen Beust gefolgt wären, alle unsre Un¬
glücksfülle uns erspart geblieben sein würden.«" Das Lob ist verdient. Beust
war ein treuer Freund, ein stets besorgter Wohlthäter Frankreichs, der sich
immer, wo es notthat, beeilte, ihm mit Ratschlägen aus dem Füllhorne seiner
Klugheit beizuspringen und ihm den rechten Weg zu seinem Heile zu weisen, der
aber leider nur ebenso oft den Schmerz erleben mußte, zu sehen, daß man ihm
nicht glaubte und nicht folgte.




Tolstoi und I Hering.
von Eduard «nlle.

co Tolstoi, ein Denker von seltner sittlicher Tiefe, erhebt angesichts
der von Kämpfen aller Art erfüllten Gesellschaft seine warnende
Stimme und ruft: Widerstrebet nicht dem Übel! Diese Lehre
ist nicht neu, sie ist enthalten in der Bergpredigt; ja schon im
„Gorgias" des Platon giebt Sokrates ans die Frage des Polos:
Du wolltest also lieber Unrecht leiden' als Unrecht thun? zur Antwort: Ich


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[0409] Tolstoi und Ihering. der Verwicklung anzubieten. Preußen würde wahrscheinlich, ohne von Frank¬ reich unmittelbar herangezogen zu werden, zurückgewichen sein, und Frankreich hätte bei diesem Feldzuge alle Ehre und allen Gewinn davon getragen. Wenn Preußen gegen alle Erwartung trotz der Ratschläge Europas dabei beharrt hätte, nicht zu sorgen, daß der Prinz von Hohenzollern seine Kandidatur zu¬ rückzöge, so würde der Krieg unter den für Frankreich günstigsten moralischen Bedingungen begonnen haben. Die französische Negierung hat sich dem von mir skizzirten Plane von Anfang an nicht angeschlossen. Ihre ersten Kund¬ gebungen schon tragen nicht den Charakter einer diplomatischen Aktion, sie sind weit mehr eine veritable Kriegserklärung, an Preußen in Ausdrücken gerichtet, welche in ganz Europa Aufregung hervorrufen und es leicht an einen vor¬ bedachten Plan glauben machen, den Krieg um jeden Preis herbeizuführen. Gern hoffen wir noch, daß die Angelegenheit eine Bahn einschlagen kann, welche dem diplomatischen Gesichtspunkte mehr entspricht, und daß Frankreich dabei nicht weniger glänzende Erfolge erreichen wird" u. s. w. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, aber lange Zeit noch war Beust bereit, als formell neutraler Vermittler für das Interesse Frankreichs zu wirken, nur war er vergeblich auf der Lauer nach Gelegenheit dazu. „Mit vollem Rechte — schreibt Beust S. 358 — konnte der Historiker Henri Martin bei dein 1882 mir zu Ehren von der internationalen litterarischen Gesellschaft veran¬ stalteten Abschiedsbankette sagen: »Nachdem ich alle Schriftstücke geprüft habe, die sich auf diese Epoche beziehen, bleibe ich dabei, zu behaupten, daß, wenn wir 1870 den Ratschlägen des Grafen Beust gefolgt wären, alle unsre Un¬ glücksfülle uns erspart geblieben sein würden.«" Das Lob ist verdient. Beust war ein treuer Freund, ein stets besorgter Wohlthäter Frankreichs, der sich immer, wo es notthat, beeilte, ihm mit Ratschlägen aus dem Füllhorne seiner Klugheit beizuspringen und ihm den rechten Weg zu seinem Heile zu weisen, der aber leider nur ebenso oft den Schmerz erleben mußte, zu sehen, daß man ihm nicht glaubte und nicht folgte. Tolstoi und I Hering. von Eduard «nlle. co Tolstoi, ein Denker von seltner sittlicher Tiefe, erhebt angesichts der von Kämpfen aller Art erfüllten Gesellschaft seine warnende Stimme und ruft: Widerstrebet nicht dem Übel! Diese Lehre ist nicht neu, sie ist enthalten in der Bergpredigt; ja schon im „Gorgias" des Platon giebt Sokrates ans die Frage des Polos: Du wolltest also lieber Unrecht leiden' als Unrecht thun? zur Antwort: Ich Gnnzboten II. 1833. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/409>, abgerufen am 27.07.2024.