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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Neuphilologie.

sängen. Bloß der äußerliche Umstand, daß der Unterricht des Englischen und
des Französischen an den deutschen Mittelschulen von derselben Lehrkraft erteilt
zu werden pflegt, und daß daher die Kandidaten dieses Lehramtes schon auf der
Universität das Studium der französischen und der englischen Sprache vereinigen,
hat jene geschmacklose Namengebung im Gegensatz zur "Altphilologie" (Griechisch
und Lateinisch) hervorgerufen. Aber eben gegen diese praktisch und wissenschaft¬
lich unfruchtbare Vereinigung wendet sich Körting mit allem Nachdruck und
stellt die gerechtfertigte Forderung auf, daß die Gymnasiallehramtskandidaten
nicht Französisch und Englisch, sondern entweder Lateinisch und Französisch oder
Deutsch und Englisch als Fachgruppen und zusammengehörige Prüfungsgegen¬
stände betreiben sollen. Dann erst könnten sie auf wahrhaft wissenschaftliche
Bildung Anspruch erheben, dann würden sie nicht mehr, wie es noch sehr
häufig gegenwärtig der Fall ist, als "Sprachmeister" dilettantischer Art den
klassischen Philologen unebenbürtig, von Kollegen und Schülern minder respek-
tirt, als Lehrer bloßer Nebenfächer dastehen. Auf diese scheinbar rein äußer¬
lichen Umstände legt Körting, der im praktischen Schulwesen wohlerfahrene, gewiß
nicht rin Unrecht einiges Gewicht. Er kommt immer wieder darauf zurück.

Eine andre Frage, die ihn lebhaft beschäftigt, ist die, ob der jetzt keines¬
falls mehr zu entbehrende Gymnasialnnterricht in den neuern Sprachen es, wie
so oft gefordert wird, bis zur Sprechfertigkeit der Schüler im Französischen oder
Englischen zu bringen habe oder nicht? Daß der Lehrer derselben persönlich
neben seiner wissenschaftlichen Sprachkenntnis auch praktisch, sowohl mündlich als
schriftlich, seine Sprache beherrschen müsse, steht für Körting außer Zweifel. Er
weiß sehr wohl, wie schwer solche Fertigkeit zu erwerben ist. Er beklagt die
gegenwärtige Stndienordnung, welche den Kandidaten der Neuphilologie dazu
zwingt, seine schriftlichen Prüfungsarbeiten in der französischen oder englischen
Sprache abzufassen. Meist wimmeln diese Arbeiten von Germanismen, die dem
sie zu lesen verpflichteten Professor ein Grciuel sind. Körting macht daher den
Vorschlag, daß jene Verpflichtung aufgehoben werde. Die Lehramtsprüfung
für Neuphilologen soll in eine wissenschaftliche und in eine praktische zerfallen.
Die letztere soll etwa ein Jahr nach der erstem erfolgen und sich ausschließlich
um die praktische Herrschaft des Kandidaten über die fremde Sprache kümmern.
Und der Kandidat, so lautet Körtings Forderung, soll die fremde Sprache in
ihrer eignen Heimat kennen lernen. Denn anders als durch den täglichen Um¬
gang mit Franzosen oder Engländern lernt man überhaupt ihre Sprachen nicht.
Der Erwerb der Sprechfertigkeit in einer fremden Sprache ist eine Arbeit für
sich allein. Der Begründer der Romanistik hat in keiner einzigen der vielen von
ihm wissenschaftlich durchforschten Sprachen auch nnr eine kurze Unterhaltung
führen können.

Während aber Körting die Berechtigung, Sprechfertigkeit bei den Gym¬
nasiallehrern der neuern Sprachen zu fordern, anerkennt, will er sie doch nicht


Neuphilologie.

sängen. Bloß der äußerliche Umstand, daß der Unterricht des Englischen und
des Französischen an den deutschen Mittelschulen von derselben Lehrkraft erteilt
zu werden pflegt, und daß daher die Kandidaten dieses Lehramtes schon auf der
Universität das Studium der französischen und der englischen Sprache vereinigen,
hat jene geschmacklose Namengebung im Gegensatz zur „Altphilologie" (Griechisch
und Lateinisch) hervorgerufen. Aber eben gegen diese praktisch und wissenschaft¬
lich unfruchtbare Vereinigung wendet sich Körting mit allem Nachdruck und
stellt die gerechtfertigte Forderung auf, daß die Gymnasiallehramtskandidaten
nicht Französisch und Englisch, sondern entweder Lateinisch und Französisch oder
Deutsch und Englisch als Fachgruppen und zusammengehörige Prüfungsgegen¬
stände betreiben sollen. Dann erst könnten sie auf wahrhaft wissenschaftliche
Bildung Anspruch erheben, dann würden sie nicht mehr, wie es noch sehr
häufig gegenwärtig der Fall ist, als „Sprachmeister" dilettantischer Art den
klassischen Philologen unebenbürtig, von Kollegen und Schülern minder respek-
tirt, als Lehrer bloßer Nebenfächer dastehen. Auf diese scheinbar rein äußer¬
lichen Umstände legt Körting, der im praktischen Schulwesen wohlerfahrene, gewiß
nicht rin Unrecht einiges Gewicht. Er kommt immer wieder darauf zurück.

