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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

entlang zogen, und die Lorberbäume in den Ecken an den Thüren, die hohen
Lorberbäume hatte er derartig gepudert, daß sie grauer aussahen als die
grauesten Oliven.

Erik stand mitten im Zimmer und modellirte mit einer Papiermütze auf
dem dunkeln, leicht gelockten Haar; er hatte einen Schnurbart bekommen und
sah ganz männlich aus gegen seine blassen, examensmüden Freunde, die einen
so wohlerzogenen, provinzmäßigen Eindruck machten in ihren funkelnagelneuen
Kleidern, dem zu kurz geschnittenen Haar und den weiten Studentenmützen.

In geringer Entfernung von Eriks Gerüst saß Frau Boye auf einem
niedrigen, hochlehnigen Holzstuhl, ein elegant gebundenes Buch in der einen, ein
Stückchen Thon in der andern Hand haltend. Sie war klein, ein wenig zu
klein und leicht brünett, mit klaren, braunen Augen und leuchtend weißem Teint,
der im Schatten der Rundungen goldig matt wurde und wunderbar zu dem
glanzvollen Haar stimmte, dessen Dunkel im Licht einen Ton bräunlichgebrannter
Blondheit annahm.

Sie lachte, als die zwei Jünglinge kamen, wie ein Kind lachen kann, so
erquickend lange und lustig laut, so fröhlich frei, und es lag auch der strahlende
Blick eines Kindes in ihren Augen, das unüberlegte Lächeln eines Kindes um
ihren Mund, der noch kindlicher erschien, weil die Oberlippe so kurz war, daß
sie die milchweißen Zähne fast niemals verbarg und den Mund fast immer ein
wenig geöffnet ließ.

Aber sie war kein Kind mehr. War sie wohl einige dreißig Jahre alt?
Die volle Form des Kinnes sagte nicht: nein, ebensowenig wie das reife Not
der Unterlippe, und ihr Wuchs war voll mit festen Formen, die stark hervor¬
gehoben wurden durch ein dunkelblaues Kleid, das sie stramm umschloß wie
die Jacke eines Reitkleides. Um ihren Hals und auf den Schultern lag in
reichen Falten ein dunkles, blutrotes seidenes Tuch, dessen Enden in dem herz¬
förmigen Ausschnitt des Kleides verschwanden, und im Haar trug sie Nelken
von der Farbe des Tuches.

Ich fürchte, wir haben Sie in einer angenehmen Lektüre gestört, meinte
Frithjof mit einem Blick auf das schöngebundene Buch.

Nicht im geringsten; ach nein, über das, was wir gelesen haben, zanken
wir uns nun bereits eine ganze Stunde, antwortete Frau Boye und sah
Frithjof mit großen Augen an. Herr Erik Nefstrup ist so ein Idealist in
allen Fragen der Kunst, und ich finde es nun einmal so langweilig, dies
Predigen von der rohen Wirklichkeit, die geläutert werden soll und geklärt und
wiedergeboren und wie es sonst noch heißt, bis schließlich nichts mehr übrig
bleibt. Thun Sie mir den Gefallen und sehen Sie einmal die Bacchantin von
Mikkelsen an, die der faule Traffelini da hinten in Marmor aufbaut, wenn ich die
in einem beschreibenden Kataloge anführen sollte -- du gütiger Himmel! Ur. 77-
Eine junge Dame in Negligee steht nachdenklich auf beiden Beinen und weiß nicht


Ricks Lyhne.

entlang zogen, und die Lorberbäume in den Ecken an den Thüren, die hohen
Lorberbäume hatte er derartig gepudert, daß sie grauer aussahen als die
grauesten Oliven.

Erik stand mitten im Zimmer und modellirte mit einer Papiermütze auf
dem dunkeln, leicht gelockten Haar; er hatte einen Schnurbart bekommen und
sah ganz männlich aus gegen seine blassen, examensmüden Freunde, die einen
so wohlerzogenen, provinzmäßigen Eindruck machten in ihren funkelnagelneuen
Kleidern, dem zu kurz geschnittenen Haar und den weiten Studentenmützen.

In geringer Entfernung von Eriks Gerüst saß Frau Boye auf einem
niedrigen, hochlehnigen Holzstuhl, ein elegant gebundenes Buch in der einen, ein
Stückchen Thon in der andern Hand haltend. Sie war klein, ein wenig zu
klein und leicht brünett, mit klaren, braunen Augen und leuchtend weißem Teint,
der im Schatten der Rundungen goldig matt wurde und wunderbar zu dem
glanzvollen Haar stimmte, dessen Dunkel im Licht einen Ton bräunlichgebrannter
Blondheit annahm.

Sie lachte, als die zwei Jünglinge kamen, wie ein Kind lachen kann, so
erquickend lange und lustig laut, so fröhlich frei, und es lag auch der strahlende
Blick eines Kindes in ihren Augen, das unüberlegte Lächeln eines Kindes um
ihren Mund, der noch kindlicher erschien, weil die Oberlippe so kurz war, daß
sie die milchweißen Zähne fast niemals verbarg und den Mund fast immer ein
wenig geöffnet ließ.

Aber sie war kein Kind mehr. War sie wohl einige dreißig Jahre alt?
Die volle Form des Kinnes sagte nicht: nein, ebensowenig wie das reife Not
der Unterlippe, und ihr Wuchs war voll mit festen Formen, die stark hervor¬
gehoben wurden durch ein dunkelblaues Kleid, das sie stramm umschloß wie
die Jacke eines Reitkleides. Um ihren Hals und auf den Schultern lag in
reichen Falten ein dunkles, blutrotes seidenes Tuch, dessen Enden in dem herz¬
förmigen Ausschnitt des Kleides verschwanden, und im Haar trug sie Nelken
von der Farbe des Tuches.

Ich fürchte, wir haben Sie in einer angenehmen Lektüre gestört, meinte
Frithjof mit einem Blick auf das schöngebundene Buch.

Nicht im geringsten; ach nein, über das, was wir gelesen haben, zanken
wir uns nun bereits eine ganze Stunde, antwortete Frau Boye und sah
Frithjof mit großen Augen an. Herr Erik Nefstrup ist so ein Idealist in
allen Fragen der Kunst, und ich finde es nun einmal so langweilig, dies
Predigen von der rohen Wirklichkeit, die geläutert werden soll und geklärt und
wiedergeboren und wie es sonst noch heißt, bis schließlich nichts mehr übrig
bleibt. Thun Sie mir den Gefallen und sehen Sie einmal die Bacchantin von
Mikkelsen an, die der faule Traffelini da hinten in Marmor aufbaut, wenn ich die
in einem beschreibenden Kataloge anführen sollte — du gütiger Himmel! Ur. 77-
Eine junge Dame in Negligee steht nachdenklich auf beiden Beinen und weiß nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/340>, abgerufen am 09.11.2024.