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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

zu Ungunsten Österreichs die Folge sein, der bedenklich nicht bloß auf Serbien,
sondern auf ganz Europa wirken könnte.

Wohl auch mit russischer Anreizung in Verbindung zu bringen ist ein Vor¬
fall, der sich in allerneuester Zeit zugetragen hat. Wir meinen den Einbruch
von Montenegrinern in serbisches Gebiet, der in der letzten Aprilwoche aus
Belgrad gemeldet wurde. Einige Tage vorher war ein starker Haufe der kriege¬
rischen Unterthanen des Fürsten der schwarzen Berge über den Fluß Lia ge¬
gangen und in serbisches Land eingedrungen, wo er sich in gebirgiger Gegend
mit sparsamer Bevölkerung und ohne Garnisonen festgesetzt hatte. Dieser Bezirk
grenzt an einen Teil des Sandschaks Novi-Vcizcir, welchen die Einbrecher zu
Passiren hatten, ehe sie die Grenze Serbiens erreichten. Bei ihrer Annäherung
flüchteten sich die muhamedanischen Einwohner der türkischen Grenzstadt Novi-
Varosch, da sie aus der Erinnerung wußten, was ihnen von seiten dieser Czerna-
gorzen bevorstand, wenn sie sich ergreifen ließen. Was hat nun diesen Einfall der
Montenegriner in ein Land veranlaßt, dessen Bewohner mit ihnen von gleichem
Stamme sind, dieselbe Sprache reden und sich zu derselben Religion bekennen?
Der Strich, den sie besetzt haben, ist unfruchtbare Waldeinöde, dünn bevölkert
und fast ganz ohne begehrenswerter Besitz an Getreide und Vieh, der für Leute,
welche wie die Montenegriner in der letzten Zeit von einer Hungersnot heim¬
gesucht waren, lockende Beute sein könnte. Dazu kommt, daß die Eindringlinge,
wenn sie weiter, nach ergiebiger und wohlhabender Gegend vorrücken, auf die
Tschillak, einen Stamm von gleicher Wildheit und Tapferkeit wie sie selbst,
stoßen und hartnäckigem Widerstände begegnen mußten. Um bloßen Ruhmes
willen ferner Pflegen die Söhne der schwarzen Berge ihre Haut auch nicht
leicht zu wagen. Endlich führt der Wladika ein strenges Regiment, welches sie
ohne seinen Willen nicht leicht mehr wie früher auf die Jagd nach fremder Leute
Hammeln und Köpfen über die Grenzen der Heimat ausbrechen läßt. Man
darf also annehmen, daß diese Schar mit seiner Erlaubnis, ja auf seinen Be¬
fehl ausgerückt ist, und diese Vermutung wird zur Wahrscheinlichkeit durch die
Berichte, welche meldeten, daß Montenegro sich seit einiger Zeit zum Kriege zu
rüsten scheine. Sie wird noch wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, daß es
zu allen Zeiten in der neuesten Geschichte ein Satellit Rußlands und von
diesem unterstützt war, und daß die Hoheit im Konak von Cetinje seit Jahren
keinen sehnlichern Wunsch gehegt und bekundet hat, als den König Milan auf
dem Throne Serbiens zu ersetzen und durch Vereinigung seines Fürstentumes
mit dem Königreiche und womöglich mit Bosnien und der Herzegowina alle
Serben von der Donau bis zur Adria unter seinem Szepter zu vereinigen. Sehr
verdächtig ist endlich folgendes. Schon seit geraumer Zeit erfuhren die serbi¬
schen Behörden, daß sich im Lande fremde Agenten bedenklicher Art aufhielten,
unterließen es aber, sie zu behelligen, so lange sich ihnen nicht mit Bestimmt¬
heit landesverräterische Absichten nachweisen ließen. Es waren meist bulgarische


Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

zu Ungunsten Österreichs die Folge sein, der bedenklich nicht bloß auf Serbien,
sondern auf ganz Europa wirken könnte.

