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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Als das Trauerjahr um war, machte die Witwe eine Reise nach Italien
und lebte mehrere Jahre im Süden, hauptsächlich in Rom. Es war nichts an
dem Gerücht, daß sie im französischen Klub Opium geraucht habe und daß sie
sich wie Paulina Borghese habe modelliren lassen; auch hatte der kleine russische
Fürst, der sich während ihres Aufenthalts in Neapel erschoß, sich keineswegs
um ihretwillen erschossen. Es beruhte dagegen auf Wahrheit, daß die deutschen
Künstler unermüdlich waren, ihr Serenaden zu bringen, und auch das beruhte
auf Wahrheit, daß sie sich eines Morgens in Albaneser Bauerntracht auf eine
Kirchentreppe in der Via Sistina gesetzt und sich von einem eben angekommenen
Künstler hatte bestimmen lassen, ihm Modell zu stehen mit einem Krug auf dem
Kopfe und einem kleinen braunen Knaben an der Hand. Jedenfalls hing ein
solches Bild in ihrem Zimmer.

Auf der Heimreise von Italien traf sie mit einem Landsmanne zusammen,
einem bekannten, tüchtigen Kritiker, der gern Dichter gewesen wäre. Eine skeptische,
verneinende Natur nannte man ihn, einen scharfen Kopf, der seine Mitmenschen
hart und unbarmherzig angriff, weil er gegen sich selber hart und unbarmherzig
war und seine Brutalität dadurch gerechtfertigt glaubte. Aber er war nicht
ganz das, wozu ihn die Leute machten, er war nicht so aus einem Gusse, nicht
so rücksichtslos konsequent, wie es den Anschein hatte; denn obwohl er stets auf
Kriegsfuß mit der idealen Richtung der Zeit lebte und ihr geringschätzige
Namen gab, so hatte er doch für das Träumerische, Ätherische, für die blaue
Blume der Romantik eine tiefere Sympathie als für die mehr erdgeborne Richtung,
für die er kämpfte.

Widerstrebend verliebte er sich in Frau Boye, aber er sagte ihr das nicht,
denn es war keine junge und offene, keine hoffnungsvolle Neigung. Er liebte sie
wie ein Wesen von einer andern, feinern, glücklichern Rasse als seine eigne, und des¬
wegen lag ein Groll in seiner Liebe, eine instinktmäßige Verbitterung gegen das, was
Rasse in ihr war. Mit feindlichen, eifersüchtigen Augen betrachtete er ihre Nei¬
gungen und Ansichten, ihre Geschmacksrichtung und ihre Lebensanschauungen, und
mit allen Waffen, mit feiner Beredsamkeit, mit herzloser Logik, mit überlegenem,
in Mitleid gehüllten Spott erkämpfte er sie, gewann er sie für sich und für seine
Ansichten. Aber als er endlich den Sieg davongetragen hatte, und sie geworden
war wie er, da sah er ein, daß er viel zu viel gewonnen, daß er sie gerade mit
ihren Illusionen und Vorurteilen, mit ihren Träumen und Irrtümern geliebt
hatte, nicht aber als die, welche sie jetzt war. Unzufrieden mit sich selber, mit
ihr und mit allen in der Heimat reiste er von dannen und blieb fort.

Aus diesem Verhältnis konnten die Leute natürlich vieles machen, und
das thaten sie auch redlich. Die Etatsrätin sprach mit Ricks darüber, wie
die alte Tugend über jugendliche Irrtümer spricht, aber Ricks nahm das in
einer Weise auf, welche die Etatsrätin sowohl beleidigte als auch erschreckte; er
antwortete ihr und sprach in hochtrabenden Worten von der Tyrannei der Ge-


Ricks Lyhne.

Als das Trauerjahr um war, machte die Witwe eine Reise nach Italien
und lebte mehrere Jahre im Süden, hauptsächlich in Rom. Es war nichts an
dem Gerücht, daß sie im französischen Klub Opium geraucht habe und daß sie
sich wie Paulina Borghese habe modelliren lassen; auch hatte der kleine russische
Fürst, der sich während ihres Aufenthalts in Neapel erschoß, sich keineswegs
um ihretwillen erschossen. Es beruhte dagegen auf Wahrheit, daß die deutschen
Künstler unermüdlich waren, ihr Serenaden zu bringen, und auch das beruhte
auf Wahrheit, daß sie sich eines Morgens in Albaneser Bauerntracht auf eine
Kirchentreppe in der Via Sistina gesetzt und sich von einem eben angekommenen
Künstler hatte bestimmen lassen, ihm Modell zu stehen mit einem Krug auf dem
Kopfe und einem kleinen braunen Knaben an der Hand. Jedenfalls hing ein
solches Bild in ihrem Zimmer.

Auf der Heimreise von Italien traf sie mit einem Landsmanne zusammen,
einem bekannten, tüchtigen Kritiker, der gern Dichter gewesen wäre. Eine skeptische,
verneinende Natur nannte man ihn, einen scharfen Kopf, der seine Mitmenschen
hart und unbarmherzig angriff, weil er gegen sich selber hart und unbarmherzig
war und seine Brutalität dadurch gerechtfertigt glaubte. Aber er war nicht
ganz das, wozu ihn die Leute machten, er war nicht so aus einem Gusse, nicht
so rücksichtslos konsequent, wie es den Anschein hatte; denn obwohl er stets auf
Kriegsfuß mit der idealen Richtung der Zeit lebte und ihr geringschätzige
Namen gab, so hatte er doch für das Träumerische, Ätherische, für die blaue
Blume der Romantik eine tiefere Sympathie als für die mehr erdgeborne Richtung,
für die er kämpfte.