Eine andre Frage, die ihn lebhaft beschäftigt, ist die, ob der jetzt keines¬
falls mehr zu entbehrende Gymnasialnnterricht in den neuern Sprachen es, wie
so oft gefordert wird, bis zur Sprechfertigkeit der Schüler im Französischen oder
Englischen zu bringen habe oder nicht? Daß der Lehrer derselben persönlich
neben seiner wissenschaftlichen Sprachkenntnis auch praktisch, sowohl mündlich als
schriftlich, seine Sprache beherrschen müsse, steht für Körting außer Zweifel. Er
weiß sehr wohl, wie schwer solche Fertigkeit zu erwerben ist. Er beklagt die
gegenwärtige Stndienordnung, welche den Kandidaten der Neuphilologie dazu
zwingt, seine schriftlichen Prüfungsarbeiten in der französischen oder englischen
Sprache abzufassen. Meist wimmeln diese Arbeiten von Germanismen, die dem
sie zu lesen verpflichteten Professor ein Grciuel sind. Körting macht daher den
Vorschlag, daß jene Verpflichtung aufgehoben werde. Die Lehramtsprüfung
für Neuphilologen soll in eine wissenschaftliche und in eine praktische zerfallen.
Die letztere soll etwa ein Jahr nach der erstem erfolgen und sich ausschließlich
um die praktische Herrschaft des Kandidaten über die fremde Sprache kümmern.
Und der Kandidat, so lautet Körtings Forderung, soll die fremde Sprache in
ihrer eignen Heimat kennen lernen. Denn anders als durch den täglichen Um¬
gang mit Franzosen oder Engländern lernt man überhaupt ihre Sprachen nicht.
Der Erwerb der Sprechfertigkeit in einer fremden Sprache ist eine Arbeit für
sich allein. Der Begründer der Romanistik hat in keiner einzigen der vielen von
ihm wissenschaftlich durchforschten Sprachen auch nnr eine kurze Unterhaltung
führen können.

Während aber Körting die Berechtigung, Sprechfertigkeit bei den Gym¬
nasiallehrern der neuern Sprachen zu fordern, anerkennt, will er sie doch nicht


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[0371] Neuphilologie. sängen. Bloß der äußerliche Umstand, daß der Unterricht des Englischen und des Französischen an den deutschen Mittelschulen von derselben Lehrkraft erteilt zu werden pflegt, und daß daher die Kandidaten dieses Lehramtes schon auf der Universität das Studium der französischen und der englischen Sprache vereinigen, hat jene geschmacklose Namengebung im Gegensatz zur „Altphilologie" (Griechisch und Lateinisch) hervorgerufen. Aber eben gegen diese praktisch und wissenschaft¬ lich unfruchtbare Vereinigung wendet sich Körting mit allem Nachdruck und stellt die gerechtfertigte Forderung auf, daß die Gymnasiallehramtskandidaten nicht Französisch und Englisch, sondern entweder Lateinisch und Französisch oder Deutsch und Englisch als Fachgruppen und zusammengehörige Prüfungsgegen¬ stände betreiben sollen. Dann erst könnten sie auf wahrhaft wissenschaftliche Bildung Anspruch erheben, dann würden sie nicht mehr, wie es noch sehr häufig gegenwärtig der Fall ist, als „Sprachmeister" dilettantischer Art den klassischen Philologen unebenbürtig, von Kollegen und Schülern minder respek- tirt, als Lehrer bloßer Nebenfächer dastehen. Auf diese scheinbar rein äußer¬ lichen Umstände legt Körting, der im praktischen Schulwesen wohlerfahrene, gewiß nicht rin Unrecht einiges Gewicht. Er kommt immer wieder darauf zurück. Eine andre Frage, die ihn lebhaft beschäftigt, ist die, ob der jetzt keines¬ falls mehr zu entbehrende Gymnasialnnterricht in den neuern Sprachen es, wie so oft gefordert wird, bis zur Sprechfertigkeit der Schüler im Französischen oder Englischen zu bringen habe oder nicht? Daß der Lehrer derselben persönlich neben seiner wissenschaftlichen Sprachkenntnis auch praktisch, sowohl mündlich als schriftlich, seine Sprache beherrschen müsse, steht für Körting außer Zweifel. Er weiß sehr wohl, wie schwer solche Fertigkeit zu erwerben ist. Er beklagt die gegenwärtige Stndienordnung, welche den Kandidaten der Neuphilologie dazu zwingt, seine schriftlichen Prüfungsarbeiten in der französischen oder englischen Sprache abzufassen. Meist wimmeln diese Arbeiten von Germanismen, die dem sie zu lesen verpflichteten Professor ein Grciuel sind. Körting macht daher den Vorschlag, daß jene Verpflichtung aufgehoben werde. Die Lehramtsprüfung für Neuphilologen soll in eine wissenschaftliche und in eine praktische zerfallen. Die letztere soll etwa ein Jahr nach der erstem erfolgen und sich ausschließlich um die praktische Herrschaft des Kandidaten über die fremde Sprache kümmern. Und der Kandidat, so lautet Körtings Forderung, soll die fremde Sprache in ihrer eignen Heimat kennen lernen. Denn anders als durch den täglichen Um¬ gang mit Franzosen oder Engländern lernt man überhaupt ihre Sprachen nicht. Der Erwerb der Sprechfertigkeit in einer fremden Sprache ist eine Arbeit für sich allein. Der Begründer der Romanistik hat in keiner einzigen der vielen von ihm wissenschaftlich durchforschten Sprachen auch nnr eine kurze Unterhaltung führen können. Während aber Körting die Berechtigung, Sprechfertigkeit bei den Gym¬ nasiallehrern der neuern Sprachen zu fordern, anerkennt, will er sie doch nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/371>, abgerufen am 01.09.2024.