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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Österreich und der deutsch-französische Krieg.

ohne meine Zweifel über die Chancen des Gelingens zu verschweigen. In¬
struktionen erhielt ich weder mündlich noch schriftlich, alles wurde meinem
Ermessen überlassen, doch bekam ich ein allerhöchstes kaiserliches Handschreiben
zu meiner Legitimation. , . Am nächsten Wende reiste ich nach Paris ab, wo
ich nach der zweiten Nacht ankam und Napoleon mich einige Stunden später
empfing. Vorher hatte ich Metternich und Seebach, den sächsischen Gesandten,
gesprochen und durch sie erfahren, daß das "zu spät" bereits irr oxtinrg. tormg,
vollzogen sei. Prinz Reuß. . . war in geheimer Mission nach Paris gesendet
worden und verließ es in dem Augenblicke, wo ich dort eintraf. Hätte man
mich am Tage nach Kvniggrütz abgeschickt, so wäre vielleicht mehr zu erlangen
gewesen. Meine ohnedies schwachen Hoffnungen wurden aber noch mehr herab¬
gestimmt, als ich des Kaisers ansichtig wurde und seine Rede vernahm. Es
war ein neues österreichisches Mißgeschick, daß er zu jener Zeit gerade im
höchsten Grade an der vielgenannten Prostata litt, was sich nicht allein in
seiner äußern Erscheinung, sondern mich in seiner intellektuellen Verfassung
kundgab. . . Wie ein Kind lallte er fortwährend ^wir übersetzen sein Französisch j:
"Ich bin nicht vorbereitet für den Krieg." Es war vergeblich, daß ich die
folgenden Worte an ihn richtete: "Ich verlange nicht, Sire, daß Sie Krieg
führen, ich bin trotz allem ein zu guter Deutscher, um das auch nur zu
wünschen, aber es handelt sich nicht darum. Sie haben hunderttausend Mann
in Chalons, dirigiren Sie die an die Grenze, lassen Sie ein Geschwader nach
der Nordsee abgehen, das ist alles, was nötig ist. Die Operationslinie der
preußischen Armee ist bereits zu ausgedehnt, als daß sie dann nicht genötigt
wäre, Halt zu machen; in Wien, in München, in Stuttgart faßt man dann
wieder Mut, und Deutschland nimmt Sie mit Erkenntlichkeit als Vermittler an.
Wenn Sie das uicht thun, so werden Sie selbst vielleicht in fünf oder sechs
Jahren mit Preußen Krieg haben, und dann, sage ich Ihnen voraus, wird
ganz Deutschland mit ihm marschiren." Ich sprach Drouyn de l'Huys; obschon
mehr österreichisch als preußisch gesinnt, zeigte er sich schwach, riet zu baldigem
Friedensschlüsse und setzte sich, als ich die obigen Worte auch an ihn richtete,
aufs hohe Pferd: "Wenn man uns angreift, uns! so werden wir uns gut zu
verteidigen wissen." Indes gelang mir doch zweierlei: für Österreich, daß der
Kaiser die moralische Verpflichtung anerkennen mußte, infolge der acceptirten
Abtretung von Venetien bei den Friedensverhandlungen für Österreich einzu¬
treten, wozu der mir persönlich befreundete und dem Kaiser Napoleon nahe¬
stehende damalige Präsident des gesetzgebenden Körpers, Graf Walewsli, in
der loyalsten und entschiedensten Weise zur Hand ging, und für Sachsen, daß
Frankreich dessen Integrität verlangte. Ich darf sagen, daß ich damals Sachsen
vor der gänzlichen Vernichtung gerettet habe; denn so warm man auch öster-
reichischerseits dafür eintrat, wer wie ich am Tage der Nikolsburgcr Verhand¬
lung die beiden Leiter des Ministeriums des Äußern auf dem Ballplatze gesehen


Österreich und der deutsch-französische Krieg.

