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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks kyhne.

recht, was sie mit der Weintraube anfangen soll. Wenn ich etwas zu sagen hätte,
müßte sie die Traube zerquetschen, so richtig zerquetschen, daß der rote Saft
ihr über die Brust herab liefe, wie? Nicht wahr? habe ich nicht Recht? Und
in kindlichem Eifer ergriff sie Frithjofs Arm und rüttelte ihn förmlich.

Ja, räumte Frithjof ein, ja das muß ich allerdings sagen, es fehlt das --
Frische, Unmittelbare.

Das Natürliche fehlt, und du großer Gott, warum können wir denn nun
nicht natürlich sein? Ach, ich weiß es ja so gut, es fehlt uns nur an Mut.
Weder die Künstler noch die Dichter haben den Mut, die Menschen zu zeigen,
wie sie sind, nur Shakespeare allein besaß diesen Mut!

Ja, das wissen Sie recht gut, sagte Erik hinter seiner Figur vor, mit
Shakespeare kann ich nicht gut fertig werden, er macht mir zu viel Wesens
davon, er jagt mit einem herum, daß man schließlich nicht mehr weiß, woran
man ist.

Das möchte ich doch nicht sagen, versetzte Frithjof tadelnd; aber, fügte er
mit entschuldigenden Lächeln hinzu, ich kann freilich die Berserkerwut des großen
britischen Dichters keinen wirklich bewußten, verständigen Künstlermut nennen!

Das können Sie nicht? Großer Gott, wie amüsant Sie sind! und sie
lachte, so laut sie nur konnte, indem sie aufstand und in das Atelier ging.
Plötzlich wandte sie sich um, streckte die Arme nach Frithjof aus und rief: Gott
segne Sie! und dabei krümmte sie sich vor Lachen fast bis zur Erde.

Frithjof war nahe daran, sich beleidigt zu fühlen, aber es war so unbe¬
quem, erzürnt fortzugehen, außerdem hatte er ja vollkommen Recht mit dem, was
er gesagt hatte, und dann war Frau Boye ja so wunderhübsch. Er blieb also und
knüpfte ein Gespräch mit Erik an, indem er, sich in Gedanken stets zu ihr hin¬
wendend, bemüht war, einen Ausdruck reifer Nachsicht in seine Stimme zu legen.

Frau Boye stöberte inzwischen in dem andern Ende des Ateliers umher,
sie summte nachdenklich eine Melodie vor sich hin, schlug zwischendurch wohl
einmal einige helle Triller an, die wie fröhliches Gelächter klangen, oder sie ging
langsam zu einem feierlichen Nezttativ über.

Auf einer großen hölzernen Kiste stand ein jugendlicher Augustuskopf; von
diesem wischte sie den Staub ab, suchte sich dann etwas Thon und formte daraus
einen Schnurbart und einen Kinnbart für den Kopf, auch Ringe, die sie ihm
an den Ohren befestigte.

Während sie noch damit beschäftigt war, hatte sich Ricks ihr unter dem
Vorwande, die auf dem Boden stehenden Abgüsse zu betrachten, langsam genähert.
Sie hatte keinen Augenblick nach der Richtung hingesehen, in welcher er sich
befand, aber sie mußte ihn doch in der Nähe wissen, denn ohne sich umzuwenden
streckte sie die Hand nach ihm aus und bat ihn, Eriks Hut zu holen.

Ricks gab ihr den Hut in die noch immer ausgestreckte Hand, sie nahm
ihn und setzte ihn auf den Augustuskopf.


Ricks kyhne.

recht, was sie mit der Weintraube anfangen soll. Wenn ich etwas zu sagen hätte,
müßte sie die Traube zerquetschen, so richtig zerquetschen, daß der rote Saft
ihr über die Brust herab liefe, wie? Nicht wahr? habe ich nicht Recht? Und
in kindlichem Eifer ergriff sie Frithjofs Arm und rüttelte ihn förmlich.

Ja, räumte Frithjof ein, ja das muß ich allerdings sagen, es fehlt das —
Frische, Unmittelbare.

Das Natürliche fehlt, und du großer Gott, warum können wir denn nun
nicht natürlich sein? Ach, ich weiß es ja so gut, es fehlt uns nur an Mut.
Weder die Künstler noch die Dichter haben den Mut, die Menschen zu zeigen,
wie sie sind, nur Shakespeare allein besaß diesen Mut!

Ja, das wissen Sie recht gut, sagte Erik hinter seiner Figur vor, mit
Shakespeare kann ich nicht gut fertig werden, er macht mir zu viel Wesens
davon, er jagt mit einem herum, daß man schließlich nicht mehr weiß, woran
man ist.

Das möchte ich doch nicht sagen, versetzte Frithjof tadelnd; aber, fügte er
mit entschuldigenden Lächeln hinzu, ich kann freilich die Berserkerwut des großen
britischen Dichters keinen wirklich bewußten, verständigen Künstlermut nennen!

Das können Sie nicht? Großer Gott, wie amüsant Sie sind! und sie
lachte, so laut sie nur konnte, indem sie aufstand und in das Atelier ging.
Plötzlich wandte sie sich um, streckte die Arme nach Frithjof aus und rief: Gott
segne Sie! und dabei krümmte sie sich vor Lachen fast bis zur Erde.

Frithjof war nahe daran, sich beleidigt zu fühlen, aber es war so unbe¬
quem, erzürnt fortzugehen, außerdem hatte er ja vollkommen Recht mit dem, was
er gesagt hatte, und dann war Frau Boye ja so wunderhübsch. Er blieb also und
knüpfte ein Gespräch mit Erik an, indem er, sich in Gedanken stets zu ihr hin¬
wendend, bemüht war, einen Ausdruck reifer Nachsicht in seine Stimme zu legen.

Frau Boye stöberte inzwischen in dem andern Ende des Ateliers umher,
sie summte nachdenklich eine Melodie vor sich hin, schlug zwischendurch wohl
einmal einige helle Triller an, die wie fröhliches Gelächter klangen, oder sie ging
langsam zu einem feierlichen Nezttativ über.

Auf einer großen hölzernen Kiste stand ein jugendlicher Augustuskopf; von
diesem wischte sie den Staub ab, suchte sich dann etwas Thon und formte daraus
einen Schnurbart und einen Kinnbart für den Kopf, auch Ringe, die sie ihm
an den Ohren befestigte.

Während sie noch damit beschäftigt war, hatte sich Ricks ihr unter dem
Vorwande, die auf dem Boden stehenden Abgüsse zu betrachten, langsam genähert.
Sie hatte keinen Augenblick nach der Richtung hingesehen, in welcher er sich
befand, aber sie mußte ihn doch in der Nähe wissen, denn ohne sich umzuwenden
streckte sie die Hand nach ihm aus und bat ihn, Eriks Hut zu holen.

Ricks gab ihr den Hut in die noch immer ausgestreckte Hand, sie nahm
ihn und setzte ihn auf den Augustuskopf.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/341>, abgerufen am 01.09.2024.