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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Du altes Shakespearechen, sagte sie schmeichelnd und streichelte die Wange
der travestirten Büste. Du alter, dummer Bursche, der nicht wußte, was er that!
Saß er da und kaute an der Feder und schuf einen Hamletskopf, ohne darüber
nachzudenken, was er eigentlich that! Sie nahm den Hut von dem Kopfe der
Büste und ließ die Hand mütterlich über seine Stirn gleiten, als wollte sie ihm
das Haar aus den Augen streichen.

Du alter, erfolggekrönter Bursche! trotz alledem! Du alte, nicht ungeschickte
Dichterseele! Denn nicht wahr, Herr Lyhne, das muß man ihm doch wohl
eigentlich lassen, er war im Grunde doch ein recht erfolgreicher Litterat,
dieser Shakespeare!

Ja, ich habe nun einmal meine eigne Ansicht über den Mann, antwortete
Ricks ein wenig verletzt und errötend.

Großer Gott, haben Sie auch eine eigne Ansicht über Shakespeare!
Und welche ist denn das, wenn ich fragen darf? Sind Sie für oder gegen uns?
Und damit stellte sie sich neben die Büste und schlang ihren Arm um den Nacken
derselben.

Ich kann nicht sagen, ob meine Ansicht, von der Sie so überrascht sind;
daß ich sie überhaupt besitze, so glücklich ist, dadurch an Bedeutung zu gewinnen,
daß sie mit der Ihren übereinstimmt; aber ich glaube Wohl, daß ich sagen darf,
sie ist für Sie und Ihren Schützling. Jedenfalls ist das meine Ansicht, daß er
wußte, was er that, daß er erwog, was er that, und daß er wagte, was er
that. Oftmals unternahm er das Wagestück voller Zweifel, und man kann noch
heute diese Zweifel deutlich erkennen, oftmals wagte er auch nur halb und ver¬
löschte das, was er nicht stehen zu lassen wagte, durch neue Züge.

Und in dieser Weise redete Ricks weiter.

Während er sprach, wurde Frau Boye allmählich unruhig, sie blickte nervös
bald nach der einen bald nach der andern Seite und spielte ungeduldig mit den
Fingern, während ein bekümmerter und schließlich ein leidender Ausdruck ihr
Antlitz mehr und mehr verdunkelte.

Am Ende konnte sie sich nicht länger bezwingen.

Vergessen Sie nicht, was Sie sagen wollten! bat sie, aber ich flehe Sie an,
Herr Lyhne, lassen Sie das mit der Hand, diese Bewegung, als wenn Sie
Zähne ausziehen wollten. Wie? nun, so thun Sie es! lassen Sie sich lieber nicht
stören, ich bin wieder ganz Ohr, und ich bin ganz einig mit Ihnen!

Ja, dann brauche ich wohl nichts mehr zu sagen!

Aber warum denn nicht?

Nun, ich meine, wenn wir einig sind!

Ja, wenn wir einig sind!

Keines von den Beiden meinte etwas mit diesen letzten Worten, aber
sie sprachen sie mit einer so bedeutungvollen Betonung aus, als lägen die
feinsten Beziehungen darin, und sie sahen einander an mit einem vielsagenden


Ricks Lyhne.

Du altes Shakespearechen, sagte sie schmeichelnd und streichelte die Wange
der travestirten Büste. Du alter, dummer Bursche, der nicht wußte, was er that!
Saß er da und kaute an der Feder und schuf einen Hamletskopf, ohne darüber
nachzudenken, was er eigentlich that! Sie nahm den Hut von dem Kopfe der
Büste und ließ die Hand mütterlich über seine Stirn gleiten, als wollte sie ihm
das Haar aus den Augen streichen.

Du alter, erfolggekrönter Bursche! trotz alledem! Du alte, nicht ungeschickte
Dichterseele! Denn nicht wahr, Herr Lyhne, das muß man ihm doch wohl
eigentlich lassen, er war im Grunde doch ein recht erfolgreicher Litterat,
dieser Shakespeare!

Ja, ich habe nun einmal meine eigne Ansicht über den Mann, antwortete
Ricks ein wenig verletzt und errötend.

Großer Gott, haben Sie auch eine eigne Ansicht über Shakespeare!
Und welche ist denn das, wenn ich fragen darf? Sind Sie für oder gegen uns?
Und damit stellte sie sich neben die Büste und schlang ihren Arm um den Nacken
derselben.

Ich kann nicht sagen, ob meine Ansicht, von der Sie so überrascht sind;
daß ich sie überhaupt besitze, so glücklich ist, dadurch an Bedeutung zu gewinnen,
daß sie mit der Ihren übereinstimmt; aber ich glaube Wohl, daß ich sagen darf,
sie ist für Sie und Ihren Schützling. Jedenfalls ist das meine Ansicht, daß er
wußte, was er that, daß er erwog, was er that, und daß er wagte, was er
that. Oftmals unternahm er das Wagestück voller Zweifel, und man kann noch
heute diese Zweifel deutlich erkennen, oftmals wagte er auch nur halb und ver¬
löschte das, was er nicht stehen zu lassen wagte, durch neue Züge.

Und in dieser Weise redete Ricks weiter.

Während er sprach, wurde Frau Boye allmählich unruhig, sie blickte nervös
bald nach der einen bald nach der andern Seite und spielte ungeduldig mit den
Fingern, während ein bekümmerter und schließlich ein leidender Ausdruck ihr
Antlitz mehr und mehr verdunkelte.

Am Ende konnte sie sich nicht länger bezwingen.

Vergessen Sie nicht, was Sie sagen wollten! bat sie, aber ich flehe Sie an,
Herr Lyhne, lassen Sie das mit der Hand, diese Bewegung, als wenn Sie
Zähne ausziehen wollten. Wie? nun, so thun Sie es! lassen Sie sich lieber nicht
stören, ich bin wieder ganz Ohr, und ich bin ganz einig mit Ihnen!

Ja, dann brauche ich wohl nichts mehr zu sagen!

Aber warum denn nicht?

Nun, ich meine, wenn wir einig sind!

Ja, wenn wir einig sind!

Keines von den Beiden meinte etwas mit diesen letzten Worten, aber
sie sprachen sie mit einer so bedeutungvollen Betonung aus, als lägen die
feinsten Beziehungen darin, und sie sahen einander an mit einem vielsagenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/342>, abgerufen am 01.09.2024.