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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Hamerlings homunculus.

Einen langen Weg hat Homunculus zurückgelegt, bis er zu dieser späten
Neue gekommen ist. Als er aus der Retorte des Meisters hervorsprang, war
er schon ein altgebornes Wesen: kritisch gegen seinen eignen Erzeuger, blasirt,
nervös, pessimistisch; er dankte ihm nicht dafür, daß er ihn erzeugt hatte. Der
Meister war mit seinem Geschöpfe auch nicht zufrieden: das Natürliche war
verschrumpft, "Geist und Intellekt dagegen üppig sind ins Kraut geschossen."
Darum praktizirt ihn der Doktor wieder in die Retorte zurück:


Reduzirt ihn aus das erste
Urprinzip vitalen Daseins,
Wie er glücklich es erfunden,
Auf den embryonalen Zustand,
Auf ein rationell gemischtes,
Zartes Protoplasma-Klümpchen.
Und nachdem ihm dies gelungen
Mit unsäglichem Bemühen
Sacht den Embryo vorpflanzt' er
Auf geheimnisvolle Weise
In den Mutterschoß der Gattin
Eines armen Dorfschulmeisters.

Munkel hieß der Dorfschulmeister, und als dessen Sohn tritt Homunculus
in die Welt. Seine ersten Neigungen sind litterarisch. Als es mit der Lyrik nicht
geht, legt er sich aufs Romanschreiber, erfindet auch eine neue Poesie, wie das
jüngste Deutschland:

Und er machte die Entdeckung,
Daß die Menschen an sozialen
Übeln kranken, daß die Armen
Sich in bittrer Not verzehren,
Daß im Glück, im ungestörten,
Schufte leben, daß der Hunger
Junge Mädchen aus dem Volke
Auf die Bahn oft drangt des Lasters,
Daß dem welken, reichen Lüstling
Jnngframiblüte wird verkuppelt,
Daß der Bund der Ehe drückend
Ist für die, die sich nicht lieben,
Daß moralische Versumpfung
Aus der Armut sich entwickelt
Und nicht minder aus dem Reichtum --
Andres viel von dieser Art noch.

Er macht auch die andern litterarischen Moden mit, allein ohne Erfolg. Als
Begleiter eines Don Juan kommt er in einen Badespielort, hat Glück im Spiele,
wird plötzlich reich: er zieht das Gold mit geheimnisvoller Gewalt an sich, weil
anstatt des Eisens der Meister irrtümlich Golderz bei der Mischung seines
Keimes zugesetzt hat. Dem Krösus Munkel öffnen sich natürlich die Thüren
der Gesellschaft. Er führt das Leben eines Kavaliers, hält sich eine Mätresse,
auf einer Reise nach Ungarn wird er aber ausgeraubt, und das Mädchen bleibt
demi Golde und dessen neuen Besitzer. Bettelarm treibt sich nun Munkel auf
dem bewegten Meere des Lebens herum.

So im Lauf der nächsten Jährchen
War er viel nicht stets, doch vieles:
Volksmann, Wühler, Freischarführcr,
Polizeispion, Major dann
In dem Gardekorps des Papstes,
Börsenjobber, Spielbankhalter,

Hamerlings homunculus.

Einen langen Weg hat Homunculus zurückgelegt, bis er zu dieser späten
Neue gekommen ist. Als er aus der Retorte des Meisters hervorsprang, war
er schon ein altgebornes Wesen: kritisch gegen seinen eignen Erzeuger, blasirt,
nervös, pessimistisch; er dankte ihm nicht dafür, daß er ihn erzeugt hatte. Der
Meister war mit seinem Geschöpfe auch nicht zufrieden: das Natürliche war
verschrumpft, „Geist und Intellekt dagegen üppig sind ins Kraut geschossen."
Darum praktizirt ihn der Doktor wieder in die Retorte zurück:


Reduzirt ihn aus das erste
Urprinzip vitalen Daseins,
Wie er glücklich es erfunden,
Auf den embryonalen Zustand,
Auf ein rationell gemischtes,
Zartes Protoplasma-Klümpchen.
Und nachdem ihm dies gelungen
Mit unsäglichem Bemühen
Sacht den Embryo vorpflanzt' er
Auf geheimnisvolle Weise
In den Mutterschoß der Gattin
Eines armen Dorfschulmeisters.