Wohl auch mit russischer Anreizung in Verbindung zu bringen ist ein Vor¬
fall, der sich in allerneuester Zeit zugetragen hat. Wir meinen den Einbruch
von Montenegrinern in serbisches Gebiet, der in der letzten Aprilwoche aus
Belgrad gemeldet wurde. Einige Tage vorher war ein starker Haufe der kriege¬
rischen Unterthanen des Fürsten der schwarzen Berge über den Fluß Lia ge¬
gangen und in serbisches Land eingedrungen, wo er sich in gebirgiger Gegend
mit sparsamer Bevölkerung und ohne Garnisonen festgesetzt hatte. Dieser Bezirk
grenzt an einen Teil des Sandschaks Novi-Vcizcir, welchen die Einbrecher zu
Passiren hatten, ehe sie die Grenze Serbiens erreichten. Bei ihrer Annäherung
flüchteten sich die muhamedanischen Einwohner der türkischen Grenzstadt Novi-
Varosch, da sie aus der Erinnerung wußten, was ihnen von seiten dieser Czerna-
gorzen bevorstand, wenn sie sich ergreifen ließen. Was hat nun diesen Einfall der
Montenegriner in ein Land veranlaßt, dessen Bewohner mit ihnen von gleichem
Stamme sind, dieselbe Sprache reden und sich zu derselben Religion bekennen?
Der Strich, den sie besetzt haben, ist unfruchtbare Waldeinöde, dünn bevölkert
und fast ganz ohne begehrenswerter Besitz an Getreide und Vieh, der für Leute,
welche wie die Montenegriner in der letzten Zeit von einer Hungersnot heim¬
gesucht waren, lockende Beute sein könnte. Dazu kommt, daß die Eindringlinge,
wenn sie weiter, nach ergiebiger und wohlhabender Gegend vorrücken, auf die
Tschillak, einen Stamm von gleicher Wildheit und Tapferkeit wie sie selbst,
stoßen und hartnäckigem Widerstände begegnen mußten. Um bloßen Ruhmes
willen ferner Pflegen die Söhne der schwarzen Berge ihre Haut auch nicht
leicht zu wagen. Endlich führt der Wladika ein strenges Regiment, welches sie
ohne seinen Willen nicht leicht mehr wie früher auf die Jagd nach fremder Leute
Hammeln und Köpfen über die Grenzen der Heimat ausbrechen läßt. Man
darf also annehmen, daß diese Schar mit seiner Erlaubnis, ja auf seinen Be¬
fehl ausgerückt ist, und diese Vermutung wird zur Wahrscheinlichkeit durch die
Berichte, welche meldeten, daß Montenegro sich seit einiger Zeit zum Kriege zu
rüsten scheine. Sie wird noch wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, daß es
zu allen Zeiten in der neuesten Geschichte ein Satellit Rußlands und von
diesem unterstützt war, und daß die Hoheit im Konak von Cetinje seit Jahren
keinen sehnlichern Wunsch gehegt und bekundet hat, als den König Milan auf
dem Throne Serbiens zu ersetzen und durch Vereinigung seines Fürstentumes
mit dem Königreiche und womöglich mit Bosnien und der Herzegowina alle
Serben von der Donau bis zur Adria unter seinem Szepter zu vereinigen. Sehr
verdächtig ist endlich folgendes. Schon seit geraumer Zeit erfuhren die serbi¬
schen Behörden, daß sich im Lande fremde Agenten bedenklicher Art aufhielten,
unterließen es aber, sie zu behelligen, so lange sich ihnen nicht mit Bestimmt¬
heit landesverräterische Absichten nachweisen ließen. Es waren meist bulgarische


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[0360] Die neueste Politik Rußlands am Balkan. zu Ungunsten Österreichs die Folge sein, der bedenklich nicht bloß auf Serbien, sondern auf ganz Europa wirken könnte. Wohl auch mit russischer Anreizung in Verbindung zu bringen ist ein Vor¬ fall, der sich in allerneuester Zeit zugetragen hat. Wir meinen den Einbruch von Montenegrinern in serbisches Gebiet, der in der letzten Aprilwoche aus Belgrad gemeldet wurde. Einige Tage vorher war ein starker Haufe der kriege¬ rischen Unterthanen des Fürsten der schwarzen Berge über den Fluß Lia ge¬ gangen und in serbisches Land eingedrungen, wo er sich in gebirgiger Gegend mit sparsamer Bevölkerung und ohne Garnisonen festgesetzt hatte. Dieser Bezirk grenzt an einen Teil des Sandschaks Novi-Vcizcir, welchen die Einbrecher zu Passiren hatten, ehe sie die Grenze Serbiens erreichten. Bei ihrer Annäherung flüchteten sich die muhamedanischen Einwohner der türkischen Grenzstadt Novi- Varosch, da sie aus der Erinnerung wußten, was ihnen von seiten dieser Czerna- gorzen bevorstand, wenn sie sich ergreifen ließen. Was hat nun diesen Einfall der Montenegriner in ein Land veranlaßt, dessen Bewohner mit ihnen von gleichem Stamme sind, dieselbe Sprache reden und sich zu derselben Religion bekennen? Der Strich, den sie besetzt haben, ist unfruchtbare Waldeinöde, dünn bevölkert und fast ganz ohne begehrenswerter Besitz an Getreide und Vieh, der für Leute, welche wie die Montenegriner in der letzten Zeit von einer Hungersnot heim¬ gesucht waren, lockende Beute sein könnte. Dazu kommt, daß die Eindringlinge, wenn sie weiter, nach ergiebiger und wohlhabender Gegend vorrücken, auf die Tschillak, einen Stamm von gleicher Wildheit und Tapferkeit wie sie selbst, stoßen und hartnäckigem Widerstände begegnen mußten. Um bloßen Ruhmes willen ferner Pflegen die Söhne der schwarzen Berge ihre Haut auch nicht leicht zu wagen. Endlich führt der Wladika ein strenges Regiment, welches sie ohne seinen Willen nicht leicht mehr wie früher auf die Jagd nach fremder Leute Hammeln und Köpfen über die Grenzen der Heimat ausbrechen läßt. Man darf also annehmen, daß diese Schar mit seiner Erlaubnis, ja auf seinen Be¬ fehl ausgerückt ist, und diese Vermutung wird zur Wahrscheinlichkeit durch die Berichte, welche meldeten, daß Montenegro sich seit einiger Zeit zum Kriege zu rüsten scheine. Sie wird noch wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, daß es zu allen Zeiten in der neuesten Geschichte ein Satellit Rußlands und von diesem unterstützt war, und daß die Hoheit im Konak von Cetinje seit Jahren keinen sehnlichern Wunsch gehegt und bekundet hat, als den König Milan auf dem Throne Serbiens zu ersetzen und durch Vereinigung seines Fürstentumes mit dem Königreiche und womöglich mit Bosnien und der Herzegowina alle Serben von der Donau bis zur Adria unter seinem Szepter zu vereinigen. Sehr verdächtig ist endlich folgendes. Schon seit geraumer Zeit erfuhren die serbi¬ schen Behörden, daß sich im Lande fremde Agenten bedenklicher Art aufhielten, unterließen es aber, sie zu behelligen, so lange sich ihnen nicht mit Bestimmt¬ heit landesverräterische Absichten nachweisen ließen. Es waren meist bulgarische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/360>, abgerufen am 01.09.2024.