Widerstrebend verliebte er sich in Frau Boye, aber er sagte ihr das nicht,
denn es war keine junge und offene, keine hoffnungsvolle Neigung. Er liebte sie
wie ein Wesen von einer andern, feinern, glücklichern Rasse als seine eigne, und des¬
wegen lag ein Groll in seiner Liebe, eine instinktmäßige Verbitterung gegen das, was
Rasse in ihr war. Mit feindlichen, eifersüchtigen Augen betrachtete er ihre Nei¬
gungen und Ansichten, ihre Geschmacksrichtung und ihre Lebensanschauungen, und
mit allen Waffen, mit feiner Beredsamkeit, mit herzloser Logik, mit überlegenem,
in Mitleid gehüllten Spott erkämpfte er sie, gewann er sie für sich und für seine
Ansichten. Aber als er endlich den Sieg davongetragen hatte, und sie geworden
war wie er, da sah er ein, daß er viel zu viel gewonnen, daß er sie gerade mit
ihren Illusionen und Vorurteilen, mit ihren Träumen und Irrtümern geliebt
hatte, nicht aber als die, welche sie jetzt war. Unzufrieden mit sich selber, mit
ihr und mit allen in der Heimat reiste er von dannen und blieb fort.

Aus diesem Verhältnis konnten die Leute natürlich vieles machen, und
das thaten sie auch redlich. Die Etatsrätin sprach mit Ricks darüber, wie
die alte Tugend über jugendliche Irrtümer spricht, aber Ricks nahm das in
einer Weise auf, welche die Etatsrätin sowohl beleidigte als auch erschreckte; er
antwortete ihr und sprach in hochtrabenden Worten von der Tyrannei der Ge-


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[0387] Ricks Lyhne. Als das Trauerjahr um war, machte die Witwe eine Reise nach Italien und lebte mehrere Jahre im Süden, hauptsächlich in Rom. Es war nichts an dem Gerücht, daß sie im französischen Klub Opium geraucht habe und daß sie sich wie Paulina Borghese habe modelliren lassen; auch hatte der kleine russische Fürst, der sich während ihres Aufenthalts in Neapel erschoß, sich keineswegs um ihretwillen erschossen. Es beruhte dagegen auf Wahrheit, daß die deutschen Künstler unermüdlich waren, ihr Serenaden zu bringen, und auch das beruhte auf Wahrheit, daß sie sich eines Morgens in Albaneser Bauerntracht auf eine Kirchentreppe in der Via Sistina gesetzt und sich von einem eben angekommenen Künstler hatte bestimmen lassen, ihm Modell zu stehen mit einem Krug auf dem Kopfe und einem kleinen braunen Knaben an der Hand. Jedenfalls hing ein solches Bild in ihrem Zimmer. Auf der Heimreise von Italien traf sie mit einem Landsmanne zusammen, einem bekannten, tüchtigen Kritiker, der gern Dichter gewesen wäre. Eine skeptische, verneinende Natur nannte man ihn, einen scharfen Kopf, der seine Mitmenschen hart und unbarmherzig angriff, weil er gegen sich selber hart und unbarmherzig war und seine Brutalität dadurch gerechtfertigt glaubte. Aber er war nicht ganz das, wozu ihn die Leute machten, er war nicht so aus einem Gusse, nicht so rücksichtslos konsequent, wie es den Anschein hatte; denn obwohl er stets auf Kriegsfuß mit der idealen Richtung der Zeit lebte und ihr geringschätzige Namen gab, so hatte er doch für das Träumerische, Ätherische, für die blaue Blume der Romantik eine tiefere Sympathie als für die mehr erdgeborne Richtung, für die er kämpfte. Widerstrebend verliebte er sich in Frau Boye, aber er sagte ihr das nicht, denn es war keine junge und offene, keine hoffnungsvolle Neigung. Er liebte sie wie ein Wesen von einer andern, feinern, glücklichern Rasse als seine eigne, und des¬ wegen lag ein Groll in seiner Liebe, eine instinktmäßige Verbitterung gegen das, was Rasse in ihr war. Mit feindlichen, eifersüchtigen Augen betrachtete er ihre Nei¬ gungen und Ansichten, ihre Geschmacksrichtung und ihre Lebensanschauungen, und mit allen Waffen, mit feiner Beredsamkeit, mit herzloser Logik, mit überlegenem, in Mitleid gehüllten Spott erkämpfte er sie, gewann er sie für sich und für seine Ansichten. Aber als er endlich den Sieg davongetragen hatte, und sie geworden war wie er, da sah er ein, daß er viel zu viel gewonnen, daß er sie gerade mit ihren Illusionen und Vorurteilen, mit ihren Träumen und Irrtümern geliebt hatte, nicht aber als die, welche sie jetzt war. Unzufrieden mit sich selber, mit ihr und mit allen in der Heimat reiste er von dannen und blieb fort. Aus diesem Verhältnis konnten die Leute natürlich vieles machen, und das thaten sie auch redlich. Die Etatsrätin sprach mit Ricks darüber, wie die alte Tugend über jugendliche Irrtümer spricht, aber Ricks nahm das in einer Weise auf, welche die Etatsrätin sowohl beleidigte als auch erschreckte; er antwortete ihr und sprach in hochtrabenden Worten von der Tyrannei der Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/387>, abgerufen am 01.09.2024.