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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Lächeln auf den Lippen, dem flüchtigen Abglanz des Einverständnisses, das
zwischen ihnen aufgeblitzt war, während sie doch beide darüber nachgrübelten,
was der andre wohl gemeint haben könnte, und sich ärgerten, daß sie so schwer¬
fällig waren.

Sie begaben sich langsam zu den andern zurück, und Frau Boye nahm
wieder Platz auf dem niedrigen Stuhl.

Erik und Frithjof hatten sich ausgeredet und freuten sich des Zuwachses
in der Unterhaltung. Deswegen näherte sich Frithjof sogleich der jungen Frau
und war sehr liebenswürdig. Erik hielt gleichsam mit der Bescheidenheit des
Wirtes ein wenig zurück.

Wenn ich neugierig wäre, begann Frithjof, würde ich fragen, was für ein
Buch es gewesen ist, das vorhin, als wir kamen, den Streit zwischen der gnä¬
digen Frau und Erik veranlaßte.

Fragen Sie? fragte Frau Boye.

Ich frage.

LrM?

Lrsso, erwiederte Frithjof mit einer demütig einräumenden Verneigung.

Frau Boye hielt das Buch in die Höhe und sagte in feierlich verkündenden
Tone: Helge. -- Öhlenschlägers Helge. -- Und weiter, was für ein Gesang
war es? -- Es war: Die Meerjungfrau besucht König Helge. -- Und weiter,
was für ein Vers war es? -- Es war der Vers, wo sich Tangkjär an Helges
Seite gelagert hat, und er seine Neugier nicht länger bezwingen kann, sondern
sich umwendet.


Und während die Blicke so jünglingswild
Hinüber ihm streifen und gleiten,
Da ruht ihm das lieblichste Frauenbild
An seiner grünenden Seiten.
Kein ärmlicher Rock mehr umwölkt das Licht
Der Schönheit des blühenden Weibes;
Durch den enganliegenden Schleier bricht
Der Glanz des üppigen Leibes.

Und das ist alles, was wir von der Schönheit der Meerjungfrau zu sehen be¬
kommen, und das war es, womit ich unzufrieden war. Ich verlange an der
Stelle eine glühende Schilderung, ich will so etwas blendend Schönes sehen,
daß mir der Atem dabei ausbleibt. Ich will einen Einblick thun in die eigen¬
artige Schönheit so eines Meerjungfrauenleibes -- und nun bitte ich Sie, was
soll ich mit zwei weißen Armen anfangen und herrlichen Gliedern, über die
ein Stück Flor gezogen ist? Großer Gottl Nein, sie muß nackt sein wie
eine Welle, und die wilde Schönheit des Meeres muß ihren Ausdruck in ihr
finden. Über ihrer Haut muß der Phosphorschimmer des sommerlichen Meeres
liegen, und in ihrem Haar etwas von dem dunkeln, wirren Schrecken des
Tangwaldes.


Ricks Lyhne.

Lächeln auf den Lippen, dem flüchtigen Abglanz des Einverständnisses, das
zwischen ihnen aufgeblitzt war, während sie doch beide darüber nachgrübelten,
was der andre wohl gemeint haben könnte, und sich ärgerten, daß sie so schwer¬
fällig waren.

Sie begaben sich langsam zu den andern zurück, und Frau Boye nahm
wieder Platz auf dem niedrigen Stuhl.

Erik und Frithjof hatten sich ausgeredet und freuten sich des Zuwachses
in der Unterhaltung. Deswegen näherte sich Frithjof sogleich der jungen Frau
und war sehr liebenswürdig. Erik hielt gleichsam mit der Bescheidenheit des
Wirtes ein wenig zurück.

Wenn ich neugierig wäre, begann Frithjof, würde ich fragen, was für ein
Buch es gewesen ist, das vorhin, als wir kamen, den Streit zwischen der gnä¬
digen Frau und Erik veranlaßte.

Fragen Sie? fragte Frau Boye.

Ich frage.

LrM?

Lrsso, erwiederte Frithjof mit einer demütig einräumenden Verneigung.

Frau Boye hielt das Buch in die Höhe und sagte in feierlich verkündenden
Tone: Helge. — Öhlenschlägers Helge. — Und weiter, was für ein Gesang
war es? — Es war: Die Meerjungfrau besucht König Helge. — Und weiter,
was für ein Vers war es? — Es war der Vers, wo sich Tangkjär an Helges
Seite gelagert hat, und er seine Neugier nicht länger bezwingen kann, sondern
sich umwendet.


Und während die Blicke so jünglingswild
Hinüber ihm streifen und gleiten,
Da ruht ihm das lieblichste Frauenbild
An seiner grünenden Seiten.
Kein ärmlicher Rock mehr umwölkt das Licht
Der Schönheit des blühenden Weibes;
Durch den enganliegenden Schleier bricht
Der Glanz des üppigen Leibes.

Und das ist alles, was wir von der Schönheit der Meerjungfrau zu sehen be¬
kommen, und das war es, womit ich unzufrieden war. Ich verlange an der
Stelle eine glühende Schilderung, ich will so etwas blendend Schönes sehen,
daß mir der Atem dabei ausbleibt. Ich will einen Einblick thun in die eigen¬
artige Schönheit so eines Meerjungfrauenleibes — und nun bitte ich Sie, was
soll ich mit zwei weißen Armen anfangen und herrlichen Gliedern, über die
ein Stück Flor gezogen ist? Großer Gottl Nein, sie muß nackt sein wie
eine Welle, und die wilde Schönheit des Meeres muß ihren Ausdruck in ihr
finden. Über ihrer Haut muß der Phosphorschimmer des sommerlichen Meeres
liegen, und in ihrem Haar etwas von dem dunkeln, wirren Schrecken des
Tangwaldes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/343>, abgerufen am 01.09.2024.