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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

zosen durch Geld bestechen lassen, so folgte Senckenberg darin einer Verdächtigung,
die sich erst infolge der fast unerträglichen Bedrückung Frankfurts durch die
als übermütige Herren auftretenden Franzosen verbreitet hatte; aber niemand
hatte wohl Textor für alles Böse in Frankfurt verantwortlich gemacht, wie
Senckenberg, der sich schon, seiner eignen Äußerung nach, der Rache freute, die
Gott deshalb an diesem nehmen werde. Krieg! selbst muß zugeben, daß an eine
Geldbestechung kaum zu denken sei, aber damit fiele ja das Verbrecherische der
That weg, wenn die Stadtverwaltung, da sie zum Widerstande sich unfähig
fühlte, das notwendige Übel auf sich genommen hatte. Ein sittlicher Mann
wird eine so schwere Anklage nicht verbreiten, ohne den vollen thatsächlichen
Beweis zu besitzen. Hätte Senckenberg etwas bestimmtes davon gewußt, er
würde es mit Gift und Galle ausgespieen haben. Die dafür angeführten Ge¬
rüchte sind an sich wunderlich und widersprechen sich selbst. Schon im Oktober
1758 soll man in Mainz und sonst von der Verabredung mit den Franzosen
gewußt haben, während die Überrumpelung erst im Januar 1759 und zwar
unter einem neuen Bürgermeister erfolgte, nicht demjenigen, der beim Abschlüsse
beteiligt gewesen sein sollte. Thatsächlich ist nur, daß Senckenbergs eigner toller
Bruder (Senckenberg berichtet es selbst) die Franzosen aufgefordert hat, die
Stadt zu besetzen, ja er soll auch auf die Art und Weise aufmerksam gemacht
haben, wie dies am leichtesten geschehe. Von den Franzosen wäre es thöricht
gewesen, wenn sie durch Verhandlungen, deren Erfolg doch immer zweifelhaft
blieb, dasjenige anzubahnen gesucht hätten, was sie durch eine Überrumpelung
mit leichter Hand erreichen konnten. Wenn der Rat später aus Senckenbergs
Aufzeichnungen die verleumderischen Äußerungen gegen ihn herausnehmen ließ,
so beweist dies keineswegs, daß er sie für wahr gehalten, er beseitigte sie eben
als unwürdig; im andern Falle hätte er sie vernichtet. Ja ein Verrat ist ge¬
spielt worden, ein nicht durchgegangener durch Erasmus Senckenberg, ein ge¬
lungener durch den Mißbrauch des Durchzugsrechtes von feiten der Franzosen,
wobei freilich einzugestehen ist, daß die kaiserlichen Minister zu Wien, wie der
Reichshofrat von Senckenberg wußte, die Besetzung Frankfurts wünschten. Wenn
Senckenberg hier einer seit 1760 viel verbreiteten, aus der Luft gegriffenen
Verdächtigung, die seinem Hasse schmeichelte, gewissenlos folgte, so steht es in
andern Fällen noch viel schlimmer, wo er einer losen von Hinz oder Kunz ihm
zugetragenen Verleumdung glaubte, ja in seiner leidenschaftlichen Weise sie noch
verschärfte. Da glaubt man nicht den frommen Arzt, sondern den von Schmäh¬
sucht geschwollenen Bruder zu hören.

Der ärztliche Wassertrinker giebt Textor als Freund des Weines an und
schreibt seinem Trinken das Frösteln zu, woran er stets, auch im Sommer, ge¬
litten habe. Die letztere Thatsache möchten wir ebenso bezweifeln, wie die
Physiologische Erklärung. Doch diese Liebe zum Weine wollte wenig sagen,
sähe man nicht die Absicht, Textor etwas anzuhaben. Viel Schlimmeres be-


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

zosen durch Geld bestechen lassen, so folgte Senckenberg darin einer Verdächtigung,
die sich erst infolge der fast unerträglichen Bedrückung Frankfurts durch die
als übermütige Herren auftretenden Franzosen verbreitet hatte; aber niemand
hatte wohl Textor für alles Böse in Frankfurt verantwortlich gemacht, wie
Senckenberg, der sich schon, seiner eignen Äußerung nach, der Rache freute, die
Gott deshalb an diesem nehmen werde. Krieg! selbst muß zugeben, daß an eine
Geldbestechung kaum zu denken sei, aber damit fiele ja das Verbrecherische der
That weg, wenn die Stadtverwaltung, da sie zum Widerstande sich unfähig
fühlte, das notwendige Übel auf sich genommen hatte. Ein sittlicher Mann
wird eine so schwere Anklage nicht verbreiten, ohne den vollen thatsächlichen
Beweis zu besitzen. Hätte Senckenberg etwas bestimmtes davon gewußt, er
würde es mit Gift und Galle ausgespieen haben. Die dafür angeführten Ge¬
rüchte sind an sich wunderlich und widersprechen sich selbst. Schon im Oktober
1758 soll man in Mainz und sonst von der Verabredung mit den Franzosen
gewußt haben, während die Überrumpelung erst im Januar 1759 und zwar
unter einem neuen Bürgermeister erfolgte, nicht demjenigen, der beim Abschlüsse
beteiligt gewesen sein sollte. Thatsächlich ist nur, daß Senckenbergs eigner toller
Bruder (Senckenberg berichtet es selbst) die Franzosen aufgefordert hat, die
Stadt zu besetzen, ja er soll auch auf die Art und Weise aufmerksam gemacht
haben, wie dies am leichtesten geschehe. Von den Franzosen wäre es thöricht
gewesen, wenn sie durch Verhandlungen, deren Erfolg doch immer zweifelhaft
blieb, dasjenige anzubahnen gesucht hätten, was sie durch eine Überrumpelung
mit leichter Hand erreichen konnten. Wenn der Rat später aus Senckenbergs
Aufzeichnungen die verleumderischen Äußerungen gegen ihn herausnehmen ließ,
so beweist dies keineswegs, daß er sie für wahr gehalten, er beseitigte sie eben
als unwürdig; im andern Falle hätte er sie vernichtet. Ja ein Verrat ist ge¬
spielt worden, ein nicht durchgegangener durch Erasmus Senckenberg, ein ge¬
lungener durch den Mißbrauch des Durchzugsrechtes von feiten der Franzosen,
wobei freilich einzugestehen ist, daß die kaiserlichen Minister zu Wien, wie der
Reichshofrat von Senckenberg wußte, die Besetzung Frankfurts wünschten. Wenn
Senckenberg hier einer seit 1760 viel verbreiteten, aus der Luft gegriffenen
Verdächtigung, die seinem Hasse schmeichelte, gewissenlos folgte, so steht es in
andern Fällen noch viel schlimmer, wo er einer losen von Hinz oder Kunz ihm
zugetragenen Verleumdung glaubte, ja in seiner leidenschaftlichen Weise sie noch
verschärfte. Da glaubt man nicht den frommen Arzt, sondern den von Schmäh¬
sucht geschwollenen Bruder zu hören.