ohne meine Zweifel über die Chancen des Gelingens zu verschweigen. In¬
struktionen erhielt ich weder mündlich noch schriftlich, alles wurde meinem
Ermessen überlassen, doch bekam ich ein allerhöchstes kaiserliches Handschreiben
zu meiner Legitimation. , . Am nächsten Wende reiste ich nach Paris ab, wo
ich nach der zweiten Nacht ankam und Napoleon mich einige Stunden später
empfing. Vorher hatte ich Metternich und Seebach, den sächsischen Gesandten,
gesprochen und durch sie erfahren, daß das »zu spät« bereits irr oxtinrg. tormg,
vollzogen sei. Prinz Reuß. . . war in geheimer Mission nach Paris gesendet
worden und verließ es in dem Augenblicke, wo ich dort eintraf. Hätte man
mich am Tage nach Kvniggrütz abgeschickt, so wäre vielleicht mehr zu erlangen
gewesen. Meine ohnedies schwachen Hoffnungen wurden aber noch mehr herab¬
gestimmt, als ich des Kaisers ansichtig wurde und seine Rede vernahm. Es
war ein neues österreichisches Mißgeschick, daß er zu jener Zeit gerade im
höchsten Grade an der vielgenannten Prostata litt, was sich nicht allein in
seiner äußern Erscheinung, sondern mich in seiner intellektuellen Verfassung
kundgab. . . Wie ein Kind lallte er fortwährend ^wir übersetzen sein Französisch j:
»Ich bin nicht vorbereitet für den Krieg.« Es war vergeblich, daß ich die
folgenden Worte an ihn richtete: »Ich verlange nicht, Sire, daß Sie Krieg
führen, ich bin trotz allem ein zu guter Deutscher, um das auch nur zu
wünschen, aber es handelt sich nicht darum. Sie haben hunderttausend Mann
in Chalons, dirigiren Sie die an die Grenze, lassen Sie ein Geschwader nach
der Nordsee abgehen, das ist alles, was nötig ist. Die Operationslinie der
preußischen Armee ist bereits zu ausgedehnt, als daß sie dann nicht genötigt
wäre, Halt zu machen; in Wien, in München, in Stuttgart faßt man dann
wieder Mut, und Deutschland nimmt Sie mit Erkenntlichkeit als Vermittler an.
Wenn Sie das uicht thun, so werden Sie selbst vielleicht in fünf oder sechs
Jahren mit Preußen Krieg haben, und dann, sage ich Ihnen voraus, wird
ganz Deutschland mit ihm marschiren.« Ich sprach Drouyn de l'Huys; obschon
mehr österreichisch als preußisch gesinnt, zeigte er sich schwach, riet zu baldigem
Friedensschlüsse und setzte sich, als ich die obigen Worte auch an ihn richtete,
aufs hohe Pferd: »Wenn man uns angreift, uns! so werden wir uns gut zu
verteidigen wissen.« Indes gelang mir doch zweierlei: für Österreich, daß der
Kaiser die moralische Verpflichtung anerkennen mußte, infolge der acceptirten
Abtretung von Venetien bei den Friedensverhandlungen für Österreich einzu¬
treten, wozu der mir persönlich befreundete und dem Kaiser Napoleon nahe¬
stehende damalige Präsident des gesetzgebenden Körpers, Graf Walewsli, in
der loyalsten und entschiedensten Weise zur Hand ging, und für Sachsen, daß
Frankreich dessen Integrität verlangte. Ich darf sagen, daß ich damals Sachsen
vor der gänzlichen Vernichtung gerettet habe; denn so warm man auch öster-
reichischerseits dafür eintrat, wer wie ich am Tage der Nikolsburgcr Verhand¬
lung die beiden Leiter des Ministeriums des Äußern auf dem Ballplatze gesehen


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[0406] Österreich und der deutsch-französische Krieg. ohne meine Zweifel über die Chancen des Gelingens zu verschweigen. In¬ struktionen erhielt ich weder mündlich noch schriftlich, alles wurde meinem Ermessen überlassen, doch bekam ich ein allerhöchstes kaiserliches Handschreiben zu meiner Legitimation. , . Am nächsten Wende reiste ich nach Paris ab, wo ich nach der zweiten Nacht ankam und Napoleon mich einige Stunden später empfing. Vorher hatte ich Metternich und Seebach, den sächsischen Gesandten, gesprochen und durch sie erfahren, daß das »zu spät« bereits irr oxtinrg. tormg, vollzogen sei. Prinz Reuß. . . war in geheimer Mission nach Paris gesendet worden und verließ es in dem Augenblicke, wo ich dort eintraf. Hätte man mich am Tage nach Kvniggrütz abgeschickt, so wäre vielleicht mehr zu erlangen gewesen. Meine ohnedies schwachen Hoffnungen wurden aber noch mehr herab¬ gestimmt, als ich des Kaisers ansichtig wurde und seine Rede vernahm. Es war ein neues österreichisches Mißgeschick, daß er zu jener Zeit gerade im höchsten Grade an der vielgenannten Prostata litt, was sich nicht allein in seiner äußern Erscheinung, sondern mich in seiner intellektuellen Verfassung kundgab. . . Wie ein Kind lallte er fortwährend ^wir übersetzen sein Französisch j: »Ich bin nicht vorbereitet für den Krieg.« Es war vergeblich, daß ich die folgenden Worte an ihn richtete: »Ich verlange nicht, Sire, daß Sie Krieg führen, ich bin trotz allem ein zu guter Deutscher, um das auch nur zu wünschen, aber es handelt sich nicht darum. Sie haben hunderttausend Mann in Chalons, dirigiren Sie die an die Grenze, lassen Sie ein Geschwader nach der Nordsee abgehen, das ist alles, was nötig ist. Die Operationslinie der preußischen Armee ist bereits zu ausgedehnt, als daß sie dann nicht genötigt wäre, Halt zu machen; in Wien, in München, in Stuttgart faßt man dann wieder Mut, und Deutschland nimmt Sie mit Erkenntlichkeit als Vermittler an. Wenn Sie das uicht thun, so werden Sie selbst vielleicht in fünf oder sechs Jahren mit Preußen Krieg haben, und dann, sage ich Ihnen voraus, wird ganz Deutschland mit ihm marschiren.« Ich sprach Drouyn de l'Huys; obschon mehr österreichisch als preußisch gesinnt, zeigte er sich schwach, riet zu baldigem Friedensschlüsse und setzte sich, als ich die obigen Worte auch an ihn richtete, aufs hohe Pferd: »Wenn man uns angreift, uns! so werden wir uns gut zu verteidigen wissen.« Indes gelang mir doch zweierlei: für Österreich, daß der Kaiser die moralische Verpflichtung anerkennen mußte, infolge der acceptirten Abtretung von Venetien bei den Friedensverhandlungen für Österreich einzu¬ treten, wozu der mir persönlich befreundete und dem Kaiser Napoleon nahe¬ stehende damalige Präsident des gesetzgebenden Körpers, Graf Walewsli, in der loyalsten und entschiedensten Weise zur Hand ging, und für Sachsen, daß Frankreich dessen Integrität verlangte. Ich darf sagen, daß ich damals Sachsen vor der gänzlichen Vernichtung gerettet habe; denn so warm man auch öster- reichischerseits dafür eintrat, wer wie ich am Tage der Nikolsburgcr Verhand¬ lung die beiden Leiter des Ministeriums des Äußern auf dem Ballplatze gesehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/406>, abgerufen am 28.07.2024.