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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Hamerlings Homunculus.

In jedem Falle
Laß ich bald ein Büchlein drucken:
Lachen wird es keinen machen,
Und sehr viele Werdens lästern,
Und nicht viele Werdens loben,
Aber lesen -- Werdens alle!

it diesem "übermütigen Scherzworte," hingeworfen der "Schaden¬
freude des Teufels" und dem "Witz der Rezensenten," die der
Dichter schon seit des schneidigen Ferdinand Kürnbergers Zeiten
bekanntlich nicht sehr liebt, obwohl er selbst das kritische Handwerk
so gut versteht wie einer, und als klassischer Philologe, der er ur¬
sprünglich war, auch die rechte Schule der Kritik durchgemacht hat, mit diesen Versen
also im Texte seines "modernen Epos in zehn Gesängen" hat Robert Hamerling
selbst das Schicksal dieser seiner Dichtung prophezeit. So "übermütig" indes
ist das Scherzwort "Alle Werdens lesen" durchaus nicht, daß sich der Witz der
Rezensenten daran üben müßte. Man braucht nicht die Berühmtheit eines
Hamerling zu genießen, um einen solchen Erfolg zu erreichen. Denn wie den
Menschen nun einmal schon im geselligen Verkehre keine Unterhaltung lieber ist
als die, deren Kosten der liebe Nächste zu tragen hat, so hat auch keine litte¬
rarische Gattung mehr Aussicht auf den Erfolg, viel gelesen zu werden, als die
Satire. Nach einer Satire greifen alle, die lesen können -- alle freilich mit
den verschiedensten Erwartungen. Der eine sucht die Stiche, welche bestimmten
Personen zugedacht sind, der andre sucht nach den Hieben, die Parteien gelten,
der dritte hat überhaupt seine Freude am frischen, fröhlichen Kriege, und einige
wenige, die selbst mit Bangen in das tausendstimmige Gewirr der Zeit hinaus-
horchcn, die Schwächen derselben wohl ahnen und auch erkennen, greifen zu
der neuerschienenen Satire eines Mannes von dem Geiste und der Leidenschaft
eines Hamerling, um zu erfahren, wie dieser Dichter unter vielen andern die
Krankheit der Zeit erkennt und benennt und welchen Weg er sieht, der aus der
Krankheit zur Gesundung führen kann und muß. Darum also wars leicht pro¬
phezeien und gar nicht übermütig zu sagen: "Alle Werdens lesen." Es ist ja
auch selten eine Zeit so satirisch gestimmt gewesen wie die Gegenwart. Die




Hamerlings Homunculus.

In jedem Falle
Laß ich bald ein Büchlein drucken:
Lachen wird es keinen machen,
Und sehr viele Werdens lästern,
Und nicht viele Werdens loben,
Aber lesen — Werdens alle!

it diesem „übermütigen Scherzworte," hingeworfen der „Schaden¬
freude des Teufels" und dem „Witz der Rezensenten," die der
Dichter schon seit des schneidigen Ferdinand Kürnbergers Zeiten
bekanntlich nicht sehr liebt, obwohl er selbst das kritische Handwerk
so gut versteht wie einer, und als klassischer Philologe, der er ur¬
sprünglich war, auch die rechte Schule der Kritik durchgemacht hat, mit diesen Versen
also im Texte seines „modernen Epos in zehn Gesängen" hat Robert Hamerling
selbst das Schicksal dieser seiner Dichtung prophezeit. So „übermütig" indes
ist das Scherzwort „Alle Werdens lesen" durchaus nicht, daß sich der Witz der
Rezensenten daran üben müßte. Man braucht nicht die Berühmtheit eines
Hamerling zu genießen, um einen solchen Erfolg zu erreichen. Denn wie den
Menschen nun einmal schon im geselligen Verkehre keine Unterhaltung lieber ist
als die, deren Kosten der liebe Nächste zu tragen hat, so hat auch keine litte¬
rarische Gattung mehr Aussicht auf den Erfolg, viel gelesen zu werden, als die
Satire. Nach einer Satire greifen alle, die lesen können — alle freilich mit
den verschiedensten Erwartungen. Der eine sucht die Stiche, welche bestimmten
Personen zugedacht sind, der andre sucht nach den Hieben, die Parteien gelten,
der dritte hat überhaupt seine Freude am frischen, fröhlichen Kriege, und einige
wenige, die selbst mit Bangen in das tausendstimmige Gewirr der Zeit hinaus-
horchcn, die Schwächen derselben wohl ahnen und auch erkennen, greifen zu
der neuerschienenen Satire eines Mannes von dem Geiste und der Leidenschaft
eines Hamerling, um zu erfahren, wie dieser Dichter unter vielen andern die
Krankheit der Zeit erkennt und benennt und welchen Weg er sieht, der aus der
Krankheit zur Gesundung führen kann und muß. Darum also wars leicht pro¬
phezeien und gar nicht übermütig zu sagen: „Alle Werdens lesen." Es ist ja
auch selten eine Zeit so satirisch gestimmt gewesen wie die Gegenwart. Die


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[0034] Hamerlings Homunculus. In jedem Falle Laß ich bald ein Büchlein drucken: Lachen wird es keinen machen, Und sehr viele Werdens lästern, Und nicht viele Werdens loben, Aber lesen — Werdens alle! it diesem „übermütigen Scherzworte," hingeworfen der „Schaden¬ freude des Teufels" und dem „Witz der Rezensenten," die der Dichter schon seit des schneidigen Ferdinand Kürnbergers Zeiten bekanntlich nicht sehr liebt, obwohl er selbst das kritische Handwerk so gut versteht wie einer, und als klassischer Philologe, der er ur¬ sprünglich war, auch die rechte Schule der Kritik durchgemacht hat, mit diesen Versen also im Texte seines „modernen Epos in zehn Gesängen" hat Robert Hamerling selbst das Schicksal dieser seiner Dichtung prophezeit. So „übermütig" indes ist das Scherzwort „Alle Werdens lesen" durchaus nicht, daß sich der Witz der Rezensenten daran üben müßte. Man braucht nicht die Berühmtheit eines Hamerling zu genießen, um einen solchen Erfolg zu erreichen. Denn wie den Menschen nun einmal schon im geselligen Verkehre keine Unterhaltung lieber ist als die, deren Kosten der liebe Nächste zu tragen hat, so hat auch keine litte¬ rarische Gattung mehr Aussicht auf den Erfolg, viel gelesen zu werden, als die Satire. Nach einer Satire greifen alle, die lesen können — alle freilich mit den verschiedensten Erwartungen. Der eine sucht die Stiche, welche bestimmten Personen zugedacht sind, der andre sucht nach den Hieben, die Parteien gelten, der dritte hat überhaupt seine Freude am frischen, fröhlichen Kriege, und einige wenige, die selbst mit Bangen in das tausendstimmige Gewirr der Zeit hinaus- horchcn, die Schwächen derselben wohl ahnen und auch erkennen, greifen zu der neuerschienenen Satire eines Mannes von dem Geiste und der Leidenschaft eines Hamerling, um zu erfahren, wie dieser Dichter unter vielen andern die Krankheit der Zeit erkennt und benennt und welchen Weg er sieht, der aus der Krankheit zur Gesundung führen kann und muß. Darum also wars leicht pro¬ phezeien und gar nicht übermütig zu sagen: „Alle Werdens lesen." Es ist ja auch selten eine Zeit so satirisch gestimmt gewesen wie die Gegenwart. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/34>, abgerufen am 13.11.2024.