Der ärztliche Wassertrinker giebt Textor als Freund des Weines an und
schreibt seinem Trinken das Frösteln zu, woran er stets, auch im Sommer, ge¬
litten habe. Die letztere Thatsache möchten wir ebenso bezweifeln, wie die
Physiologische Erklärung. Doch diese Liebe zum Weine wollte wenig sagen,
sähe man nicht die Absicht, Textor etwas anzuhaben. Viel Schlimmeres be-


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[0383] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. zosen durch Geld bestechen lassen, so folgte Senckenberg darin einer Verdächtigung, die sich erst infolge der fast unerträglichen Bedrückung Frankfurts durch die als übermütige Herren auftretenden Franzosen verbreitet hatte; aber niemand hatte wohl Textor für alles Böse in Frankfurt verantwortlich gemacht, wie Senckenberg, der sich schon, seiner eignen Äußerung nach, der Rache freute, die Gott deshalb an diesem nehmen werde. Krieg! selbst muß zugeben, daß an eine Geldbestechung kaum zu denken sei, aber damit fiele ja das Verbrecherische der That weg, wenn die Stadtverwaltung, da sie zum Widerstande sich unfähig fühlte, das notwendige Übel auf sich genommen hatte. Ein sittlicher Mann wird eine so schwere Anklage nicht verbreiten, ohne den vollen thatsächlichen Beweis zu besitzen. Hätte Senckenberg etwas bestimmtes davon gewußt, er würde es mit Gift und Galle ausgespieen haben. Die dafür angeführten Ge¬ rüchte sind an sich wunderlich und widersprechen sich selbst. Schon im Oktober 1758 soll man in Mainz und sonst von der Verabredung mit den Franzosen gewußt haben, während die Überrumpelung erst im Januar 1759 und zwar unter einem neuen Bürgermeister erfolgte, nicht demjenigen, der beim Abschlüsse beteiligt gewesen sein sollte. Thatsächlich ist nur, daß Senckenbergs eigner toller Bruder (Senckenberg berichtet es selbst) die Franzosen aufgefordert hat, die Stadt zu besetzen, ja er soll auch auf die Art und Weise aufmerksam gemacht haben, wie dies am leichtesten geschehe. Von den Franzosen wäre es thöricht gewesen, wenn sie durch Verhandlungen, deren Erfolg doch immer zweifelhaft blieb, dasjenige anzubahnen gesucht hätten, was sie durch eine Überrumpelung mit leichter Hand erreichen konnten. Wenn der Rat später aus Senckenbergs Aufzeichnungen die verleumderischen Äußerungen gegen ihn herausnehmen ließ, so beweist dies keineswegs, daß er sie für wahr gehalten, er beseitigte sie eben als unwürdig; im andern Falle hätte er sie vernichtet. Ja ein Verrat ist ge¬ spielt worden, ein nicht durchgegangener durch Erasmus Senckenberg, ein ge¬ lungener durch den Mißbrauch des Durchzugsrechtes von feiten der Franzosen, wobei freilich einzugestehen ist, daß die kaiserlichen Minister zu Wien, wie der Reichshofrat von Senckenberg wußte, die Besetzung Frankfurts wünschten. Wenn Senckenberg hier einer seit 1760 viel verbreiteten, aus der Luft gegriffenen Verdächtigung, die seinem Hasse schmeichelte, gewissenlos folgte, so steht es in andern Fällen noch viel schlimmer, wo er einer losen von Hinz oder Kunz ihm zugetragenen Verleumdung glaubte, ja in seiner leidenschaftlichen Weise sie noch verschärfte. Da glaubt man nicht den frommen Arzt, sondern den von Schmäh¬ sucht geschwollenen Bruder zu hören. Der ärztliche Wassertrinker giebt Textor als Freund des Weines an und schreibt seinem Trinken das Frösteln zu, woran er stets, auch im Sommer, ge¬ litten habe. Die letztere Thatsache möchten wir ebenso bezweifeln, wie die Physiologische Erklärung. Doch diese Liebe zum Weine wollte wenig sagen, sähe man nicht die Absicht, Textor etwas anzuhaben. Viel Schlimmeres be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/383>, abgerufen am 01.09.2024.