Munkel hieß der Dorfschulmeister, und als dessen Sohn tritt Homunculus
in die Welt. Seine ersten Neigungen sind litterarisch. Als es mit der Lyrik nicht
geht, legt er sich aufs Romanschreiber, erfindet auch eine neue Poesie, wie das
jüngste Deutschland:

Und er machte die Entdeckung,
Daß die Menschen an sozialen
Übeln kranken, daß die Armen
Sich in bittrer Not verzehren,
Daß im Glück, im ungestörten,
Schufte leben, daß der Hunger
Junge Mädchen aus dem Volke
Auf die Bahn oft drangt des Lasters,
Daß dem welken, reichen Lüstling
Jnngframiblüte wird verkuppelt,
Daß der Bund der Ehe drückend
Ist für die, die sich nicht lieben,
Daß moralische Versumpfung
Aus der Armut sich entwickelt
Und nicht minder aus dem Reichtum —
Andres viel von dieser Art noch.

Er macht auch die andern litterarischen Moden mit, allein ohne Erfolg. Als
Begleiter eines Don Juan kommt er in einen Badespielort, hat Glück im Spiele,
wird plötzlich reich: er zieht das Gold mit geheimnisvoller Gewalt an sich, weil
anstatt des Eisens der Meister irrtümlich Golderz bei der Mischung seines
Keimes zugesetzt hat. Dem Krösus Munkel öffnen sich natürlich die Thüren
der Gesellschaft. Er führt das Leben eines Kavaliers, hält sich eine Mätresse,
auf einer Reise nach Ungarn wird er aber ausgeraubt, und das Mädchen bleibt
demi Golde und dessen neuen Besitzer. Bettelarm treibt sich nun Munkel auf
dem bewegten Meere des Lebens herum.

So im Lauf der nächsten Jährchen
War er viel nicht stets, doch vieles:
Volksmann, Wühler, Freischarführcr,
Polizeispion, Major dann
In dem Gardekorps des Papstes,
Börsenjobber, Spielbankhalter,

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[0038] Hamerlings homunculus. Einen langen Weg hat Homunculus zurückgelegt, bis er zu dieser späten Neue gekommen ist. Als er aus der Retorte des Meisters hervorsprang, war er schon ein altgebornes Wesen: kritisch gegen seinen eignen Erzeuger, blasirt, nervös, pessimistisch; er dankte ihm nicht dafür, daß er ihn erzeugt hatte. Der Meister war mit seinem Geschöpfe auch nicht zufrieden: das Natürliche war verschrumpft, „Geist und Intellekt dagegen üppig sind ins Kraut geschossen." Darum praktizirt ihn der Doktor wieder in die Retorte zurück: Reduzirt ihn aus das erste Urprinzip vitalen Daseins, Wie er glücklich es erfunden, Auf den embryonalen Zustand, Auf ein rationell gemischtes, Zartes Protoplasma-Klümpchen. Und nachdem ihm dies gelungen Mit unsäglichem Bemühen Sacht den Embryo vorpflanzt' er Auf geheimnisvolle Weise In den Mutterschoß der Gattin Eines armen Dorfschulmeisters. Munkel hieß der Dorfschulmeister, und als dessen Sohn tritt Homunculus in die Welt. Seine ersten Neigungen sind litterarisch. Als es mit der Lyrik nicht geht, legt er sich aufs Romanschreiber, erfindet auch eine neue Poesie, wie das jüngste Deutschland: Und er machte die Entdeckung, Daß die Menschen an sozialen Übeln kranken, daß die Armen Sich in bittrer Not verzehren, Daß im Glück, im ungestörten, Schufte leben, daß der Hunger Junge Mädchen aus dem Volke Auf die Bahn oft drangt des Lasters, Daß dem welken, reichen Lüstling Jnngframiblüte wird verkuppelt, Daß der Bund der Ehe drückend Ist für die, die sich nicht lieben, Daß moralische Versumpfung Aus der Armut sich entwickelt Und nicht minder aus dem Reichtum — Andres viel von dieser Art noch. Er macht auch die andern litterarischen Moden mit, allein ohne Erfolg. Als Begleiter eines Don Juan kommt er in einen Badespielort, hat Glück im Spiele, wird plötzlich reich: er zieht das Gold mit geheimnisvoller Gewalt an sich, weil anstatt des Eisens der Meister irrtümlich Golderz bei der Mischung seines Keimes zugesetzt hat. Dem Krösus Munkel öffnen sich natürlich die Thüren der Gesellschaft. Er führt das Leben eines Kavaliers, hält sich eine Mätresse, auf einer Reise nach Ungarn wird er aber ausgeraubt, und das Mädchen bleibt demi Golde und dessen neuen Besitzer. Bettelarm treibt sich nun Munkel auf dem bewegten Meere des Lebens herum. So im Lauf der nächsten Jährchen War er viel nicht stets, doch vieles: Volksmann, Wühler, Freischarführcr, Polizeispion, Major dann In dem Gardekorps des Papstes, Börsenjobber, Spielbankhalter,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/38>, abgerufen am 01.09.2024.